Jugendbuch | Christine Heppermann: Frag mich, wie es für mich war
Unerwartet schwanger als Teenager, nicht leicht. Addie trifft ihre Entscheidung, auch nicht leicht. Auf die Folgen war sie nicht gefasst. Darauf, dass ausgerechnet Maria zur Reflexionsfigur wird, aber am allerwenigsten. Von MAGALI HEIẞLER
Addie besucht eine katholische Privatschule. Sie hat einen festen Freund, aber so richtig verliebt ist sie nicht in ihn. Nick ist der beste Freund des Freunds und viel sympathischer. Als Addie erfährt, dass ihr Freund unter der Hand eine Andere hat, wechselt sie gern zu Nick. So passiert es. Die beiden sind unachtsam, Addie wird schwanger. Sie entscheidet sich für den Abbruch. Vor allem aber entscheidet sie sich, niemandem davon zu erzählen, abgesehen von ihren Eltern, deren Zustimmung sie als Minderjährige braucht, und Nick.
Ihr Schweigen wird jedoch zu einer Bürde, die immer schwerer auf ihr lastet. Eine Auseinandersetzung mit der biblischen Maria nimmt den Druck. Aber Maria ist das eine, die lebendigen Menschen um Addie herum das andere. Die Realität fordert ihr Recht. Addie steht vor einer zweiten Entscheidung. Die will sie aber nicht treffen.
Kühn in jeder Hinsicht
Nicht nur Heppermanns Themawahl ist kühn, auch ihre Art, es zu diskutieren und die Darstellungsform sind es. Es ist ein Roman in Gedichtform, sagt die Autorin. Ob die Kurztexte, mit denen Addies Geschichte erzählt wird, als Gedichte gelten können, sei dahingestellt. Was sie auf jeden Fall sind, sind sprachlich komprimierte Texte, selten mehr als eine Buchseite lang, häufig kürzer. Das angemessen zu übersetzen, war sicher nicht einfach. Gelungen ist es, jedenfalls liest es sich ohne Anstoßen.
Schlaglichtartig bekommt die Leserin Einblick in Addies Gefühle, ihre Ansichten, ihre innere Entwicklung. Beeindruckend etwa ist die Wiedergabe der tiefen Angst einer sehr jungen Frau vor dem Schwangersein.
Null Kondome macht
Bittebittebitte nicht drei.
Die Überschrift, »Eine riskante Gleichung«, erledigt den Rest. Man muss nicht einmal Gedichte lesen können, um die Intensität der Gefühle zu erfassen.
Der katholische Hintergrund entfaltet eine besondere Dimension. Die Autorin beschränkt sich keineswegs darauf, die dazugehörigen Moralvorstellungen im Kontext der heutigen Zeit zu diskutieren. Sie nutzt ihn auch, um Addies Emanzipationsprozess aufzuzeigen. Es geht um nichts weniger als die Bedeutung des weiblich Seins und seinen gesellschaftlichen Folgen.
Raffiniert wird das eigentliche Problem eingeflochten, die Scham. Scham, sich schämen, das Schweigen und seine Folgen, all das muss Addie durchmachen. Trotzig, traurig, schnoddrig oder bestens ausformuliert berichtet sie davon. Pro-Life-Bewegung, Selbstbestimmung, Kindsein, Erwachsenwerden, es wird alles präsentiert.
Heppermann ist dabei nicht nur kühn, sondern auch erbarmungslos und offenherzig. Die kurzen Texte, die de facto von Addie gesprochen bzw. gedacht werden, enthalten zahlreiche Kanten und Haken, an denen man sich so verletzen kann, wie sich Addie verletzt hat. Die Rolle von Frauen in der modernen Gesellschaft ist alles andere als ein kuscheliger Ort.
Sich stellen
Addie ist Sportlerin, Läuferin. Das Motiv weiß Heppermann gut zu nutzen. Laufen bedeutet aufbrechen, aber auch flüchten, weiterkommen oder stets die gleichen Runde drehen, nur immer schneller. Zuweilen muss man stehenbleiben, um vorwärtszukommen.
Obwohl Addie von einer Anzahl anderer Figuren umgeben ist, bleibt sie eine auffällig einsame Protagonistin. Das ist einerseits erklärlich, geht es doch um ihre innere Entwicklung. Zudem ist sie in den Krisenzeiten nicht empfänglich für Einfluss von außen, wie etwa Nick zu spüren bekommt oder die beste Freundin Claire. Trotzdem wundert man sich ein wenig beim Lesen, dass ihre Eltern so schnell zur Tagesordnung übergehen und manche merkwürdigen Vorkommnisse nicht oder zu spät registrieren. Man sollte doch meinen, dass Eltern eine Tochter, die einen Schwangerschaftsabbruch hinter sich hat, das Mädchen etwa genauer im Auge behalten.
Als echter Wurf kann der Einfall gelten, Addie und die Überlieferung der Gestalt Marias zusammenzuspannen. Das geschieht in Addies eigenen und besonders gekennzeichneten Gedichten. Dabei werden Fragen aufgeworfen, die die Ungeheuerlichkeit der immer noch bestehenden Abhängigkeit von Frauen überdeutlich machen.
Ausreden von Joseph anhören.
Dass er ja eigentlich
Kondome mitbringen wollte,
aber sie im anderen
Eselskarren hat liegenlassen
Abgesehen vom Inhalt der Kurztexte/Gedichte sind es die Überschriften, die die Akzente setzen und die Geschichte weitertreiben. In ihnen werden auch die entscheidenden Schlüsselwörter aufgeführt, sei es aus dem Bereich des Glaubens, von Engel bis Verdammnis, über Erbarmen, Sünde, Aberglaube wie auch die geltenden weltlichen Gegebenheiten. Schon über die Überschriften kann man gründlich nachdenken, noch bevor man anfängt, weiterzulesen.
Allerdings schafft man das beim ersten Lesen nicht. Die Geschichte ist zu spannend, Addie viel zu liebenswert, als dass man sie auch nur einen Moment aus den Augen lassen will und ihre Stimme auch nur einen Moment nicht mehr hören. Und ganz klar ist das, was dieses Buch so gut macht, der Umstand, dass hier Fragen aufgeworfen werden, statt Antworten zu geben.
Perfekt ist es nicht geworden, weil Heppermann am Ende ausrutscht. Politisch überkorrekt und zugleich am Mainstream hängend, entscheidet sie sich für das Konventionelle. Damit ist Addies Geschichte einerseits überfrachtet, andererseits verpasst sie die Chance, ihre Protagonistin aus Eigenem mutig in eine noch unbekannte Zukunft zu entlassen. Trotzdem ist dieses kleine Buch ganz sicher eines, dass lange im Gedächtnis bleibt. Und das ist gut so!
Titelangaben
Christine Heppermann: Frag mich, wie es für mich war
(2016 Ask Me How I Got Here, a.d. US-amerikanischen übers. von Kanut Kirches)
228 Seiten, 13,95 Euro
Weinheim: Beltz & Gelberg 2018
Jugendbuch ab 15 Jahren
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