»Geheimnisse sind Lügen«

Film | Im Kino: Das Sci-Fi -Drama ›The Circle‹

Würden sich die Menschen generell besser verhalten, wenn Sie wüssten, dass sie rund um die Uhr überwacht werden? Absolute Transparenz in allen Lebensbereichen klingt zunächst nach Totalitarismus in der Tradition George Orwells. Was aber, wenn jeder von uns höchstpersönlich daran beteiligt wäre, ohne es zu merken? So wie die strebsame Mae Holland im Sci-Fi- Drama ›The Circle‹, die glücklich über ihren Job bei der modernsten Firma der Welt ist. Doch wie hoch wird der Preis sein, den sie am Ende für Wissen und Informationen zahlen muss? ANNA NOAH ist skeptisch.

»Ich werde nie mehr woanders arbeiten!«

The CircleFür die 24-jährige Mae Holland (Emma Watson) beginnt ein neues Arbeitsleben in den lichtdurchfluteten Büros des Internetkonzerns Circle. Alle Kunden und Kollegen sind mit der einzigartigen Internetidentität »TruYou« ausgestattet, über die Bestellungen, Musik- und Filmabonnements, Online-Fotoalben und Zahlungen mit dem eigenen Namen abgewickelt werden.

Die Ära der falschen Identitäten, mehrfachen Benutzernamen und komplizierten Passwörter scheint vorüber. Alles ist miteinander verwoben und verfolgbar.Nebenbei glänzt der Campus der Firma mit allen Annehmlichkeiten eines hippen Internetkonzerns: Gratis-Konzerte, Partys, High-Class-Restaurants.

Doch für das tolle Beiwerk zahlt Mae einen nicht unerheblichen Preis: Sie wird gezwungen, im sozialen Netzwerk des Circle aktiv zu sein, jede Aktivität wird dokumentiert und kann von anderen Usern kommentiert werden. Es entsteht ein soziales Ranking, das für den jeden in der Firma einsehbar ist. Somit wird unterschwellig Druck ausgeübt.

Mae gewinnt innerhalb des Unternehmens rasch an Popularität – und zieht dadurch die Aufmerksamkeit des Circle-Gründers Eamon Bailey (Tom Hanks) auf sich. Er sieht in ihr nicht nur den perfekten »TruYou-User«, sondern auch eine Person, die seine Firma ideal repräsentiert. Eines Tages rettet eine von Baileys Überwachungskameras Mae das Leben, woraufhin sie sich entscheidet, an einem gewagten Experiment teilzunehmen. Dies hat katastrophale Folgen für das Leben ihrer Familie und Freunde.

»Etwas zu wissen ist gut. Alles zu wissen ist besser.«

Die Figur der Mae spiegelt eine Realität, die es bald geben könnte. Sie präsentiert den Durchschnittsbürger der Zukunft: immer online, immer eingebunden in den Informationsfluss. Den vielen neuen Eindrücken und dem Dauerfeuer an Aktivitäten und Kontakten der »schönen neuen Welt« entflieht sie in Ruhestunden auf ihrem Paddelboot in der San-Francisco-Bucht.

Ihr Leben und das ihrer Eltern werden im Verlauf des Films vom Circle neu definiert und »verbessert«. Mae? bringt Ideen in die Firma und zeigt auf ihre Art und Weise, wie das Leben der vernetzten Menschen bald aussehen könnte. Spätestens ab hier macht das Prinzip Transparenz versus Privatsphäre Angst.

Imposante Bilder tragen zur extremen Reizüberflutungs-Atmosphäre des Films bei. Immer mal wieder werden Sprechblasen mit Usermeinungen eingeblendet, die Maes permanente Auseinandersetzung mit zahlreichen Standpunkten verdeutlichen – was durchaus verwirrend wirkt und den Informationsüberfluss symbolisiert. Fast zu sehr am Rande steht der grandiose Soundtrack von Danny Elfman, der unter anderem die Musik für »Fight Club« und zahlreiche Tim-Burton-Filme komponiert hat.

 
 

»Die Zukunft wartet nicht.«

Tom Hanks brilliert in ›The Circle‹ als Prototyp eines Unternehmers der neuen Generation. Die weltweiten Daten der Menschen möchte er gerne nutzen; sein eigenes Leben hingegen schottet er rigoros ab. Die Firmengründer wollen, dass der Circle alles in einem ist: soziales Umfeld und Arbeitsumgebung gleichermaßen. Durch die Verwischung sozialer Grenzen schrumpft der persönliche Freiraum. Die Entgrenzung wird zum sozialen Gefängnis. Irgendwie unheimlich!

The Circle zeigt, dass die ständig zunehmende Datensammlung über menschliche Gewohnheiten gefährlich werden kann. In diesem Falle besonders für diejenigen, die sich dem entziehen wollen. Maes Jugendfreund Mercer beispielsweise ist nicht im Internet vertreten. Er will einfach nur in Ruhe seiner Kunstleidenschaft nachgehen. Doch durch Maes Teilhabe-Aktivitäten wird er in die ›Circle-Community‹ hineingezogen – und dort gedemütigt. Immer deutlicher wird, dass die Medaille der Datenerhebungen zwei Seiten besitzt: Eine die das Leben verbessern kann, denn Wissenschaftler, Patienten, Polizisten, Bildungseinrichtungen profitieren davon; andererseits besteht jedoch die Gefahr, die eigene Individualität aufzugeben.

Privatsphäre als Verstoß

Es fällt auf, dass keiner der Angestellten beim Circle Nachwuchs hat. Da drängen sich mehrere Fragen auf: Verschwindet die Intimsphäre zwischen zwei Menschen durch die freiwillige Überwachung? Ist die ganze Welt stets immer bei allem dabei – eine sonderbare, beängstigende Vorstellung. Oder bleiben durch das Rankingsystem und ein ausgeklügeltes Freizeitangebot gar keine Zeit mehr für andere Dinge – wie zum Beispiel Nachwuchs?

Die erste Frage lässt der Regisseur James Ponsoldt gekonnt offen. Stattdessen konzentriert er sich auf die zweite: die Vereinnahmung aller Mitarbeiter durch den Konzern. Und, wie man die Vorzüge einer transparenten Gesellschaft mit den Bedürfnissen der Menschen nach Privatsphäre in Einklang bringen kann, wenn diese zum kriminellen Verstoß wird.

Man schenkt anderen Usern Macht über sich selbst, unterwirft sich. Dies zeigt der Film sehr eindrücklich und schonungslos. Der Zuschauer wird aufgefordert, darüber nachzudenken, wo die Gesellschaft möglicherweise hinsteuert. Will man wirklich in einer solchen leben?
Der Slogan der Firma »Je mehr Wissen wir mit anderen teilen, umso besser wird unser aller Leben sein« stimmt daher nur bedingt und ist abhängig von der Individualität des Menschen sowie dessen Überzeugungen.

| ANNA NOAH

Titelangaben
The Circle

Regie/Drehbuch: James Ponsoldt
Darsteller/Cast:
Mae Holland: Emma Watson
Eamon Bailey: Tom Hanks
Mercer: Ellar Coltrane

Kamera: Matthew Libatique
Musik: Danny Elfman

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