/

Wenn der Postbote 2x klingelt

Bühne | Stand-up-Comedy im Theater ›Das Zimmer‹ Hamburg

… kann er wahrscheinlich das Namensschild nicht lesen! Unikum Hans-Hermann Thielke kennt als einstiger Schalterbeamter im »mittleren nichttechnischen Dienst« alle noch so skurrilen Postgeheimnisse, wie etwa das korrekte Befeuchten von Briefmarken. Geht auch nach Schalterschluss bei ihm die Post ab? MONA KAMPE über die Begegnung mit einer urigen Brieftaube, die die Päckchen des Lebens sympathisch leicht aus den Flügeln schüttelt.

Theater ›Das Zimmer‹ HamburgUnscheinbar und unbedarft steht er auf der Bühne. Weißer, gestärkter Hemdkragen, gestreifte Krawatte und grüner Pullunder. Er rückt sich seine Hornbrille zurecht, setzt ein schüchternes, euphorisches Grinsen auf und beginnt von sich zu erzählen. Was als Nächstes kommt, hätte wohl keiner für möglich gehalten:
Thielke schwingt sich seinen ›Superman‹-artigen, quietschgelben Umhang mit dem Logo der ›Deutschen Post‹ um und gibt schwärmerisch das altbewährte Lied zum Besten, was er in seiner Ausbildung gemeinsam mit jungen Kollegen trällerte. Ein kleines Postgeheimnis. Davon kennt er viele.

Während sein Publikum noch Tränen lacht, hat er bereits die nächste Anekdote aus dem Postsack ausgegraben. Mit bürokratischer Sorgfalt hat der ehemalige Beamte aus Itzehoe, der 35 Jahre im »mittleren nichttechnischen Dienst« am Postschalter saß, sie alle in seinem Buch ›Wir haben Sie leider nicht angetroffen‹ aufgelistet, um den Bundesbürgern einen Praxis-Leitfaden zum Umgang mit dem skurrilen Subjekt des Postbeamten und seinem mittlerweile privatisierten Arbeitgeber zu geben.

Täuschen Sie sich nicht: Briefmarken anfeuchten will selbstredend gelernt sein! Ebenso die überfreundliche Begrüßung am Schalter, das Erkennen von Markenwerten im Dunkeln, die humorvolle Unterhaltung des Kollegiums und natürlich, wie man seine ledigen Kolleginnen umgarnt (Vorsicht: Achten Sie auf Schreibtischbilder!) und im Alltag postmännisch vor unerwünschten Begegnungen in der ›REWE‹-Gefriertruhe abtaucht.

Wussten Sie eigentlich, dass es Zusteller gibt, die fast blind sind? Diese Fehler haben zu gravierenden Kundenproblemen geführt – sogar Gefängnisstrafen für 85-Jährige! Thielke kennt so etwas nicht – als vorbildlichem Beamten wurde ihm angeraten, mit 51 Jahren in die Vorpension zu treten und seine außerordentlichen Talente doch anderswo zu investieren. Gesagt, getan: Hans-Hermann Thielke teilt sein Wissen und setzt es ein, um den Itzehoer Alltag ohne Meer und Moor, mit tierischen einstweiligen Verfügungen, gekonnt zu meistern. Sein aktuelles Projekt: die Liebe. Ob er noch wohl genug Geld für die Kontaktanzeige im Wochenblatt gerollt hat? »Suche Frau mit Humor. Kabelfernsehen. Haarfarbe nicht von Bedeutung.«

Sympathisches Unikum mit herrlich leichtem Beamtenwitz

Kabarettist Helmut Hoffmann verwandelt sich seit den frühen 2000ern in den postmännisch korrekten Durchschnittsbeamten Hans-Hermann Thielke, der auch nach seinem endgültigen Schalterschluss das Kleinstadtleben gebührend mit Brieftauben, Oberpostsekretären und Postgeheimnissen zelebriert. Schließlich kann man die armen Bundesbürger ja nicht mit den Postskandalen alleine lassen! Aus dem unscheinbaren, stocksteifen Beamten mit den skurril-weltfremden Büroansichten, der in der Vergangenheit festzusitzen scheint, entwickelt sich im Scheinwerferlicht ein selbstironischer, sympathischer Gefährte, der mit herrlicher Leichtigkeit und einfachem Wortwitz seinem Publikum einen amüsanten Abend beschert.

