Feminismus! (Weil ich ’n Mädchen bin)

Jugendbuch | Julia Korbik: How to be a girl

Ratgeber für Mädchen haben eine über hundertjährige Tradition. Nicht allein jede Generation, eher jede Dekade bringt ihren Ratgeber heraus und nicht nur einen. Mädchen sein ist offenbar ein schwerer Job. Nun sind wir im neuen Jahrtausend. Hat sich etwas geändert? Von MAGALI HEIẞLER

Korbik - How to be a girlWer angesichts der Umschlaggestaltung im voll angesagten Look – das kreischend Rosa-Metallisch lässt keine andere Begrifflichkeit zu als die saloppe – Vertrautes erwartet, Schminktipps, Diättipps, Bastelideen, Regeln für gutes Benehmen, ein Häppchen sexuelle Aufklärung sowie Bilder zur Einrichtung des Mädchenzimmers, wird beim Aufschlagen des Buchs angenehm überrascht. Hier geht es weder um nette Geschenkideen noch um das manierliche Zerlegen von Flussfischen auf Großmutters bestem Porzellanteller. Der Anspruch des Buchs ist ein politischer.

In fünf großen Kapiteln werden die Themen Identität, Rollenvorstellungen und -erwartungen, Sexualität, Diskriminierung und die Geschichte der Frauenbewegung behandelt. Jedes Kapitel steht für sich, aber nicht allein. Die Bereiche kreuzen sich, kleinere Themen aus einem Kapitel werden in einem anderen aufgegriffen oder es wird auf sie zurückverwiesen. Fragen werden aufgeworfen, Lösungsmöglichkeiten in anderen Kapiteln unter neuen Blickwinkeln betrachtet. Der Blick auf die Vergangenheit, auf das Gewordene der heute bestehenden Verhältnisse wird gezielt benutzt, um deutlich zu machen, dass der herrschende Zustand kein endgültiger ist. Er kann verändert werden. Durch wen? Durch Mädchen, natürlich. Und wie?

Immer in Bewegung

Die Wirrnisse der Teenagerjahre, die gleichermaßen biologisch wie sozial ausgelöst werden und sich in ihrer Wirkung beeinflussen, bringen viel Energie mit sich. Teenager sind unablässig in Bewegung, alles ist Veränderung, ist im Fluss. Selbst wenn sie, nicht selten zum Entsetzen von Erwachsenen, stundenlang passiv herumsitzen, arbeitet es in ihnen. Körper und Psyche ruhen nie.

Auf diese Energie zielt die Autorin. Statt Beschäftigungstherapie zu verordnen, die die Energien in gesellschaftlich angemessene geltende Bahnen leitet, lautet ihre Forderung: nachdenken, mitdenken, sich entwickeln. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man das Recht zugesprochen bekommt, sich selbst zu entdecken oder die Berechtigung, in (vorgeblich) festen Strukturen ein bereits hingestelltes Stühlchen zu wählen.

Kobrik trifft den richtigen Ton dafür, Mädchen Mut zu machen, sich und die Welt selbst zu entdecken. Ruhig, aber mit einem schönen Quantum Lebhaftigkeit, überlegt, doch nie überlegen. Der Duktus ist zeitgenössisch, aber nicht anbiedernd, wenn auch zu häufig und hin und wieder grundlos das Englische bemüht wird. Die Autorin übernimmt die Rolle der Erwachsenen mit Überzeugung, sie spielt nicht die Jugendliche. Die Anekdoten aus ihren eigenen Mädchenjahren sind nie albern, sondern gut gewählt, kurz gehalten und ein weiterer Kitt im Kokon des Vertrauens, den sie gesponnen hat.

Vertrauen ist wichtig, denn über Sexualität wie Diskriminierung wird offen gesprochen. Es geht nicht um Aufklärung, es geht darum Mut zu machen zu Lust wie zu Abwehr, wenn die Lust eben nicht vorhanden ist. Ein Mädchenkörper ist wichtig. Jedes Mädchen hat das Recht, über ihn zu bestimmen, nur sie. Das Thema wird immer wieder durchgespielt.

Mut braucht man auch, wenn man den Einflüssen, die auf Teenager einprasseln, widerstehen will. Es sind vor allem die Social Media, auf die die Autorin ihr Augenmerk richtet. Sie hat nicht unrecht, auf den krassen Unterschied zwischen dem Schein schöner Bilder und dem realen Sein kann man gar nicht häufig genug hinweisen.

