Nackt und bloß

Jugendbuch | Lena Hach: Nichts wünsche ich mir mehr

Zu keinem anderen Zeitpunkt im Leben ist man empfindlicher als in der Teenagerzeit. Das Leben scheint Unsicherheit pur zu sein. Wenn es dann tatsächlich zuschlägt, steht man nackt und bloß da. Was tun? Lena Hach erzählt eine harte Geschichte. Mit süßer Lösung. Von MAGALI HEIßLER

 Lena Hach - Nichts wuensche ich mir mehr - 9783407821911 | TeenagerzeitMitleid, nein, danke, Mitgefühl ebensowenig, Mitfühlen? Vielleicht. Eher doch nicht. Am besten Rückkehr zum Normalzustand, sofort! Genau das wünscht sich Katha, sehr, sehr, sehr. Es hat sie erwischt. Irreversibler Haarausfall mit sechzehn.

Auch mal eine Krankheit, mag man denken, angesichts der zahlreichen Romane über leidende Teenager jeder Couleur. Hach hält sich damit nicht auf. Sie stürzt ihre junge Heldin in eine Lebenskrise und die Leserin stürzt mit, ehe sie es recht bemerkt.

»Ich bin doch keine Talkshow«

Das sagt Katha einmal, die ihren Weg finden muss zwischen den geradezu panischen Bemühungen ihrer Mutter, Hilfe zu finden und den eigenen Entscheidungen darüber, was sie selbst braucht. Das Geschehen wird aus Kathas Sicht erzählt. Hach nützt aufs Beste die Freiheiten und gleichzeitigen Beschränkungen, die diese Perspektive bietet. Abgesehen davon, dass man als erfahrene Leserin genießt, was eine Schriftstellerin mittels der Ich-Perspektive erreichen kann, wenn sie sie beherrscht, – eine Seltenheit heutzutage – , bieten Kathas blinde Flecken die Ansatzpunkte für Konflikte, die die ganze Geschichte so realistisch klingen lassen. Hier muss sich keine am Storyboard Komplikationen aus den Fingern saugen, der Ablauf ergibt sich vermeintlich natürlich. Nichts bekommt einem Roman besser.

Wie geht man damit um, wenn man an einer entstellenden Krankheit leidet? Keine Hilfe von außen scheint zu genügen. Abwehr, Fluchtreflex, Verstecken, Leugnen sind Kathas Reaktionen. Sie geht sehr weit, sie setzt nicht nur Freundschaften, sondern sogar eine Liebe aufs Spiel. Reden über den Haarausfall will sie nicht. Erkennen, dass einmal der Zeitpunkt dafür gekommen ist, will man nicht Wesentliches verlieren, ist sehr schwer. Vor allem erkennen, was denn nun wesentlich ist, ist eine Herausforderung. Viel Spannung ergibt sich eben aus der inneren Diskussion des rechten Zeitpunkts. Dass das unaufdringlich geschieht, heimlich nagend auch an der Leserin, gehört zu den Leistungen dieses Jugendromans.

Zuckerguss

Warum diese sehr gute und empfehlenswerte Geschichte mit einer beeindruckenden Hauptfigur, deren Kosmos in all seiner Individualität aufgebaut und ausgebreitet wird, in der zweiten Hälfte in die Süßigkeitenabteilung eines Supermarkts abdriftet, verstehe, wer will. Immerhin ist es ein besserer Supermarkt. Trotzdem ist Jasper viel zu reif für sein Alter, Kathas Bruder trotz seines seltsamen Sinns für Humor zu verständnisvoll und seine Flamme Tiffi funktioniert in ihrer Perfektion bei aller Liebenswürdigkeit mit Mühe auf dem Papier. Ähnliches gilt für die beiden besten Freundinnen Kathas. Vom Auftritt einer weiteren von Haarausfall Betroffenen ganz zu schweigen. Das ist Märchenwelt, knapp vor dem gedankenlosen Trost für schwerst Geschädigte. Es mag Mut machen, aber es verliert die Echtheit und die Überzeugungskraft des ersten Teils.

