/

Vier Gedichte

Textfeld | Ingrid Glienke: Vier Gedichte

AQUANAUTEN

straßen kanäle nach norden geöffnet
schnee stiebt in feinen kristallen
leuchtet auf in lichthöfen
glitzernde fischschwärme im strom
auf kommando der windböen
drehen ins waagerechte gehen auf fühlung
trommeln eisschuppen ins gesicht
frostflössel vor die wimpern
zwischen uns treiben hände
lederhäutige unterwassergewächse

In: Lyrik der Gegenwart, Anthologie zum Feldkircher Lyrikpreis 2015,
(Hg. Erika Kronabitter), 2015


CAITHNESS

1.
kabbeliges wasser im hafenbecken
die mole von brechern überrollt
kein übersetzen zur verlassenen insel
ein stück weit draußen im meer
vor ein paar jahren zogen die letzten
bewohner jetzt nur noch schafe
das hotel geschlossen
an der blätternden fassade
eine rostige wendeltreppe
fängt sirrende halbtöne ein
jagt sie das eisengestänge entlang
ein gehörgang nach außen gewachsen
2.
fahren die leere straße zurück
hören im radio leonard cohen
halten an als birkhühner auftauchen
die hähne schwarz der kopfstolz pomponrot
take this waltz take this waltz singt er
als die hennen herantänzeln

In: Versnetze zehn, Deutschsprachige Lyrik der Gegenwart,
(Hg. Axel Kutsch), 2017


MARMOR

die berge aufgeschnitten beraubt
blinzeln gleißende lichter auf
die netzhaut flimmerndes schwarz
wir steigen durch schneereste
hinab durch dornenkrallengestrüpp
auf den flanken des winters
trage den block im innern verborgen
hinter der wattierten weste und
einem unbeholfenen lachen

In:
Ingrid Glienke,Septemberroad, Reihe Poesie 21,
(Hg Anton G. Leitner), 2013


HALBINSEL

hagel fällt ins bild
zerklopft die farben des wassers
grundlos das grau hinter der weide
und keine frage warum
davor flecken in weiß
die hand noch angespannt vom
schweigen zieht alles vorbei
im geknickten gras
zersingt eine amsel den rahmen

In:
Septemberroad (s. o.)

| INGRID GLIENKE

Ingrid Glienke liest am Mittwoch, den 18.10., 19.00,
im Kulturcafé Chavis, Hamburg, Detlef-Bremer-Straße 41

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Auf den Grund des Lebens gesehen

Nächster Artikel

Eine grandiose Wiederentdeckung

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

Leihweise

Lyrik | Vierzeiler der Woche – von Michael Ebmeyer  Einmal hatte ich den Schaden doch für den Spott war nicht gesorgt

Drei Gedichte

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte

Der berühmte Lichtblick

 

Heute hat er sich wieder gezeigt

ein paar Minuten lang, war dann weg

für den Rest des ganzen Tags

und das aufwallende Herz

fiel zurück in seine Kammer.

In Tuwa / Insektendompteur

Lyrik | Anette Hagemann: Gedichte In Tuwa Zwei Straßen nur führen nach Kysyl, und es reiten dort die Jungen und die Alten einhändig auf den Pferden: Als geschmeidige Zentauren bewegen sie sich durch die Steppe, die so weit ist, wie die Gesänge kehlig klingen und der Blick mancher Augen ins Unabsehbare geht – umgeben von Falten, verschmitzt, wie geschnitzt, genauso wie die Seen hier von Zweigen und Strauchwerk umgeben sind. Und manchmal gurren die Kamelkälber am helllichten Tag wie geschwätzige Uhus und in der Hauptstadt gründen die Schamanen Gemeinschaftspraxen

Von Tieren und Menschen und Tieren im Menschen

Lyrik | Mikael Vogel: Massenhaft Tiere Jahrtausendelang hat die Menschheit mit Tieren unter einem Himmel und unter einem Dach zusammengelebt. Seit den Fortschritten der Industrialisierung und Automatisierung, die einhergingen mit dem dschungelhaften Wachstum der Städte, gerät diese intime Beziehung zwischen Mensch und Tier immer mehr in den Hintergrund. Von MATTHIAS FALLENSTEIN

Ein Anhalten der Luft

Lyrik | Peter Engel: Ein Anhalten der Luft

Mein Fenster schneidet helles Herbstblau
aus dem Himmel heraus, es leuchtet
zu mir herein auf den Schreibtisch
und wird in Zeilen eingehegt,
sie blauen meine Wörter ein,
jeder Satzwinkel wird aufgehellt.