Liebe als Experiment

Jugendbuch | Vicki Grant: 36 Fragen an dich

Liebe ist etwas Merkwürdiges, eigentlich Unerklärliches. Warum man sich in jemanden verliebt und warum nicht, entzieht sich der letzten Erklärung. Oder doch nicht. Von ANDREA WANNER

Grant 36 Fragen an dichDie etwa 20 Jahre alte Studie ›Die experimentelle Erzeugung zwischenmenschlicher Nähe‹ des US-Psychologen Dr. Arthur Aron versucht dem Geheimnis sich zu verlieben auf die Spur zu kommen. Seine Annahme, dass Paare, die sich vorher nicht kannten, die sich gegenseitig 36 Fragen beantworten, sich dabei immer näherkommen und am Ende eine enge Beziehung zueinander haben, konnte er in seinem Experiment nachweisen.

Genau dieses Experiment und Aarons 36 Fragen sind die Basis für Vicki Grants Jugendroman. Hildy und Paul, bei 18 Jahre alt, melden sich aus ganz unterschiedlichen Gründen für genau diesen Versuch: Hildy aus Neugierde und Wissensdurst. Paul, weil er das Geld will, das es für die Teilnahme gibt. Es genügen wenige Minuten in dem Raum in der Uni und schon haben beide den jeweils anderen in eine Schublade gesteckt. Ihr Leben und ihre Lebensentwürfe könnten unterschiedlicher nicht sein. Pauls Wortkargheit provoziert Hildy, ihre Tollpatschigkeit und ihre gleichzeitige Ernsthaftigkeit amüsieren ihn eher. Pauls Wunsch ist, das Ganze schnell über die Bühne zu bringen, damit er seine 40 Dollar bekommt und gehen kann. Hildy dagegen wird ausschweifend, interpretiert die Fragen, kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Es ist ein Spiel mit festgelegten Regeln, ein Test im Interesse der Wissenschaft. Aber eben einer, der eine Hypothese formuliert, die den beiden Probanden einen Strich durch ihre jeweiligen Rechnungen machen könnte.

Die Fragen beginnen ganz harmlos. »Wenn du unter allen Menschen auf der Welt jemanden auswählen dürftest, wen hättest du gerne als Gast zum Essen?«, lautet die erste Frage. Aber schon die führt zu einer richtigen Auseinandersetzung. Während Paul sich mit einem schlichten »jemanden, der kochen kann« genügt, überlegt Hildy hin und her, wie sie so eine Chance nutzen könnte. Und beinahe endet das ganze Experiment auch schon nach den ersten paar Fragen.

Das tut es dann aus verschiedenen Gründen doch nicht, es wird fortgesetzt, wenn auch nicht genau unter den dafür eigentlich vorgesehenen Bedingungen. Die Fragen werden persönlicher. »Wofür in deinem Leben bist du am dankbarsten?«, ist Frage Nummer 9. Oder die zehnte Frage: »Wenn du ändern könntest, wie du erzogen wurdest, was würdest du ändern?« Und da sind noch immer 26 Fragen übrig. Frage 27: »Wenn du dich mit deinem Partner/deiner Partnerin eng anfreunden würdest, was müsste er/sie wissen?«, oder 32: »Was, wenn überhaupt etwas, ist zu ernst, um Witze darüber zu machen?« Irgendwann dringen diese Fragen in die intimsten Bereiche vor, in denen es keine vorgefertigten Geschichten mehr gibt, sondern nur die Wahrheit. Bereiche, die sowohl Hildy als auch Paul bisher tunlichst gemieden haben. Wohin wird das Ganze die beiden führen?

Vicki Grant bastelt daraus eine Annäherung in vielen kleinen Schritten. Zunächst als dialogischen Schlagabtausch in der Uni, später als Unterhaltung über das Internet, als monologische Preisgabe eigener Geheimnisse, als Treffen in einer Bar … Wechselnde Szenarien und ein paar zusätzliche Figuren aus dem Umfeld der beiden lockern die Beantwortung des Fragenkatalogs auf. Der aber bleibt durchgängig der rote Faden der Geschichte, an dem sich die Autorin und mit ihr die Figuren entlanghangeln. Amüsant, den seriösen Boden der Wissenschaft dann auch bald verlassend, originell, nicht ohne Klischees, aber sehr unterhaltend. Und am Ende der Fragen gibt es noch eine Sonderaufgabe: Die Teilnehmenden sollen sich vier Minuten lang in die Augen sehen… Tja, spätestens da ist die Stunde der Wahrheit gekommen.

Titelangaben
Vicki Grant: 36 Fragen an dich
(36 Questions That Changed My Mind About You, 2017)
Aus dem kanadischen Englisch von Astrid Finke
München: heyne fliegt 2018
334 Seiten, 14 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wenn die Landschaft Trauer trägt

Nächster Artikel

Raus hier!

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Heiteres Versteckspiel

Kinderbuch | Elena Galloni: Wer steckt unter dem Hut? Ein Hut? Fallen wir darauf rein? Wissen wir es nicht längst besser, dass es sich um eine Riesenschlange handelt, die einen Elefanten verschlungen hat? Quatsch! Das ist ein Bilderbuch für die Kleinen. ANDREA WANNER will es wissen.

Nostalgie, unsentimental

Kinderbuch | Allen Say: Der Kamishibai-Mann »Früher …« So beginnt mancher Satz und meist hat er einen melancholischen Ton. Zudem gerät der Blick zurück leicht ins Verklärte. Nicht so bei Allen Say. Er blickt unsentimental auf Vergangenes und enthüllt dadurch die Schönheit, die alterslos ist. Von MAGALI HEISSLER

Heißes Eisen

Kinderbuch | Willi Fährmann: Deutsche Heldensagen In Zeiten, in denen Begriffe wie »Identität«, »kulturelles Erbe« oder gar »nationales Erbe« wie Geschosse durch das gesellschaftliche Miteinander zischen, wo sie eher in Brand stecken als erhellen, kann die Neuauflage von Heldensagen zum heißen Eisen geraten. Von MAGALI HEIẞLER

Warmherzige Geistergeschichte

Kinderbuch | Katarina Genar: Der rubinrote Mantel Herbstzeit – Gespensterzeit, da kommt das spannende Buch der jungen schwedischen Autorin Katarina Genar ›Der rubinrote Mantel‹ gerade richtig. Von MAGALI HEISSLER

Neues Leben entsteht

Kinderbuch | Sissel Horndal: Máttaráhkkás weite Reise Dieses ausgesprochen schöne Bilderbuch entführt in den hohen Norden, ins Land der Samen, einer alten Volksgruppe, deren Lebensraum sich vom Norden Schwedens, Norwegens, Finnlands bis zur Barentssee in Russland erstreckt. Die Ureinwohner Lapplands sprechen eigene Sprachen und haben eine immer noch sehr lebendige Kultur, die aus dem Schamanismus herrührt, aus jener Zeit, als die Samen noch als Rentierjäger durch das Land zogen. Alles in der Natur hat eine Seele, und den Göttern und Geistern in der Welt nährt man sich mit Respekt. Diesen Zauber, so findet BARBARA WEGMANN, spiegeln Buch und Geschichte aus