Vieles klingt, als weiche die Autorin plötzlich den Konflikten aus, die im ersten Teil so großartig aufgebaut wurde. Plötzlich werden Rücksichten genommen auf alle erdenklichen Empfindsamkeiten. Die dunklen Wolken werden von grell rosaroten abgelöst.
Warum es dennoch funktioniert? Weil Hach ausgezeichnet formulieren kann. Keine Sentimentalitäten, kein Kitsch, nicht einmal in hochemotionalen Liebesszenen. Flapsigkeiten gibt es auch nicht, sprachlich geht Hach niemals den einfachen Weg. Billig ist in diesem Buch auch der Zuckerguß nicht.

Nicht nur eine neue Krankheit für leidende und mitleidige Teenager also, ist es, was der kleine Roman bietet, sondern eine ernstzunehmenden Geschichte über eine Sechzehnjährige heute, die erfährt, wie ihr etwas, das sie für selbstverständlich angesehen hat, genommen wird und daher lernen muss, wie man normal leben kann, wenn Wichtiges eben nicht mehr ‚normal‘ ist.

| MAGALI HEIẞLER

Titelangaben
Lena Hach: Nichts wünsche ich mir mehr
Weinheim: Beltz & Gelberg 2017
2015 Seiten. 12,95 Euro
Jugendbuch ab 15 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

2017: The Albums Of The Year So Far

Nächster Artikel

Lecker!

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Von echten Männern und dem wilden Meer

Nikolaus Hansen(Hg.): Auf Kaperfahrt. Von Piraten, Stürmen und Klabautermännern Das Meer lockt von jeher mit seiner scheinbar unendlichen Weite, ungeahnten Tiefen und Tausenden Geheimnissen. Es zu befahren, kann schnell ein Kampf ums pure Überleben werden, so fremd und unbezähmbar ist dieses Element. Was eignet sich besser als Gegenstand spannender Geschichten? Nikolaus Hansen hat aus den vielen vierundzwanzig ausgewählt und präsentiert sie in einer gelungenen Anthologie. Von MAGALI HEISSLER

Der Blick über den Gartenzaun

Jugendbuch | Huntley Fitzpatrick: Mein Sommer nebenan Selbst bestimmen ist eine wichtige Forderung von Teenagern. Aber selbstbestimmtes Handeln hat Folgen und diese sind nicht immer leicht zu tragen. Zuweilen verändert sich dadurch die ganze vertraute Welt auf schmerzliche Weise. Eben diese Erfahrung läßt Huntley Fitzpatrick in Mein Sommer nebenan die siebzehnjährige Samantha machen, die trotz strengem Verbot ihrer Mutter dem heimlichen Blick in den Nachbarsgarten Taten folgen lässt. Von MAGALI HEISSLER

Zu den Wurzeln

Jugendbuch | Efua Traoré: Sister Spirit

Tara wird von wiederkehrenden Albträumengeplagt, die sie nicht einzuordnen vermag. Irgendwie haben die Träume etwas mit ihrer nigerianischen Herkunft zu tun. Aber was? Tara ist fest entschlossen, hinter das Geheimnis zu kommen. Von ANDREA WANNER.

Guerilla-Häkeln

Jugendbuch | Anne Becker: Luftmaschentage

Matea ist unglaublich schüchtern und kann nur mit wenigen Personen reden: in der Familie, bei der alten Frau Loose, bei ihrer Freundin Charlotte. Und dann freundet sie sich ausgerechnet mit Riccarda, der Neuen in ihrer Klasse an, die eine ausgesprochen große Klappe hat. Das ist der Beginn einer Freundschaft mit Hindernissen, die ANDREA WANNER einfach großartig findet.

Tanz mit dem Traumprinzen

Jugendbuch | Beate Dölling: Ali und die vierzig Küsse Wer möchte ihn nicht im Arm halten, den Traumprinzen. Fantastisches Aussehen, fantastische Fähigkeiten und die Überzeugung, dass man selbst die Einzige für ihn ist, kann es Schöneres geben? Im Traum nicht. Bei Licht besehen schon. Da kann man gewaltig ins Stolpern geraten und nicht nur auf der Tanzfläche. Beate Dölling hat ein Märchen geschrieben, mit einer Brise frischen Winds. Von MAGALI HEISSLER