Comic | ›Die Unheimlichen‹ im Carlsen Verlag
Mit ›Die Unheimlichen‹ erscheint bei Carlsen eine von Isabel Kreitz herausgegebene Reihe klassischer und moderner Schauergeschichten, die von verschiedenen deutschsprachigen Comic-Künstlern interpretiert werden. BIRTE FÖRSTER hat sie sich angesehen.
Es ist ein angsteinflößender Fremder, der in ein kleines Dorf das Grauen bringt. Eine riesige Gestalt, die an verschiedenen Orten überraschend auftaucht, natürlich einen großen Schatten wirft. »Ein gellender schrei lässt denen die noch wach sind das blut in den adern gefrieren«, heißt es.
Den Besuch des Fremden werden die Dorfbewohner nicht so schnell wieder vergessen. In seiner Graphic Novel »Der fremde! störenfried der ruhe eines sommerabends der ruhe eines friedhofs« interpretiert Comic-Zeichner Nicolas Mahler die gleichnamige Erzählung von Elfriede Jelinek von 1969. Mit Licht und Schatten sowie dem Fremden, der mit seinen riesigen Krallen eher eine Kreatur als einen Menschen darstellt, erinnert Mahler an Stummfilme wie Murnaus ›Nosferatu‹.
Der Band ist Teil der Reihe ›Die Unheimlichen‹, die dieses Frühjahr gestartet ist. Mehrere Comic-Zeichner interpretieren dafür literarische Werke aus der Gruselliteratur in ihrem eigenen Stil. Mit der Serie habe sie die größtmögliche Schnittmenge an Themen aufmachen wollen, erzählt Herausgeberin Isabel Kreitz. Außerdem bedeutet das Projekt eine ganz besondere Herausforderung: »Das Horror-Genre ist das Genre, das in der Dramaturgie am meisten Sorgfalt erfordert, um den Effekt, das Gruseln hervorzurufen«, sagt die Comic-Zeichnerin. Man müsse viel mit Tempo, Licht und Schatten sowie mit Bildausschnitten arbeiten, die richtigen Dinge tun und weglassen, nicht zu viel und nicht zu wenig zeigen, erklärt Kreitz die Bedingungen des Erzählens.
Und noch eine Besonderheit gibt es: »Das Gruselgenre ist eine bildlastige Angelegenheit. Man kann auch textlos dramatisch sein.« Neben Nicolas Mahler hat auch sie selbst einen Beitrag zu der Serie geleistet sowie Comic-Zeichner Lukas Jüliger. Im Herbst erscheint die Umsetzung von Barbara Yelin zu ›Das Wassergespenst von Harrowby Hall‹ von John Kendrick Bangs. Insgesamt zehn Programmplätze habe Carlsen ihr eingeräumt, sagt Kreitz. Anders als die oft umfangreichen Graphic Novels, die in Deutschland erscheinen, bestehen die Werke der Serie aus kleineren Büchern mit weniger Seiten.
Kleines Format, großes Vergnügen
›Mit den Nachfolgern im Nachtleben‹ von Autorin Sarah Khan hat Kreitz sich einer zeitgenössischen Kurzgeschichte von 2013 gewidmet. Die Handlung mutet bizarr an: Ein paar befreundete Berliner gehen zu einer Voodoo-Ausstellung und entdecken dort die Schwarze Magie.
In den Ausstellungssälen gibt es neben zahlreichen gruseligen Masken auch einen besonderen Trank, der in einer Vitrine verschlossen ist. Die Flüssigkeit soll Tote für eine Weile wieder lebendig machen. Die Freunde stehlen das Fläschchen und machen sich auf zum Friedhof, um einen verstorbenen Bekannten auszugraben und wieder zum Leben zu erwecken.
»Ich habe mich sehr dicht an den Text gehalten, weil er für mich sowieso schon sehr ungewöhnlich ist und ich den Dialogwitz im Original nicht verändern wollte«, sagt Kreitz über ihre graphische Umsetzung.
Anders als im Original, das viele Exkurse in die Vergangenheit sowie Hintergrundinformationen über die Figuren beinhalte, hat Kreitz die Protagonisten in der Graphic Novel für sich sprechen lassen. Sie hoffe, dass sich jeder seinen Teil dazu interpretiert, »wie bei dem Glatzkopf, der den alten Mercedes fährt, herumprotzt und im Steakhaus das teuerste Fleisch bestellt«. Damit wolle sie, ohne es im Detail auszuerzählen, einen »neureichen Schnösel« darstellen. Vor allem habe ihr beim Zeichnen aber die Szene gefallen, die in der Geschichte wohl den stärksten Grusel erzeugt: Als die Freunde mit einem Spaten mitten in der Nacht auf dem Friedhof den Leichnam ausgraben. Dort habe sie so richtig mit Licht und Schatten spielen können, sagt Kreitz.
Licht und Schatten
Ganz anders geht Jüliger mit seiner Adaption von Edgar Allan Poes ›Berenice‹ vor. In der Erzählung von 1835 beschreibt Poe die obsessive Beziehung des geistig kranken Ich-Erzählers zu seiner Cousine Berenice, die an einer epilepsieartigen Krankheit leidet. Beide wachsen im Schloss der Vorfahren auf.
Jüliger hingegen versetzt die Ausgangsgeschichte in die Anonymität des Internets, in der Erzähler von seiner Obsession für ein Camgirl dominiert wird. Verkleidet als Anime-Figur gibt die Popikone Stück für Stück etwas von ihrem wahren Ich preis und zieht so zahlreiche Zuschauer in ihren Bann. Aber sie bleibt schwer greifbar und ihr Aufenthaltsort lange ungewiss: »Manche schrieben, sie streame direkt aus einer Nervenklinik. Andere sagten, aus dem Jenseits. Sie sei längst tot.« Irgendwann kommt sie aber nicht mehr online und so versucht der Ich-Erzähler, der bis dahin kaum sein Zimmer verlassen und am Bildschirm jede ihrer Bewegungen verfolgt hat, sie im wahren Leben, außerhalb der virtuellen Welt, zu treffen.
»Spannend fand ich bei meiner Geschichte dieses Element der Obsession, dieser Sehnsucht in dem Protagonisten nach einer weiblichen Figur«, erklärt Jüliger die Entscheidung für Poes Werk. In seiner Umsetzung sei es ihm wichtig gewesen, vor allem die Atmosphäre einzufangen und anhand der beiden Protagonisten eine neue Geschichte zu erzählen. »Ich hatte keine Lust, ein Epochendrama zu schreiben oder in der Zeit zu bleiben, sondern es im Hier und Jetzt spielen zu lassen, wo auch ich existiere«, sagt Jüliger. Das ist auch ganz im Sinne von Herausgeberin Kreitz, schließlich wünsche sie sich »eine sehr persönliche Interpretation einer Geschichte«.
Titelangaben
| Die Reihe ›Die Unheimlichen‹ bei Carlsen