/

Von der Moral und deren Akzeptanz durch die Masse

Live | Bühne: La Cage aux folles

Diese Bühne wird abgegrenzt von einem roten Vorhang, die Schauspieler und Sänger erscheinen auf ihr, eingehüllt in Scheinwerferlicht. Ein Herr in schwarzem Jackett, der durch seine weißen, schütteren Haare Edel- und Sanftmut ausstrahlt, betritt die Bühne und begrüßt sein Publikum im gut gefüllten Großen Haus des Stadttheaters Pforzheim. Er spricht es direkt an und lädt es sein, mit ihm den Abend im Angesicht des Nachtclubs an der Riviera ›La Cage aux Folles‹ (deutsch für: ›Ein Käfig voller Narren‹) zu verbringen. Von JENNIFER WARZECHA

cage aux Folles»Willkommen! Schön, dass Sie hier sind, teilweise mit neuem Partner. Was Sie machen mit der einen Hand, das Champagnerglas halten oder sonst etwas, sei ganz Ihnen überlassen«, sagt Georges (edel, elegant, witzig und eloquent, teilweise gespielt von Jon Geoffrey Goldsworthy und Mark Weigel) in die Runde des Publikums. Daraufhin wagen sich einzelne Tänzer in schwarzen Slips aus Lack, die gewollt die Hoden betonen, schwarzen Lackschuhen und nackten, langen Beinen auf die Bühne. Der Abend nimmt seinen genussvollen Verlauf, wenn auch eine der als Frauen und Tänzerinnen verkleideten Männer ihn zunächst unterbricht. »Sie« geht zu Georges, um ihn um mehr Geld zu bitten, da sie »ihren« Mann mit zu ernähren habe. Er weist sie ab und der Abend nimmt trotzdem seinen Verlauf. Aber nicht nur das: Im Kern des Stücks ›La Cage aux folles‹ geht es nicht nur allgemein um den Reiz der Sexualität im Angesicht eines Nachtclubs, sondern erst recht um die Akzeptanz von Homosexuellen und vor allem die Kraft der Liebe.

Die Story ist schnell erzählt, wenn sie auch insgesamt sämtliche Facetten, sonnigen Seiten und Abgründe einer Gesellschaft repräsentiert. Georges markiert nicht nur als edler Nachtclubbesitzer und smarter Dandy den Prototyp einer immer mehr dem Hedonismus zugeneigten Gesellschaft, die überdurchschnittlich gesehen mehr ihren Spaß denn ihre Pflicht sieht und sucht. George selbst ist homosexuell und seit 20 Jahren liiert mit Albin bzw. Zaza (charmant, authentisch, liebenswürdig und ausdrucksstark: Philipp Werner).

cage aux Folles

Beide haben seinen inzwischen 24 Jahre alten Sohn Jean-Michel (gut in Gesang, Mimik und Gestik sowie eloquent: Bernhard Meindl) gemeinsam aufgezogen. Am Ende des Musiktheater-Stückes bedankt sich der Sohn sogar bei seinem leiblichen Vater und seiner Zieh»mutter« dafür, zusammen mit dem Bekenntnis seiner Verlobten, dass sie den Nachtclub samt seiner Tänzer nicht nur toleriere, sondern tatsächlich wertschätze, für deren Liebe und gute Erziehung.

Gerade diese Szene steht für Toleranz, die man sich ehrlich gesagt doch zu oft und manchmal vergeblich wünscht. Sie steht für die Akzeptanz des Anders-Seins und, wie man im Stück vielfach den Eindruck hat, für den liebevollen Umgang miteinander, zum Beispiel dann, wenn Albin mit liebevollem Schwung sich entweder um Jean-Michel oder Georges kümmert und beiden zum Beispiel ein leckeres Essen anbietet, nur, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Gerade Albin bzw. Zaza ist es aber auch, an dem sich innerhalb der Handlung und des Stückes im wahrsten Sinne des Wortes die Geister scheiden.

Je nach Situation ist er im jeweils richtigen Moment in der Lage, von einer Rolle in die nächste angemessene zu schlüpfen – einmal als Mutter, einmal als Frau und einmal als Mann, der zum Beispiel unter Georges Anleitung, gekleidet im schwarzen Smoking, breitbeinig wie ein Mann dastehen soll – und dabei jedoch kichert wie eine Frau – und Jean-Michel bei der Verlobungsfeier in Konfrontation mit seinen erzkonservativen Schwiegereltern unterstützt. Als verkleidete, vermeintlich leibliche Mutter Jean-Michels, rettet er zunächst die Situation, als sich Jean-Michels zukünftige Schwiegereltern seinem Vater und eben Albin vorstellen, indem er sich als dessen leibliche Mutter in edlem Kostüm (angepasst und edel gemacht: Ulli Kremer) vorstellt, die Gäste in ein Gespräch verwickelt, beschäftigt, ablenkt, zwischendurch verwirrt und insgesamt beieinander hält und unterhält.

cage aux Folles

Ein Abgesang auf schädliche Moral und Lobgesang auf Freude und Lust

Bedauerlicherweise verraten gerade die Nachtclub-Tänzer des ›La Cage aux Folles‹ sich und den Nachtclub selbst, indem sie im Restaurant der Besitzerin Jacqueline (elegant, grazil und selbstbewusst: Lilian Huynen) auftauchen, alles durcheinanderwirbeln und für Verwirrung sorgen, gerade angesichts der Verlobung von Jean-Michel und Anne (stellenweise arrogant, aber auch selbstbewusst und überzeugend: Konstanze Fischer).

