/

Detektive sind wieder in

Roman | Lisa Sandlin: Ein Job für Delpha

14 Jahre hat Delpha Wade im Gefängnis von Gatesville/Texas gesessen. Und während dieser Zeit die Beatles, die Beach-Boys, die Supremes und Gott weiß noch welche Superband der goldenen sechziger Musikjahre verpasst. Nun ist sie wieder draußen und sucht einen Job. Man schreibt das Jahr 1973 und mithilfe ihres eifrigen Bewährungshelfers kommt Delpha in einem eben gegründeten Detektivbüro unter. Klar, dass da die Probleme nicht lange auf sich warten lassen. Von DIETMAR JACOBSEN

Beaumont im Südosten des Bundesstaates Texas. Hier lebt man vom Öl, fährt übers Wochenende an den Golf von Mexiko und verfolgt im Mai 1973 zusammen mit ganz Amerika gespannt, wie Präsident Nixon mehr und mehr in die Watergate-Bredouille gerät.

Es ist der Sommer, in dem Delpha Wade nach 14 Jahren aus dem Gefängnis in Gatesville freikommt. Anderthalb Jahrzehnte zuvor hat die eigentlich friedfertige Frau ein bisschen zu viel Gewalt gebraucht, um sich zwei Vergewaltiger vom Hals zu halten, Vater und Sohn. Nun ist sie wieder draußen und will nichts dringlicher, als ins normale Leben zurückzukehren, einen Job zu ergattern und ein paar Quadratmeter zu finden, die sie fortan ihr Zuhause nennen kann.

Allein das ist nicht leicht. Denn Delpha eilt der Ruf einer kaltblütigen Mörderin voraus. Und so helfen zunächst auch die goldenen Regeln nicht, die ihr Bewährungshelfer seinen Schützlingen zwecks Wiedereingliederung in die Gesellschaft empfiehlt. Bis sie auf Tom Phelan stößt – Vietnam-Veteran, Ex-Arbeiter auf einer Ölplattform, was ihn einen Finger gekostet hat, und angehender Privatdetektiv. Ein Greenhorn in Sachen Schnüffelei, dem man zu allem Übel die fehlende Erfahrung ansieht. Auch er scheint zunächst wenig Geschmack an einer Sekretärin zu finden, doch als sich Delpha im Umgang mit seinen ersten Kunden als überaus geschickt erweist, akzeptiert er sie schnell als etwas zu seinem neuen Leben Dazugehörendes.

Ein Holzbein in Geiselhaft

Tom und Delpha also. Man siezt sich auf ihren Wunsch und gewöhnt sich im Übrigen schnell aneinander. Die Aufträge, die das Büro an Land zieht, sind wenig spektakulär. Natürlich geht es wie in jeder Detektei um Ehebruch, verschwundene Familienmitglieder und Erbstreitigkeiten. Eine Schwester hält das Holzbein ihres Bruders in Geiselhaft, bis der sich erweichen lässt, einen Schaukelstuhl aus der Hinterlassenschaft der Eltern herauszurücken. Alles in allem passiert kaum etwas, das Tom Phelan nicht mithilfe der zu jedem privaten Ermittler gehörenden Grundausrüstung – »Brechstange, Schraubenschlüssel, Hammer, Seil, Schnur, Tüten, große und kleine Taschenlampe, Wechselklamotten, Regenmantel, mehrere Hüte« – in den Griff bekäme.

Allein man ahnt ziemlich schnell, dass sich hinter den drei, vier nicht unbedingt Riesen an Denk- und Muskelkraft verlangenden Fällen Zusammenhänge verbergen, welche sich, einmal erkannt, als groß und gefährlich für Sandlins sympathische Helden erweisen können. Und so geht es denn auch plötzlich um mehr als um Holzbeine und untreue Gatten. Stattdessen hat man es mit Industriespionage, gefährlichen Bakterien, falschen Ehefrauen und einem Serienmörder zu tun, der Delpha in tödliche Gefahr und Tom gehörig ins Schwitzen bringt.

