Jugendbuch | Lena Hach: Nichts wünsche ich mir mehr
Zu keinem anderen Zeitpunkt im Leben ist man empfindlicher als in der Teenagerzeit. Das Leben scheint Unsicherheit pur zu sein. Wenn es dann tatsächlich zuschlägt, steht man nackt und bloß da. Was tun? Lena Hach erzählt eine harte Geschichte. Mit süßer Lösung. Von MAGALI HEIßLER
Mitleid, nein, danke, Mitgefühl ebensowenig, Mitfühlen? Vielleicht. Eher doch nicht. Am besten Rückkehr zum Normalzustand, sofort! Genau das wünscht sich Katha, sehr, sehr, sehr. Es hat sie erwischt. Irreversibler Haarausfall mit sechzehn.
Auch mal eine Krankheit, mag man denken, angesichts der zahlreichen Romane über leidende Teenager jeder Couleur. Hach hält sich damit nicht auf. Sie stürzt ihre junge Heldin in eine Lebenskrise und die Leserin stürzt mit, ehe sie es recht bemerkt.
»Ich bin doch keine Talkshow«
Das sagt Katha einmal, die ihren Weg finden muss zwischen den geradezu panischen Bemühungen ihrer Mutter, Hilfe zu finden und den eigenen Entscheidungen darüber, was sie selbst braucht. Das Geschehen wird aus Kathas Sicht erzählt. Hach nützt aufs Beste die Freiheiten und gleichzeitigen Beschränkungen, die diese Perspektive bietet. Abgesehen davon, dass man als erfahrene Leserin genießt, was eine Schriftstellerin mittels der Ich-Perspektive erreichen kann, wenn sie sie beherrscht, – eine Seltenheit heutzutage – , bieten Kathas blinde Flecken die Ansatzpunkte für Konflikte, die die ganze Geschichte so realistisch klingen lassen. Hier muss sich keine am Storyboard Komplikationen aus den Fingern saugen, der Ablauf ergibt sich vermeintlich natürlich. Nichts bekommt einem Roman besser.
Wie geht man damit um, wenn man an einer entstellenden Krankheit leidet? Keine Hilfe von außen scheint zu genügen. Abwehr, Fluchtreflex, Verstecken, Leugnen sind Kathas Reaktionen. Sie geht sehr weit, sie setzt nicht nur Freundschaften, sondern sogar eine Liebe aufs Spiel. Reden über den Haarausfall will sie nicht. Erkennen, dass einmal der Zeitpunkt dafür gekommen ist, will man nicht Wesentliches verlieren, ist sehr schwer. Vor allem erkennen, was denn nun wesentlich ist, ist eine Herausforderung. Viel Spannung ergibt sich eben aus der inneren Diskussion des rechten Zeitpunkts. Dass das unaufdringlich geschieht, heimlich nagend auch an der Leserin, gehört zu den Leistungen dieses Jugendromans.
Zuckerguss
Warum diese sehr gute und empfehlenswerte Geschichte mit einer beeindruckenden Hauptfigur, deren Kosmos in all seiner Individualität aufgebaut und ausgebreitet wird, in der zweiten Hälfte in die Süßigkeitenabteilung eines Supermarkts abdriftet, verstehe, wer will. Immerhin ist es ein besserer Supermarkt. Trotzdem ist Jasper viel zu reif für sein Alter, Kathas Bruder trotz seines seltsamen Sinns für Humor zu verständnisvoll und seine Flamme Tiffi funktioniert in ihrer Perfektion bei aller Liebenswürdigkeit mit Mühe auf dem Papier. Ähnliches gilt für die beiden besten Freundinnen Kathas. Vom Auftritt einer weiteren von Haarausfall Betroffenen ganz zu schweigen. Das ist Märchenwelt, knapp vor dem gedankenlosen Trost für schwerst Geschädigte. Es mag Mut machen, aber es verliert die Echtheit und die Überzeugungskraft des ersten Teils.
Vieles klingt, als weiche die Autorin plötzlich den Konflikten aus, die im ersten Teil so großartig aufgebaut wurde. Plötzlich werden Rücksichten genommen auf alle erdenklichen Empfindsamkeiten. Die dunklen Wolken werden von grell rosaroten abgelöst.
Warum es dennoch funktioniert? Weil Hach ausgezeichnet formulieren kann. Keine Sentimentalitäten, kein Kitsch, nicht einmal in hochemotionalen Liebesszenen. Flapsigkeiten gibt es auch nicht, sprachlich geht Hach niemals den einfachen Weg. Billig ist in diesem Buch auch der Zuckerguß nicht.
Nicht nur eine neue Krankheit für leidende und mitleidige Teenager also, ist es, was der kleine Roman bietet, sondern eine ernstzunehmenden Geschichte über eine Sechzehnjährige heute, die erfährt, wie ihr etwas, das sie für selbstverständlich angesehen hat, genommen wird und daher lernen muss, wie man normal leben kann, wenn Wichtiges eben nicht mehr ‚normal‘ ist.
Titelangaben
Lena Hach: Nichts wünsche ich mir mehr
Weinheim: Beltz & Gelberg 2017
2015 Seiten. 12,95 Euro
Jugendbuch ab 15 Jahren
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