/

Wissen Sie wirklich ›Alles über Liebe‹?

Bühne | Theater das Zimmer (Hamburg): Alles über Liebe

Anna und Carlos stehen vor ihrem eingefahrenen Ehe-Alltag. Eine Therapie soll ihnen helfen, sich wieder anzunähern. Doch es kommt ganz anders als erwartet – denn die (ur)komische Gesprächspartnerin lebt selbst in ihrer verrückten Welt. Von MONA KAMPE

Alles, ja wirklich alles ist bei Anna und Carlos aus den Fugen geraten: Sie kümmert sich um die Kinder und ihre sämtlichen Aktivitäten in der Vorstadt, er arbeitet den ganzen Tag. Sie fühlt sich, als wäre ihr Leben vorbei und alle ihre Träume geplatzt – er blickt sarkastisch auf den Alltag und wirft ihr vor, sie müsse lockerer sein.

Atmen Sie tief durch – auch wenn es schwerfällt vor Lachen.

Zu allem Überfluss mischen sich auch noch die Schwiegereltern mit ihrem Halbfett-Kartoffelsalat ein und die junge Praktikantin macht Carlos Avancen. Das ist zu viel für das Ehepaar mit den romantisierten Vorstellungen, eine Vermittlerin muss her. Doch die Ehe-Therapeutin Dr. Edeltraud Doppelname ist eine äußerst skurrile Erscheinung, begleitet von Putzzwang und einem Gymnastikball, mit dem sie über die Drehbühne hüpft.

Sie spürt die Spannungen zwischen den beiden und versucht, mit Geduld und unkonventionellen Praxisübungen wie emotionalem Schaumstoffschlagen und Wortassoziation, die beiden zurück zu ihren Ichs zu führen. Doch nach und nach kommen die wahren Gefühle des Paares ans Licht und die Therapeutin fährt im wahrsten Sinne des Wortes aus ihrer Haut.

Freche Komödie, die Therapie-Klischees verdreht

Nichts für schwache Nerven ist der einmalige Abend im ›Theater das Zimmer‹, der das Publikum in ein Therapieszenario entführt und ›Alles über Liebe‹ lehrt. Das kleinste Theater Hamburgs ist wie gemacht für die kuriose Drehbühne, die nicht nur den Darstellern den Kopf verdreht. Hier wird an Egos, Ehe-Vorstellungen und Klischees gerüttelt, was das Zeug hält.

Auch die Zuschauer und ihre Lachmuskeln werden nicht verschont, wenn Dr. Edeltraud ihre Therapiemethoden an ihnen ausprobiert. Es ist ein herrlicher Genuss, Sandra Kiefer als verdrehte Paar-Therapeutin zu erleben, die selbst nicht ganz frei »auf ihrem Erdball« ist und mit einer großartigen Charakter-Darstellung begeistert. Belustigen und bewegen tun auch Lars Ceglecki als Carlos und Erika Döhmen als Anna, die mit köstlichen Streitigkeiten und emotionalen Ausbrüchen das typische Vorstadtpaar mimen, deren Welt selbst durch Kleinigkeiten auseinanderbricht, weil sie das Wesentliche in dem Schreibtischberg oder in der Mutter-Kind-Tanzgruppe verloren haben.

Carlos (Lars Ceglecki) und Anna (Erika Döhmen, l.) lachen nur noch ironisch über den anderen. Dr. Edeltraud (Sandra Kiefer) bleibt hüpfend hartnäckig, Foto: Anders Balari)
Carlos (Lars Ceglecki) und Anna (Erika Döhmen, l.) lachen nur noch ironisch über den anderen. Dr. Edeltraud (Sandra Kiefer) bleibt hüpfend hartnäckig

Egal ob Patient oder Ehepartner – Sie werden sich wiederfinden (oder sind zumindest gut gewappnet). Und falls Ihnen das zu abgedreht ist, stellen Sie sich eine Therapeutin mit Taschentüchern in den Ohren vor, die das Geschrei ihrer Problempaare nicht hören möchte. Atmen Sie tief durch – auch wenn es schwerfällt vor Lachen.

| MONA KAMPE
| FOTOS: ANDERS BALARI

Titelangaben
Alles über Liebe
Theater das Zimmer, Hamburg
Regie: Dietrich Trapp
Spiel: Erika Döhmen; Sandra Kiefer; Lars Ceglecki

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Große, verrückte, wilde Dinge

Nächster Artikel

Ich war meinen Körper losgeworden

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Prinz Siegfried und seine Odette

Bühne | Ballett: Schwanensee Das erste, was den meisten bei Ballett in den Sinn kommt, sind Aufführungen zur Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski. Die sogenannten Handlungsballette ›Der Nussknacker‹, ›Schwanensee‹ und ›Dornröschen‹ sind nicht mehr aus dem Repertoire der Bühnenaufführungen wegzudenken. Nur die perfekte Symbiose von Musik und Choreographie machen diese Werke zu einer äußerst attraktiven Kunstform. ANNA NOAH ist gespannt, ob der Funke des russischen Ballett-Märchens überspringt.

Leben – komprimiert auf 60 Minuten

Bühne | Die Uhr tickt – Timpul trece (Badisches Staatstheater Karlsruhe) Was kann besser sein, als sich mit ernsten Themen wie denen von Leben, Älterwerden und Tod in einem interaktiven Rahmen der Selbstbestimmung auseinanderzusetzen? Diese Themen zeigt die Kooperation von Schauspielern, Moderatoren und Zuschauern im Stück »Die Uhr Tickt«. Von JENNIFER WARZECHA

Unter Bekloppten

Show | Von der Luftgitarrenweltmeisterschaft 2011 Unser Autor JAN FISCHER hat Aline Westphal, die Weltmeisterin im Luftgitarrespielen, nicht nur hinter, sondern sogar bis auf die Bühne begleitet.

Freiheit leben, ohne die des anderen zu verletzten

Bühne | Don Giovanni

Schon im 14. bzw. 15 Jahrhundert ist die Legende von Don Juan entstanden. Seither bot sie im deutschsprachigen Raum zum Beispiel 1761 Stoff für das Ballett ›Don Juan‹ von Christoph Willibald Gluck, 1813 dann für die gleichnamige Novelle von E.T.A. Hoffmann oder 2004 in der Erzählung ›Don Juan‹ von Peter Handke. Im Pforzheimer Stadttheater kommt ›Don Giovanni‹ als Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart, mit dem Libretto von Lorenzo Da Ponte, in der Inszenierung von Saskia Kuhlmann und der Dramaturgie von Christina Zejewski, daher. Der Held erscheint einerseits als sprichwörtlicher Lüstling, wirft andererseits aber auch Fragen nach dem gesellschaftlichen Umgang mit Konventionen auf.
Von JENNIFER WARZECHA

Ein entpolitisierter Zirkus

Bühne | Die Blechtrommel. Schauspiel nach dem Roman von Günter Grass Horace Engdahl titulierte in seiner Nobelpreisrede auf Günter Grass im Jahre 1999 dessen Roman ›Die Blechtrommel‹ als die »Wiedergeburt für den deutschen Roman des Zwanzigsten Jahrhunderts«. Die Schauspielbühnen Stuttgart haben sich mit der ›Die Blechtrommel‹ ergo einen großen Brocken vorgenommen, denn es ist zwar gerade en vogue, Romane als Theaterstücke zu adaptieren, aber selten nimmt man sich dazu einen dermaßen dicken und auch verdichteten Wälzer vor, zumal wenn es sich dabei um einen literarischen Erguss handelt, der so typisch im Genre des Romans gefangen zu sein scheint. Dennoch hat