Im kleinsten Theater Hamburgs ›Das Zimmer‹, das zum ersten Mal seine Bühne für ein kabarettistisches Gastspiel öffnete, gab der Comedian sein Programm ›Thielke kommt‹ zum Besten und überzeugte alle Generationen davon, dass auch ein pensionierter Beamter seine Päckchen zu tragen hat – was nicht heißt, dass er sich dabei nicht auch einmal selbst mit Humor in den Postsack stecken darf!

Und vielleicht findet er ja bald eine liebe, witzgewandte Frau, mit der er seinen Briefkasten in Itzehoe teilen kann. Sein neues Programm ›Läuft bei mir‹ lässt neben Postgeheimnissen auch auf romantische Brieftauben schließen. Wir sind gespannt, welche Haarfarbe die Herzensadressatin wohl hat.

| MONA KAMPE
| TITELBILD: T. HASHEMI

Reinschauen
| Homepage von Hans-Hermann Thielke
| Theater ›Das Zimmer‹ Hamburg

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Der Hochglanzblitz

Nächster Artikel

Krawall und Rettung

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Affe – Blau zu schwarz

Bühne | ›Affe‹ in der Oper Neukölln Frei nach dem Motto »Guten Morgen Berlin, du kannst so hässlich sein, so dreckig und grau. Du kannst so schön schrecklich sein, deine Nächte fressen mich auf…« gehen die Zuschauer zusammen mit dem jungen Berliner »F.« auf einen Trip der besonders heftigen Art. ANNA NOAH ist gespannt, wie viel urbanes Lebensgefühl in der Theater-Adaption von Peter Fox’ Album »Stadtaffe« steckt.

Auf die Freundschaft und die moderne Frau

Bühne | M. Delaportes, A. de la Patelliére: Das Abschiedsdinner Pierre (charakterstark und überzeugend: Bernhard Meindl) und Clotilde (feminin und fulminant: Sophie Lochmann) sind ein ganz normales, modernes Paar. Eines, bei dem Clotilde die Hosen anhat … Von JENNIFER WARZECHA

Von der kleinen bis zur großen Welt

Bühne | Hermann Hesse: ›Das Glasperlenspiel‹ im Badischen Staatstheater Karlsruhe Wahre Gesellschaftskritik im ewigen Konflikt des Individuums mit der Gesellschaft, im Spiel der Moderne mit ihren Ängsten, hin- und hergerissen zwischen Mikro- und Makrokosmos in Anlehnung an Johann Wolfgang Goethes ›Faust‹ – das ist Hermann Hesses ›Das Glasperlenspiel‹ im Kleinen Haus des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Für die Bühne bearbeitet von Martin Nimz und Konstantin Küspert wird es damit zum modern interpretierten und dramaturgisch inszenierten Aufstieg und Fall des Protagonisten Josef Knecht. Von JENNIFER WARZECHA

Rocky aus der Röhre!

Theater | Richard O’Brien’s THE ROCKY HORROR SHOW – Deutsches Theater Göttingen Neben den ganzen erwartungsvollen und schon beim Ersten Klingeln vor Begeisterung zitternden Menschen in der Lobby, musste ich beinahe kühl oder reserviert wirken. Vielleicht lag es daran, dass ich zwar gerne ins Theater ging, aber noch nie The Rocky Horror Show gesehen hatte. Es war mein erstes Mal. So wie bei den meisten ersten Mals konnte man unmöglich wissen, was passieren würde. Und am Ende kam dann sowieso alles anders. Von SVEN GERNAND

Komik und Trauer vereint

Menschen | Zum Tode des Schauspielers Helmuth Lohner   In der Nacht zum Dienstag ist Helmuth Lohner im Alter von 82 Jahren gestorben. PETER MOHR blickt zurück auf das Werk des wandlungsfähigen Schauspielers. [Abb:Salzburger Festspiele 1990 – Jedermann: Helmuth Lohner, Sunnyi Melles Abb: Archiv der Salzburger Festspiele/Foto Weber]