Die neue ›Berlin University Press‹, die sich als populäres und gleichzeitig wissenschaftliches Leitmedium in der deutschen Verlagswelt etablieren will, startet ihr Programm klugerweise unter anderem mit einer Sammlung von Aufsätzen des Kunsthistorikers Gottfried Boehm, der wie kein anderer die interdisziplinär bedeutende Strömung der Bildwissenschaften prägte. »Wie Bilder Sinn erzeugen« führt Fachleute und interessierte Laien gleichermaßen in das weite Feld der Beschäftigung mit den theoretischen Grundlagen der Bilder ein. Von SEBASTIAN KARNATZ
Der erste Eindruck: schlichte Eleganz. Fast zeitlos anmutende Schönheit. Ohne Zweifel, die Opsis der neu gegründeten ›Berlin University Press‹ weiß zu überzeugen. Gottfried Boehms Aufsatzsammlung ›Wie Bilder Sinn erzeugen‹ ist hier vom visuellen Standpunkt aus betrachtet in diesem Verlag sehr gut aufgehoben. Die zahlreichen Farbreproduktionen befriedigen qualitativ die Ansprüche selbst des kritischsten Betrachters und sind übersichtlich in den Text eingearbeitet – diese Verbindung von Wort und Bild ist schon einmal gelungen.
Denn dass ›logos‹ und ›eikon‹ nicht immer in einem spannungsfreien Verhältnis zueinanderstehen, ist eine der wichtigsten Botschaften des arrivierten Kunsthistorikers und Philosophen Gottfried Boehm. Dem Fachpublikum ist Boehm durch zahlreiche Publikationen, in denen er unter anderem das viel diskutierte Schlagwort des ›iconic turn‹ maßgeblich prägte, wohlbekannt. Doch seine neue Aufsatzsammlung richtet sich auch an interessierte Laien – also an all jene, die Bilder nicht nur betrachten, sondern auch bedenken wollen.
Die Magie der Bilder
Bilder üben eine suggestive Faszination auf den Betrachter aus, sie bedeuten stets mehr als ihre eigene Materialität: Sie sind eben nicht nur das Substrat aus – ein Beispiel von vielen – Leinwand und Farbe: »Bilder sind spannungsgeladene real-irreale Körper.« Um diese Feststellung kreisen alle weiteren Betrachtungen Boehms, die nahezu im Vorbeigehen das weite Feld von antiker Kunst bis hin zu zeitgenössischen Computertomogrammen abdecken. Allerdings liegt hier auch schon eine grundsätzliche Problematik der bildtheoretischen Ansätze Gottfried Boehms: Das Irreale, das Immaterielle, das in seinen Augen den starken Bildern – das Gegenteil rein abbildender, schwacher Bilder wie z. B. einer Röntgenaufnahme – zugrunde liegt, determiniert auch ihre dazugehörige Theorie.
Wer also Boehm nicht in das Reich der pikturalen »Metaphysik« folgen will, steht am reich dekorierten Palast seiner Bildtheorie, metaphorisch gesprochen, vor verschlossenen Türen. Wer sich allerdings mit Gottfried Boehm als Führer in die Welt der verzauberten Bilder aufmacht, der wird reichlich mit anregenden Reflexionen belohnt werden.
Die versammelten Aufsätze bewegen sich nämlich gerade nicht auf ausschließlich intellektuell-abstrakter Ebene, sondern gehen zumeist von ganz konkreten Beobachtungen, also von den Bildern selbst aus. Auf diese Weise erfährt der Leser Wissenswertes über so unterschiedliche Bildwerke wie Giorgiones »La Vecchia«, Peter Paul Rubens »Bauerntanz« oder Andy Warhols Camouflage-Malerei.
Mittels exemplarischer Analyse verdeutlicht Boehm seine Grundthesen, erklärt den staunenden Lesern die Konzeption der »ikonischen Differenz«, die Bild- und damit auch Ideengeschichte der Landschaft und die Probleme einer rein sokratischen Bildbefragung. Auch das Thema der »wissenschaftlichen« Bilder, das Julia Voss erst kürzlich in ihrer Dissertation ›Darwins Bilder‹ ausführlich bearbeitet hat, schneidet Boehm immer wieder thesenhaft an.
Von Bildern reden
Da alle Beiträge thematisch um das geheime Innenleben der Bilder kreisen, ergibt sich trotz der großen zeitlichen Spannweite von mehr als zehn Jahren, die zwischen dem chronologisch ersten und dem jüngsten Aufsatz aus diesem Jahr liegen, ein insgesamt stimmiges Gesamtbild. Als einziger Wehmutstropfen erscheint dabei nur das ab und an variierende Sprach- und Anschaulichkeitsniveau der einzelnen Arbeiten. Gerade die wenigen eher für das Fachpublikum gedachten Beiträge dürften bei Laien durchaus für einige Lesestrapazen sorgen.
Dies sollte aber niemanden davon abhalten, dieses kluge Büchlein zu erwerben und seinen Blick für Bilder mithilfe der Reflexionen Gottfried Boehms zu schärfen, schließlich ist auch das Auge ein Instrumentarium, das beherrscht werden will. Nur so wird man wohl dem den Bildern innewohnenden Geheimnis näherkommen können; auch wenn Boehm – eine tragische, aber in der Natur der Dinge begründete Aporie – bis auf Weiteres dieses Geheimnis nur mittels der eigentlich unzureichenden Menschensprache wiedergeben kann.
Titelangaben
Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen
Die Macht des Zeigens
Berlin: Berlin University Press, 5. Aufl. 2017
284 Seiten, 30 Euro.