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Durch 5000 Jahre im Schweinsgalopp

Kinderbuch | Peter Frankopan: Die Seidenstraßen. Eine Weltgeschichte für Kinder

Weltgeschichte ist ein Konzept, das Großes verspricht. Die Welt ist schließlich ziemlich groß und es passiert auch ordentlich was im Lauf der Zeit. Allerdings ist es auch ein altertümliches und eingeschränkt gedachtes Konzept. Ob das gut geht? Von MAGALI HEIẞLER

SeidenstraßenDer Titel weckt schon fantastische Vorstellungen von Luxus und Abenteuerlichem, noch ehe man das in Blau und Gold prunkvoll aufgemachte Buch in der Hand hält. Das feste Papier der Seiten, die Entscheidung für abgedunkelte Farbgebung im Layout wie den eleganten, markanten, wenngleich ikonographisch wenig innovativen Illustrationen verstärken den Eindruck und lassen keinen Zweifel, dass es um Gewichtiges geht. Man braucht eine feste Unterlage für den großformatigen Band, die bloßen Hände reichen nicht.

In einem freundlich und offenherzig formulierten kurzen Vorwort erläutert der Autor, ein britischer Historiker, sein Vorhaben, Weltgeschichte unter einem veränderten Blickwinkel zu erzählen. Im Fokus steht nicht Europa, sondern die vieltausendjährige Verbindung von Ost nach West, eine Globalisierung also, die weit älter ist als man annimmt. Diese Verbindung sind Handelswege, von China bis zum alten Persien, später über Ozeane von Europa nach Süd- und Nordamerika. Reichhaltiges Kartenmaterial gibt es dazu.

Die Darstellung beschränkt sich in der Regel auf das Aufblühen städtisch geprägter Kultur, deren wesentliches Kennzeichen Bautätigkeit, rasant wachsender Handel, gern mit Luxusgütern und herrscherlich weiser Steuergesetzgebung war, bis das Chaos hereinbricht und die schöne Ordnung wieder verschlingt.

Keines der sechzehn Kapitel ist länger als höchstens zehn Seiten, einschließlich der Illustrationen. Thematisch gestaltet sind sie nach einschneidenden Veränderungen, gefasst unter Abstrakta. ›ie Straße des Glaubens‹ etwa oder ›Die Straße des Leidens‹, ›Die Straße in den Krieg‹, ›Die Straße zu neuen Welten‹. Das ist ausgesprochen einfallsreich und erhöht die Vorfreude auf etwa wahrhaft Neues.

»… steigen auf wie die Gestirne, wie Gestirne geh’n sie …«

Die Freude verfliegt beim ersten Satz des ersten Kapitels: »Im Herzen Asiens liegt der Geburtsort der Zivilisation.« Kennzeichen »der« Zivilisation sind blühende Stadtkulturen, Großreiche und der Handel. Durchgespielt wird das in wenigen Sätzen am Beispiel Persiens. Dieses wahre Zivilisationsglück war jedoch nicht von Dauer und schon kam Krieg, zuletzt in Gestalt Alexanders von Makedonien. Schon hier fragt man sich, wozu die Vorrede diente, wenn man nach kaum einer Seite schon wieder bei der traditionellen Geschichtsschreibung angelangt ist.

Die Vorgehensweise ist kein Ausrutscher. Die Darstellung Frankopans beschränkt sich in der Regel auf das Aufblühen städtisch geprägter Kultur, deren wesentliches Kennzeichen Bautätigkeit, rasant wachsender Handel, gern mit Luxusgütern und herrscherlich weiser Steuergesetzgebung war, bis das Chaos hereinbricht und die schöne Ordnung wieder verschlingt. Räuberische Horden, seien es mordlüsterne Hunnen, dämonische Rus oder teuflische Mongolen, Pestflöhe oder die böse Goldgier im Herzen von Menschen, ach, das Elend folgt dem Glück auf dem Fuße. Aufstieg, Fall, Aufstieg, Fall … Ist das nicht das, was uns in der Schule so gelangweilt hat?

Dass der Text eine Fülle interessanter Details von fremdartigen Städtenamen über Warenverkehr, gegenseitige kulturelle Beeinflussungen und Schlaglichter aus dem Alltagsleben vor tausend Jahren und mehr enthält, hilft dem Ganzen nicht auf. Im Gegenteil verkommt es zum Anekdotenhaften. Es ist schön, zu lesen, dass Kabul vor fünfhundert Jahren voller Gärten war und Mossul vor einigen Jahrhunderten voller grandioser Bauwerke. Doch was anfangen mit diesen Fakten?