Gerade der vermeintliche Schwiegervater Jean-Michels, der Politiker Eduard Dindon (pathetisch, streng und in seiner Rolle überzeugend: Klaus Geber), den Jaqueline mit der Androhung eines Fotos vor der Menge zur Veranschaulichung seines vermeintlichen hedonistischen Lebenswandels moralisch erpresst, steht nicht nur für Moral und das genaue Gegenteil der Akzeptanz von homosexuellen Menschen und Paaren. Am Ende wird er zum Dreh- und Angelpunkt des moralischen Themas und mischt sich wider Erwarten unter die Menge der anderen Schauspieler, verkleidet als Stier, nur, um sich ganz der Menge und Masse hinzugeben. Als solches ein Bekenntnis für Humor, Toleranz und Einigkeit. Einzigartig, wie es auch die klatschende Menge im Großen Haus an diesem Abend beweist.

| JENNIFER WARZECHA
| Fotos: SABINE HAYMANN

Titelangaben
La Cage aux Folles (Ein Käfig voller Narren)
Musik und Gesangstexte von Jerry Herman
Buch von Harvey Fierstein
Nach dem Stück ›La Cage aux folles‹ von Jean Poiret
Deutsch von Erika Gesell und Christian Severin

Termine
13.06.2018: 20:00; 17.06.2018: 15:00; 23.06.2018: 19:30;
24.06.2018: 19:00; 30.06.2018: 19:30; 04.07.2018: 20:00;

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Ikon hat es etwas Tragikomisches«

Nächster Artikel

Eva war zuerst da – wer denn sonst?

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Zwischen guter Laune und der ›Mission‹

Musik | Interview: Van Canto Es gibt wohl kaum eine andere deutsche Metal-Band, die so faszinierend ist, wie VAN CANTO. Im Laufe ihrer anhaltenden Karriere bescherte die Band ihren Fans nicht nur viele schöne Momente auf der Bühne, sondern auch abseits des Scheinwerferlichts gab es ein weiteres tolles Crossover-Projekt namens ›Feuerstimmen‹. Zum baldigen Tourstart für das neueste Album sprach ANNA NOAH mit VAN CANTO-Sänger Stefan Schmidt.

Die unterschätzte Krankheit

Live | Diabetes Charity Gala Bei der 8. Diabetes-Charity-Gala konnten Rekordspenden in Höhe von über 110.000 Euro für wichtige Gesundheits-Projekte gesammelt werden. Der diesjährige ›Thomas-Fuchsberger-Preis‹ geht an Michael Bertsch. ANNA NOAH informiert sich über eine unterschätzte Volkskrankheit.

»I will follow me«

Bühne | ›Ladies first‹ am Badischen Staatstheater Erst ein paar Tage sind die Feierlichkeiten rund um den Internationalen Frauentag vorbei. »100 Jahre Frauenwahlrecht« neben 70 Jahren Grundrechten in Deutschland sind ein Grund zum Feiern. Das dachte sich auch Otto A. Thoß, welcher zuständig für das Ensemble der Oper ist. Er inszenierte ›Ladies first. Ein musikalischer Abend mit 56 Frauen‹, einer Produktion von Volkstheater und Jungem Staatstheater Karlsruhe, am Badischen Staatstheater. JENNIFER WARZECHA war dabei

Erheiternd leicht oder modern-existenziell?

Bühne | Mozarts ›Die Zauberflöte‹ in Karlsruhe Ein »Vogelfänger« im knallbunten Kostüm, ähnlich des eines Wiener Hanswurst‘, und sinnbildlich stehendem blondem Haar schleicht sich auf der Bühne herum und resümiert über sein »Weibchen«, nach dem er sich so sehr sehnt und das gleichzeitig in einem vereint für die wichtigsten Deutungsaspekte rund um Wolfgang Amadeus Mozarts Oper ›Die Zauberflöte‹ steht: Ist sie eines der wichtigsten geschichtlichen Zeugnisse rund um die Freimaurer, ist sie allein ein Stück zur Unterhaltung der ganzen Familie – auf der ein Schwerpunkt der Karlsruher Inszenierung liegt? Von JENNIFER WARZECHA

Die Oper des 20. Jahrhunderts schlechthin

Film | DVD: Alban Berg – Lulu Nur zwei Jahrzehnte liegen zwischen der Entstehung des Rosenkavaliers und der Fragment gebliebenen Lulu. Was aber bei der Oper von Richard Strauss irritiert (und manche Fans gerade begeistert), dass Hugo von Hofmannsthal ein völlig anachronistisches Libretto beigesteuert hat, trifft auf Alban Bergs zweite Oper nicht zu: Hier haben mit Wedekinds Stück, das er aus seinem Erdgeist und der Büchse der Pandora kombiniert hat, und der Komposition des Schönberg-Schülers zwei Kunstformen zusammengefunden, die auf der Höhe der Zeit standen und bis heute den Anspruch der Modernität bewahrt haben. Von THOMAS ROTHSCHILD