Hin und wieder verleitet die Begeisterung für die zahlreichen Entwicklungsmöglichkeiten zum Mädchen Korbik zu Unüberlegtem, weil Altvertrauten. So etwa die Bemerkung, dass man nur einmal jung ist, weswegen man in diesen Jahren am meisten ausprobieren kann. Die Welt wäre arm, wäre Probieren, Experimentieren, sich neu Finden auf die Jugend beschränkt. Der Rat an Mädchen lautet eher: Fangt frühzeitig an, alles Mögliche auszuprobieren, damit ihr das nie wieder verlernt und nie stillsteht.

Informationsfülle und Lehren fürs Leben

Es gibt viel Text im Buch und außer kleinen Frauenporträts, wie hingetuscht in strengem Schwarz-Weiß, keine Bilder. Das ist echter Autorin- und Verlegerinnenmut in einer Zeit der Überfülle an visuellen Eindrücken. Der Text überfordert dabei nie trotz der hohen Informationsdichte, weil der Ton so lebendig ist. Aufgelockert sind die Kapitel zudem durch Übersichtstafeln zu Ereignissen, Listen mit Tipps, wie man sich am besten engagiert, sowie Faktenübermittlung. Feminismus wird definiert, das große Thema Gender versus Sex angesprochen. Ergänzt wird das alles mit vielen, vielen Kurzbiografien von Frauen gestern wie heute.

Der Abriss über die historische Frauenbewegung ist kein bisschen verstaubt und mit so viel Freude an den aktiven Frauen des 19. Jahrhunderts bis 1968 präsentiert, dass einer beim Lesen nicht nur das Herz aufgeht, sondern auch der Wunsch entsteht, diese Heldinnen in die eigene Ahninnenreihe aufzunehmen, Vorbilder einer aktiven Weiblichkeit, die Bedeutendes erreicht haben und doch so gern vergessen werden. Im Anhang gibt es weiterführende Literatur dazu, wie zu anderen Themen auch, Gedrucktes und Websites, unter ihnen erfreulicherweise z.B. kleinerdrei.

Bei den Kurzporträts bedeutender Frauen heute wählt Kobrik sehr junge Frauen, schließlich sollen die angesprochenen Mädchen sich auch mit Vertreterinnen ihrer Generation identifizieren können. Ob eine Jungunternehmerin, die behauptet, Technologie regiere die Welt, ein Vorbild oder eher indoktriniertes Produkt einer technikfixierten Umwelt ist, muss jede für sich entscheiden.

Ein Buch über Mädchen wäre keines, gäbe es keine Benimmregeln. Die gibt es auch hier, aber wie zeitgemäß gewandet! Zickigkeit, Bitchiness, Mobbing werden angesprochen. Korbik zeigt, dass man das weder ertragen noch – hier wird es wichtig – mitmachen muss. Benehmen heute speist sich aus der Frage an eine selbst, ob sie nicht neidisch, eifersüchtig, unzufrieden ist. Das kommt so klar und schlicht daher, und nicht nur einmal, dass man sich beim Lesen fast automatisch an die eigene Nase fasst und eher Reue als erstickende Scham empfindet. Was wiederum dabei hilft, aktiv zu werden, sich zu ändern.

Ein weiteres Plus ist, dass Korbik das Sternchen * verwendet, wenn sie Sammelbegriffe benutzt. Der Mut, zu dem sie ihre jungen Leserinnen auffordert, ist bei ihr immer deutlich und nicht nur an dieser Stelle im Buch. Für die Besorgten: nein, es erschwert die Lektüre nicht. Im Gegenteil. Es hält eine hellwach beim Lesen.

Vom Rosa, das sich auch durchs Buch zieht, abgesehen gibt es einen Fehlgriff, der schwer wiegt. Das ist der Umstand, dass das Cover nur nordeuropäisch geschnittene Gesichter zeigt und auch kein Mädchenkopf mit Kopftuch zu sehen ist. Und das, obwohl es im Buch ein Kurzporträt von Rayouf Alhoumedhi gibt, die ein Kopftuch-Emoji durchgesetzt hat. Rayouf ist nicht die einzige Muslima, die genannt wird, noch beschränken sich die Kurzporträts auf Weiße. Warum man sie auf dem Umschlag ausschließt, ist unlogisch im Zusammenhang mit diesem so durchdacht aufgebauten und sehr empfehlenswerten Sachbuch.

| MAGALI HEIẞLER

Titelangaben
Julia Korbik: How to be a girl. Stark, frei und ganz du selbst
Stuttgart: Gabriel Verlag 2018
153 Seiten. 14,99 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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