Außerirdische in Barcelona

Roman | Eduardo Mendoza: Das dunkle Ende des Laufstegs

Am 20. April erhielt der katalanische Schriftsteller Eduardo Mendoza aus den Händen von Spaniens König Felipe den mit 125000 Euro dotierten Cervantes-Preis, die wichtigste literarische Auszeichnung der spanischsprachigen Welt,  für sein Lebenswerk überreicht. Seit der Veröffentlichung seines Romans ›Die Stadt der Wunder‹ (1986) erfreut sich der 74-Jährige Mendoza auch hierzulande einer respektablen Lesergemeinde. Jetzt ist ›Das dunkle Ende des Laufstegs‹ erschienen. Von PETER MOHR

Mendoza - Das dunkle Ende des Laufstegs»Meine Romanfiguren sind allesamt Außerirdische. Sie versuchen, sich anzupassen, was ihnen jedoch misslingt, weil sie nicht mal die sozialen Codes kennen, an die sie sich anzupassen versuchen«, hatte der in Barcelona geborene Autor vor zwei Jahren in einem Interview erklärt. Ein wenig außerirdisch, skurril und abseits der gesellschaftlichen Normen bewegt sich auch das Gros des Figurenensembles in seinem zwölften Roman.

Im Mittelpunkt der Handlung, die sich auf mehreren Ebenen über einen Zeitraum von rund 25 Jahren erstreckt, steht ein ehemaliger Damenfriseur, der seinen Salon aus wirtschaftlichen Gründen schließen musste, irgendwann in die Psychiatrie eingewiesen wurde und in der Handlungsgegenwart als Essensbote für einen chinesischen Fast-Food-Imbiss arbeitet.

Der Protagonist wird beschuldigt, das Model Olga Baxter umgebracht zu haben – ein junges Mädchen, das vom sozialen Aufstieg träumte, in den einflussreichsten Kreisen Barcelonas verkehrte und dort allerlei Insiderwissen über Korruption und dunkle, teils mafiöse Geschäfte, erwarb. Sie hatte – um beim Buchtitel zu bleiben – irgendwann das dunkle Ende des Laufstegs erreicht und musste verschwinden.

Der Friseur begibt sich mit Unterstützung von Senorita Westinghouse, einem fürsorglichen Transvestiten (ehemaliger Polizist und Franco-Anhänger), der später in einer Rolle als TV-Offizier zu sehen ist, auf die Jagd nach den wahren Mördern des Models. Er stößt dabei auf einen elitären Kreis einflussreicher Unternehmer.

Eduardo Mendoza pflegt ein höchst ambivalentes Verhältnis zu seiner Heimatstadt, aber er intoniert hier en passant – abseits von Krimi-Handlung und tief gehender Gesellschaftskritik – eine melancholische Hommage an das Barcelona der 1980er Jahre, das noch nicht vom Kommerz regiert wurde und in dem es noch eine lebendige Kultur der »kleinen Leute« gab.

Mendoza erzählt ungeheuer rasant. Man hechelt als Leser atemlos durch die Handlung, immer bestrebt, dem im Laufschritt durch Barcelona hetzenden Friseur auf den Fersen zu bleiben, der mehr und mehr ins Milieu des Finanzadels von Barcelona eindringt und von deren Schergen selbst gejagt wird.

Wer letztlich für den Tod der jungen Olga Baxter verantwortlich war, soll an dieser Stelle nicht verraten werden, denn dieser Roman lebt auch von einem Höchstmaß an dramaturgischer Spannung.

Immer wieder gibt es ausgefallene Handlungsschlenker, etwa als der Friseur in eine Reisegruppe gerät, die von einem bekifften Busfahrer durch die katalanische Metropole kutschiert wird. Oder als er einen Dottore Arcimboldo trifft, der auf einer Visitenkarte seine Heilkünste anpreist: »Bringt Idioten wieder zur Vernunft, lässt Zwerge wachsen, und die Toten auferstehen, Preis nach Vereinbarung.«

Das liest sich so herrlich amüsant, man spürt förmlich aus jeder Zeile die Lust am Erzählen und Fantasieren heraus. Eduardo Mendoza avanciert immer mehr zum Meister des tiefsinnigen Unernstes. Seine Romane sind so bunt, grotesk, verspielt-verzerrt und doch so geheimnisvoll vergeistigt wie die Bilder seines ebenfalls in Barcelona geborenen Landsmannes Joan Miró.

| PETER MOHR

Titelangaben
Eduardo Mendoza: Das dunkle Ende des Laufstegs
Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt
München: Nagel und Kimche Verlag 2017
336 Seiten. 23.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Schreiben ist wie Atmen

Nächster Artikel

Sandkastenliebe

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Ja, und was treiben sie denn? Einparken üben?

