Roman | Joe Ide: Stille Feinde
Jane und Benny sind spielsüchtig. Um an Geld zu kommen, das sie einem immer ungeduldiger werdenden Kredithai schulden, hält es Benny für eine gute Idee, den Boss einer Triade mit Daten, die Janine ihrem als Menschenhändler reich gewordenen Vater entwendet hat, zu erpressen. Doch der sieht Rot und lässt seine Männer Jagd auf die Naivlinge machen. Von DIETMAR JACOBSEN
Höchste Zeit, dass Isaiah Quintabe, kurz »IQ« genannt, sich der beiden und ihres Problems annimmt. Zumal ihn die Ex seines bei einem Autounfall ums Leben gekommenen Bruders darum bittet, in die er schon immer heimlich verliebt war.
Stille Feinde ist – nach IQ (2017) – Joe Ides zweiter Thriller um seinen Helden Isaiah Quintabe, den mit allen Wassern – auch denen einer kriminellen Vergangenheit – gewaschenen Privatdetektiv ohne Lizenz aus Long Beach/L.A. Der arbeitet nicht selten für lau. Und zwar immer dann, wenn er Klienten hat wie die minderjährigen Mitglieder einer schulischen Arbeitsgemeinschaft, denen ein nicht zu bändigender 13-Jähriger das Leben zur Hölle macht. Weil 80 Prozent der Fälle, mit deren Lösung man IQ beauftragt, sich von dem der ängstlichen Jungwisssenschaftler nur unwesentlich unterscheiden, lebt der Mann begreiflicherweise nicht in Saus und Braus.
Dagegen hat sich Sarita Van, die ebenfalls aus einfachsten Verhältnissen kommt, mit Fleiß und Mut richtig hochgearbeitet. Die Anwältin verkehrt in den besten Kreisen, trägt jeden Tag ein anderes Paar Schuhe auf und ist IQ nicht nur deshalb als Auftraggeberin willkommen, weil sie ihn bezahlen will, sondern weil es sich bei ihr auch um die letzte Freundin seines bei einem Verkehrsunfall vor Jahren ums Leben gekommenen Bruders Marcus handelt, in die er selbst damals unglücklich verliebt war. Doch was in der Vergangenheit aus Loyalität dem geliebten Bruder gegenüber leider unterdrückt werden musste, könnte, wenn er sich nun erfolgreich um die Probleme von Saritas Halbschwester Jane bemühen würde, ja durchaus späte Blüten treiben.
Detektiv ohne Lizenz
Joe Ide, für seinen Thriller-Erstling IQ mit zahlreichen Preisen geehrt, hat als Lehrer, Manager und (nicht unbedingt erfolgreicher) Drehbuchautor gearbeitet, bevor er zum Schreiben fand. Der heute 70-Jährige mit japanisch-amerikanischen Wurzeln wuchs in Verhältnissen auf, die denen seines Helden von bisher drei Büchern – mit Stille Feinde liegt das zweite jetzt auf Deutsch vor – nicht so unähnlich waren. Als Außenseiter in L.A.’s Problembezirk South Central brauchte es viel Kraft und Überlebenswillen, bis ihm schließlich über ein Hochschulstudium der Ausbruch aus einer Lebenswelt gelang, in der es bei vielen anderen zu nicht mehr als einer Gangsterkarriere reichte.
Isaiah Quintabe hat Letztere schon hinter sich, wenn Stille Feinde einsetzt, ja vielleicht ist seine kriminelle Vergangenheit, die Band 1 der Serie zu Beginn thematisierte, auch mit der Grund dafür, dass er sich als selbst ernannter Detektiv vor allem um jene kümmert, die den kleinen Gangstern auf der Straße wie den großen Gemeinheiten eines Systems, in dem Empathie eher schadet als nützt, am hilflosesten ausgeliefert sind. Zu denen zählt Jane Van, Saritas Halbschwester und aufstrebende DJane in der Clubszene von Las Vegas, allerdings nicht. Deren Schwierigkeiten sind eher hausgemacht.
Mit dem Tunichtgut Benny, einem notorischen Spieler, verbandelt, haben sich die beiden hoffnungslos bei einem eiskalten Kredithai verschuldet und müssen nun, da der Mann auf Rückzahlung mit Zins und Zinseszins pocht, um ihr Leben zittern. Dass Benny ausgerechnet Janes reicher Vater Ken Van einfällt, um an Geld zu kommen, macht die Sache nicht gerade einfacher. Denn die hochbrisanten Daten, die Jane von dessen Computer kopiert, damit Benny mit ihnen den Boss einer chinesischen Triade erpressen kann, lassen in Letzterem alle Sicherungen durchbrennen. So dass es ganz, ganz dünnes Eis ist, auf das sich IQ und sein alter Kumpel Juanell Dodson hinauswagen müssen, wollen sie das Schlimmste verhindern.
Schlimmer geht immer
Man muss gehörig aufpassen, dass man bei all den zunehmend bleihaltiger werdenden Konfrontationen, in die sich Quintabe und Dodson stürzen – der Namensanklang von IQs Partner an Arthur Conan Doyles Holmes-Begleiter Watson dürfte nicht zufällig gewählt sein, hat das Westküsten-Duo doch etliches mit seinen berühmten englischen Vorgängern gemein –, nicht die Übersicht verliert. Mischen bei der Suche nach Benny, Jane und bald auch deren Vater nicht nur ein verärgerter Kredithai und dessen Gorilla, sondern auch ein gefährlicher ruandischer Gangster, der Geldwäsche im großen Stil betreibt, die 14K-Triade und ihr Boss Tommy Lau sowie zwei Straßenbanden – die Surenos 13 und der chinesische Chink Mob – mit, allesamt adrenalingeladen und ohne viel Federlesens über Leichen gehend.
Joe Ide handhabt das Ganze mit leichter Hand und verknüpft die einzelnen Handlungsfäden seines zweiten Romans so souverän, dass Isaiah Quintabe am Ende nicht nur für Jane Van und ihren unverbesserlichen Freund Benny eine Tür in die Zukunft aufstößt, die zu durchschreiten sich die beiden allerdings schwertun, sondern auch das Rätsel um den Unfalltod seines Bruders, bei dem es sich um einen geschickt eingefädelten Mord handelte, löst, sich die Rache an dem Schuldigen aber für später aufspart.
Wenn er am Ende mit der schönen Anwältin Sarita auch noch im siebenten Liebeshimmel landen würde, wäre die Geschichte allerdings etwas zu stromlinienförmig. Und so kommt es, wie es kommen muss. Aber lesen Sie selbst – es lohnt sich.
Titelangaben
Joe Ide: Stille Feinde
Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch
Berlin: Suhrkamp Verlag 2018
399 Seiten. 14,95 Euro
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