Grundsätzlich marschiert Frankopan kreuzbrav der Chronologie und Epocheneinteilung der alten mitteleuropäischen Geschichtsschreibung nach und übernimmt ebenso brav ihre Setzungen. Stadtkulturen sind wertvoll, Handel sichert Wohlstand. Einen Bauer, eine Bäckerin sucht man hier vergeblich. Natürlich Attila, der sich zu Tode trank (RTL war dabei?), natürlich Napoleon, Columbus und Elisabeth I. von England mit ganzseitigem Porträt (natürlich das Armada-Porträt) sowie Victoria von England. Churchill, Roosevelt, Stalin. Lenin darf auch, und Martin Luther King. Dieser Zusammenhang mit den Seidenstraßen ist denn auch etwas vage.

Es ist, als hätte es nie Alltags- und Mentalitätsgeschichte gegeben, als hätte Braudel (und andere nach ihm) nie ein Wort zu Handelswegen geäußert. Als wäre Zivilisation nicht ein äußerst umstrittener Begriff. Dass in dem Buch kaum Frauen erwähnt werden, ist nur ein weiteres Symptom dafür, dass hier das bemooste Haupt der traditionellen Geschichtsschreibung versucht, ein bisschen frischen Wind zu schnuppern, die verkalkten Knochen aber nicht erlauben, die Nase in die Höhe zu strecken.

Was dahinter steckt

Nun ist dieses Buch nicht von vornherein für Kinder konzipiert worden. Tatsächlich ist es ein Derivat einer mehr als sechshundertseitigen Abhandlung Frankopans über die Seidenstraßen, die vor wenigen Jahren zum Bestseller wurde. Die Idee, mit dem Material jetzt ein junges Publikum anzusprechen, ist gut, sehr sogar. Es ist einzusehen, dass bei weit beschränkterem Umfang vieles zu kurz kommt und Argumentationsketten zur Erzählung mutieren. Dennoch lässt die schlussendliche Auswahl sowie ihre Aufbereitung genau den angestrebten anderen Blick auf die historische Entwicklung vermissen. Der Blick ist unverändert ein europäischer. Erreicht wird im besten Fall eine Erweiterung puren Sachwissens. Da Frankopan jedoch keinerlei grundsätzliche Fragen aufwirft, sondern statt dessen glatt erzählt und zudem nichts davon nachgewiesen wird – es gibt nicht einmal Hinweise auf andere Bücher zum Thema -, bleibt alles im behäbig Herkömmlichen, das durch die qualitativ hohe Ausstattung eine falsche Autorität gewinnt.

Nimmt man den »europäischen Blick« genau in Augenschein, so kann man ihn bei der vorliegenden Schwerpunktsetzung durchaus als Programm verstehen. Ob beabsichtigt oder eher als Kollateralschaden erweist er sich in den letzten beiden Kapiteln, die die Zeit ab dem Ersten Weltkrieg behandeln, als recht kritisch gegenüber der massiven Einflussnahme vornehmlich der englischen Politik in den Ländern des Nahen Ostens bis nach Persien/Iran. Da wird es kurzzeitig ein wenig lichter im Gewölbe der Tradition.

Sympathisch ist unstreitig das Eintreten Frankopans für sein Fach, Geschichte. Verstehen, wie etwas geworden ist, den Blick erweitern, Vielfalt erkennen und Zusammenhänge, wie wichtig das ist, kann man nicht genug betonen. Allerdings übersieht er, wiederum symptomatisch, das Wesentliche an der Beschäftigung mit der Vergangenheit. Alles infrage stellen. Einen kritischen Blick entwickeln, der nichts ausnimmt und nichts für verbürgt hält.

Es scheint ihm selbst abzugehen, anders lassen sich die pathetischen Schlusssätze, dass einzig Stabilität Wohlstand, Toleranz usw. sichern, nicht erklären. Und jeder muss sich frei entfalten können. Das sagte sich jeder Herrscher der Weltgeschichte auch.

Gute Geschichtsbücher für Kinder bleiben also Seltenheitsware. Da gibt es noch richtig viel zu tun!

| MAGALI HEIẞLER

Titelangaben
Peter Frankopan: Die Seidenstraßen. Eine Weltgeschichte für Kinder
The Silk Roads. A New History of the World, 2018). Übersetzt von Norbert Juraschitz
Ill. von Neil Packer
Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2018
128 Seiten, 20 Euro
Kinderbuch ab 9 Jahren

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