Bühne | ›Lulu‹ im Hamburger Theater das Zimmer
Sie verzaubert und verführt – ›Lulu‹ ist für viele Männer der Inbegriff der Perfektion. Doch nur einer weiß, wo bei ihr der Engel aufhört und der Teufel beginnt. Kann er sie zu Fall bringen, bevor die Sünde ihn stürzt? Von MONA KAMPE
Ihr Anblick verzaubert jeden Mann: Lulu ist nicht nur schön und wohlproportioniert, sie weiß auch mit ihren Gottesgaben zu spielen und diese geschickt zur Verführung einzusetzen. Mal gibt sie das unschuldige Mädchen, das noch nie geliebt hat, mal die zügellose Geliebte, die möchte, dass ihr Gegenüber die Fassung verliert.
Sie ist mit dem Medizinalrat Dr. Groll verheiratet, der seine besten Jahre schon hinter sich hat, lässt sich jedoch von dem Fotografen Walter Schwarz porträtieren und nutzt seine Bewunderung für sie als vollkommenes Kunstobjekt aus, um ihn zu verführen. Als ihr Gatte sie erwischt, fällt er tot um.
Fortan ist sie mit ihm verheiratet, jedoch schnell gelangweilt von seiner bedingungslosen Hingabe und Liebe zu ihr. Der Zuschauer lernt, dass Dr. Schön sie als Diebin aufgelesen und zu einer »feinen Dame« erzogen hat. Sie ist noch immer seine Geliebte und sehnt sich nach seiner Begierde, weil er weiß, wer sie wirklich ist.

Lulu (Ronja Donath) raubt allen Männern die Sinne
(Foto: Patrick Bieber)
Er hat sie mit beiden Männern verheiratet und ihr zu Ruhm und Reichtum verholfen. Nun möchte er selbst ein »unschuldiges Kind« zur Frau nehmen. Lulu lässt das nicht auf sich beruhen, sie ist der festen Überzeugung, dass sie ihn sowieso bekommt. Das Drama nimmt seinen Lauf.
Die unschuldig Schuldige als Anklage männlicher Scheinmoral
Das Hamburger ›Theater das Zimmer‹ greift mit dem Skandaldrama ›Lulu‹ von Frank Wedekind von 1913 einen Gesellschaftsdiskurs auf, der aktueller nicht sein könnte. Wedekinds Klassiker aus dem Naturalismus wendet sich gegen die bürgerliche und männliche Scheinmoral, sich Frauen zu eigen und zu Lustobjekten machen zu können. Die verführerische Gestalt der Lulu vereint Emanzipation, schonungslose Offenheit und Raffinesse, an der die männliche Scheinmoral scheitern muss, weil sie an ihr verzweifelt.
Sie fühlt sich wie die Kunst von ihrer Ästhetik und Vollkommenheit angezogen, muss aber bald feststellen, dass Lulu nicht wie ein Tier zu bändigen ist oder wie die Gesellschaft es vorschreibt. Sie verkörpert das schuldlos Schuldige, die Sünde, zu der diese sie macht. Am Ende kann sie nur scheitern, weil sie ist, was sie ist. Sie weiß das und stellt daher Dr. Schön die provokante Frage: »Warum soll ich schuld sein?«

(Foto: Patrick Bieber)
Dietrich Trapp gelingt mit seiner Inszenierung eine moderne Fassung auf reduzierter Bühne. Das Publikum ist hautnah dabei, sieht Lulus Machtspielchen, ihre kindliche Lebensfreude, ihre schamhafte Überforderung bei Überreizung der männlichen Triebe. Ronja Donath verzaubert das Publikum im hitzigen Dialog mit Stephan Arweiler, der in sämtliche Verehrerrollen schlüpft.
Sie ist die perfekte Besetzung, ihm gelingt der Figurenwechsel galant und charmant vor den Augen der Zuschauer. Beide Protagonisten ergänzen sich herrlich und garantieren einen emotionalen, unterhaltsamen Abend, bei dem mit starken Affekten wie Eifersucht, Lust, Gewalt und Verzweiflung großartig gespielt wird.
| MONA KAMPE
| Alle Abbildungen: PATRICK BIEBER
Titelangaben
Lulu von Frank Wedekind
Theater das Zimmer Hamburg
Regie: Dietrich Trapp
Spiel: Ronja Donath, Stephan Arweiler