Roman | Franzobel: Was die Männer so treiben, wenn die Frauen im Badezimmer sind Die einen halten Franzobel für einen großen plebejischen Erzähler und attestieren ihm barocke, katholisch grundierte, sprachwitzige Schelmerei und Lust am Tabubruch. Für die andern ist er ein Adabei-Literat, der artifizielle Wortkaskaden produziert, oder schlicht franzdodel. Er selbst bezeichnet sich schon mal als »Voyeur des Menschelnden«. Jetzt hat der österreichische Lyriker, Theater- und Prosaautor einen neuen Roman vorgelegt, WAS DIE MÄNNER SO TREIBEN, WENN DIE FRAUEN IM BAD SIND, und wieder schwelgen Rezensionen in »Tabuisiertem und Verdrängtem«. Von PIEKE BIERMANN

Der Dandy und die Bücherdiebe

Roman | Ross Thomas: Keine weiteren Fragen

Ein wertvolles Buch ist aus der Washingtoner Kongressbibliothek verschwunden: Plinius' Historia naturalis. Und mit dem Folianten zusammen der beste Detektiv der Westküste, Jack Marsh. Er sollte die Leihgabe zu ihrer Besitzerin zurückbringen, was offenbar schiefging. Nun melden sich die Diebe, um über den teuren Rückkauf ihrer Beute zu verhandeln. Und da kommt ein Mann ins Spiel, der spezialisiert auf »Vermittlungen« der besonderen Art ist: Philip St. Ives, Ross Thomas' notorisch in Geldnöten sich befindender Lebemann mit einer Leidenschaft fürs Pokern und dem Ruf, sich von niemandem linken zu lassen. Allein diesmal laufen die Dinge nicht so einfach wie gedacht. Von DIETMAR JACOBSEN

Wenn Gülle im Regal steht

Roman | Juli Zeh, Simon Urban: Zwischen Welten

Die Erfolgsautorin Juli Zeh ist in den letzten Jahren zu einer Art literarischer Seismograf unseres politisch-gesellschaftlichen Alltags geworden. In ihrem letzten Roman Über Menschen (2021) hatte sie blitzschnell auf die Corona-Krise reagiert. Die zeitliche Nähe und das Abarbeiten von brisanten Alltagsthemen ist für einen Roman nicht unproblematisch, aber die routinierte Schriftstellerin Juli Zeh, die 2002 für ihren inzwischen in 35 Sprachen übersetzten Debütroman Adler und Engel den Deutschen Bücherpreis erhalten hatte, ist sich dieser Risiken bewusst. Für ihren neuen Roman Zwischen Welten hat sich die seit 2007 im brandenburgischen Dorf Bannewitz lebende 48-jährige Autorin den beinahe gleichaltrigen Simon Urban, der 2011 mit seinem Roman Plan D aufhorchen ließ, als Co-Autor gewählt. Herausgekommen ist ein zeitgenössischer Briefroman, die literarische Dokumentation einer fiktiven digitalen Korrespondenz via Mail und WhatsApp. Gelesen von PETER MOHR

Flaute in der Seele

Roman | Philipp Blom: Bei Sturm am Meer

Was geschieht, wenn eine intensiv gelebte Existenz sich mit einem Mal in Rauch auflöst und erlischt? Philipp Blom erzählt in ›Bei Sturm am Meer‹ von vertanen Chancen, Lebenslügen und Sackgassen, in die sich Ben, Marketingspezialist in der Wiener Museenlandschaft, laufend hineinmanövriert. Zwischen Vätern, die keine sind und solchen, die keine werden, laviert sich der schlaffe Protagonist durch sein vergeudetes Leben. VIOLA STOCKER betrachtet ein Feuer, das in sich erstickt.

Station Johannes

Roman | Markus Berges: Irre Wolken

›Irre Wolken‹ ziehen über die westfälische Provinz und werfen ihre Schatten über prägende Ereignisse zwischen verbotener Liebe und wahnsinnigem Glück. Nicht nur die Gefühle spielen verrückt im Leben eines 19-jährigen Aushilfspflegers in der Psychiatrie. Markus Berges, Sänger und Songschreiber der Band Erdmöbel, erzählt in seinem dritten Roman eine Coming-of-Age-Geschichte aus unruhigen Zeiten. Von INGEBORG JAISER