Detektivroman? Da war doch mal was …

Ein Job für Delpha ist ein Detektivroman. Das klingt selbstverständlicher, als es heute ist. Denn seit den großen Klassikern des Genres und ihren Helden – von Sherlock Holmes bis Sam Spade, von Hercule Poirot bis Philip Marlowe und den übergewichtigen Nero Wolfe – hat es kaum mehr herausragende Detektivromane gegeben. Nun machen sich mit Amanda Pharrell und Ted Conkaffey (Candice Fox: Crimson Lake, Suhrkamp 2017) in Australien und eben Delpha Wade und Tom Phelan in Beaumont/Texas gleich zwei im besten Sinne »merkwürdige« Pärchen auf, das Genre wiederzubeleben. Und es gelingt ihnen mit ihrem jeweiligen ersten Abenteuer durchaus, im Leser die Lust auf mehr zu wecken. Auch weil das Machohafte, das einst zum Detektivroman gehörte wie König Artus zur Tafelrunde, nur noch als ironisches Spurenelement auftaucht, beide Autorinnen ihr schriftstellerisches Handwerk verstehen und sich Figuren ausgedacht haben, die aufgrund ihrer Außenseiterpositionen von vornherein das Interesse des Lesers wecken.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Lisa Sandlin: Ein Job für Delpha
Aus dem amerikanischen Englisch von Lisa Stumpf
Berlin: Suhrkamp Verlag 2017
354 Seiten. 9,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Lange Schatten

Nächster Artikel

Ein Leben zwischen Schall und Rauch

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Ich heiße Bishudo

Film | TV: ›TATORT‹ Mord ist die beste Medizin (WDR), 21. September Nach ein, zwei ernsthafteren Folgen fällt der ›TATORT‹ aus Münster wieder auf die gewohnte Ulknudel-Schiene. Schade eigentlich. Der Kriminalfall selbst ist originell und im Großen und Ganzen realistisch angelegt, er tritt bei all den Frotzeleien und der angestrengten Komik in den Hintergrund. Von WOLF SENFF

Wer viel fragt, kriegt viel Antwort

Kriminalroman | Gerhard Henschel: Soko Heidefieber

Eines der Bestsellersegmente in der Literaturszene: der Regionalkrimi. Wie am Fließband rausgehauen, und oft so schlecht, dass es einen graust. So ist es wohl Gerhard Henschel gegangen, denn in seinem neuen Roman bringt er sie einfach alle um. Und unterhält mit seinem »Überregionalkrimi« prächtig. Von GEORG PATZER

Zehn Tage für die Jagd auf einen Mörder

Roman | Jo Nesbø: Blutmond

Nach seinem letzten Fall ist Harry Hole wieder einmal aus Oslo verschwunden. Nichts hielt ihn mehr in der Heimat nach der Ermordung seiner Frau und dem Freitod eines zwielichtigen Kollegen und ehemaligen Freundes. Doch nach wie vor wird der Mann gebraucht, wenn es die heimische Polizei mit einem Serientäter zu tun bekommt. Und so wundert es auch nicht, dass Hole nach der brutalen Ermordung zweier junger Frauen plötzlich wieder da ist. Aber er arbeitet diesmal nicht für die Osloer Polizei, sondern im Auftrag jenes Mannes, den Ermittlungsorgane und Presse für dringend verdächtig halten, die beiden Frauen getötet zu haben. Und Hole hat noch dazu wenig Zeit. Denn in Los Angeles hat er ein Versprechen gegeben, das er unbedingt zu halten gedenkt. Von DIETMAR JACOBSEN

Zwischen Glaswolle und Gummiknüppeln

Roman | Frank Goldammer: Juni 53

Mit seiner Reihe um den Dresdener Kriminalpolizisten Max Heller hat Frank Goldammer (Jahrgang 1975) es längst in die Bestsellerlisten geschafft. Band 5 heißt Juni 53 und spielt mit seinem Titel auf die Tage der Arbeiterproteste in der DDR an. Auch in Dresden gehen aufgebrachte Werktätige auf die Straße. Man protestiert gegen kaum erfüllbare Produktionsnormen, Versorgungsengpässe und eine Regierung, die ihre Direktiven gnadenlos nach unten durchdrückt und vor der bedrückenden Realität die Augen verschließt. Dass der brutale Mord im VEB Rohrisolation, den Heller und sein Kollege Oldenbusch aufklären sollen, etwas mit den am 17. Juni in vielen Städten in Gewalt umschlagenden Aufständen zu tun hat, steht für einen mitermittelnden Stasi-Offizier schnell fest. Doch Max Heller verfolgt eine andere Spur. Von DIETMAR JACOBSEN

Wer austeilt, muss einstecken

Film | Im TV: ›TATORT‹ Niedere Instinkte (MDR), 26. April Nach zehn Minuten hab‘ ich spontan ausgeschaltet. Ich hatte glaub‘ ich nichts verstanden, kein Stück. Kindesentführung und kein Sexualdelikt. Wasserrohrbruch. Tibetanische Zen-Gesänge. Das ist zu viel, das überfordert jeden. Sicherheitshalber hab‘ ich mich aber doch noch informiert: ein bewährter, erfahrener Regisseur, ein vielversprechendes Ensemble, und zögernd hab‘ ich mich dann eingeklinkt. Von WOLF SENFF