/

Fühle Blau

Bühne | Show: Blue Man Group

Bühne frei für die Farben des Lebens! Die ›Blue Man Group‹ schafft es die gesamte Show über, von Schubladen fernzubleiben. Manchmal albern, doch öfter auch durchaus bemerkenswert und immer mit Einbeziehung des gesamten Publikums wird der Zuschauer auf eine Reise in die Welt der Sinne entführt. ANNA NOAH will herausfinden, wie aus den drei ersten »Blue Man« der 1980er Jahre ein weltweites Phänomen wurde.

Die Mischung macht’s

1987 malten sich drei amerikanische Akteure in New York City für eine neue Art der Performance blau an. Dies hatte so viel Erfolg, dass Matt Goldman, Phil Stanton und Chris Wink, zwei Trommler und ein Softwareentwickler ein Jahr später die »Blue Man Group« gründeten. Anfangs waren sie nur in der Off-Off-Broadwayszene unterwegs. Nachdem sie 1991 den Obie Award erhielten, etablierten sie sich ein einem festen Theater, in dem sie bis heute auftreten.

Blue Man Group - Lindsay Best

Ihren ersten Auftritt außerhalb der USA hatte die Show im Mai 2004 in Berlin, wo sie dieses Jahr ihren 15. Geburtstag feiert. In den vergangenen Jahren haben die wechselnden, kobaltfarbenen Darsteller ihrer starken Mischung aus Musikkreation und Farbspiel einige wissenschaftliche Inhalte und magische Tricks hinzugefügt. Das Interessante dabei: Die Blauen kreieren eine Art Matrix, die alle im Publikum auf irgendeine Weise integriert. Sie holen jeden Zuschauer genau an der Stelle ab, wo ihm sein ästhetischer Sinn steht. Und das ist wohl ein beachtlicher Teil ihres Erfolgsrezeptes.

Wer sind die Blauen eigentlich?

Auf der Bühne stehen drei schwarz gekleidete Menschen mit nass glänzend blauen Köpfen und Händen. Sie scheinen die Welt um sie herum gerade neu zu entdecken, was den Gedanken an Außerirdische nahelegt. So staunen sie über die Klänge, die sie auf ihren selbst gebauten Instrumenten erzeugen, bis die zaghaften Töne lautstark von einer Live-Band gespiegelt werden, die sich in zwei über der Bühne angebrachten Würfeln befindet. Für das Publikum zahlt sich Pünktlichkeit aus, denn für Zuspätkommer gibt es keine Gnade! Die Show wird unterbrochen, während die Ankömmlinge live auf eine Großbildleinwand projiziert und mit einem entsprechenden Ruf aus dem Off empfangen werden. Von Häme im Publikum jedoch keine Spur, der unfreiwillige Auftritt wird ganz einfach in den gedachten Showablauf integriert.

Vorsicht: Blue Man!

Wenn die blauen Männer trommeln, kann es immer passieren, dass plötzlich einer Farbe auf das Instrument schüttet – dies spritzt bis weit in die ersten Reihen. Ab und zu fliegt auch Wackelpudding durch die Luft. Die Zuschauer in diesem Teil des Theaters sind deshalb angehalten, Plastikponchos zu tragen.

Außerdem interagieren die schweigenden Blauen auf weitere Arten mit dem Publikum: Entweder sie gehen mit einer kleinen Kamera durch die Reihen und filmen bis in die Mundhöhle eines Gastes, oder sie suchen Freiwillige, die einen Wasserstrahl mit der Hand abdichten.

Einer lässt sich auf die Bühne ziehen, in einen Overall stecken, bekommt einen Kopfschutz aufgesetzt und wird in Farbe gewälzt. Danach muss er es sich gefallen lassen, als eine Art menschlicher Pinsel – und auch noch über Kopf – gegen eine Leinwand geworfen zu werden. Dieses besondere Kunstwerk darf der Proband natürlich mit nach Hause nehmen.

Es gibt zwischendurch immer ein paar Tricks, beispielsweise wenn zwei der Männer – einer Marshmallows, der andere Paintballs – mit dem Mund fangen und dann damit »Kunst« kreieren.

Trotzdem ist und bleibt es ein Mitmachtheater: Die Blauen steigen auch mal über die Stuhlreihen, indem sie sich an den Köpfen der Zuschauer festhalten und suchen nach einer weiblichen Person, die sie auf die Bühne begleitet. Die Frau bekommt für die offensichtliche Essensszene eine Art Lätzchen und muss sich zu den Künstlern an den Tisch setzen. Dort wird sie je nach eigenem Humor mehr oder weniger verunsichert. Flirten die Blauen etwa oder steckt was ganz anderes dahinter?

Alle Aktivitäten können als Parodie auf menschliches Verhalten durchgehen, sind dafür aber teilweise etwas zu stark verzerrt.

Visuelles Vergnügen

Das Motto der Show ist schnell klar. Da sie mit einer kurzen Drum-Session anfängt, aber erst richtig beginnt, wenn einer der blauen Männer die erste Farbe auf seine Trommel gießt, könnte es wie folgt zusammengefasst werden: für jeden Trommelschlag ein farbenfroher Spritzer.

Die Show kann als ein Mix aus Konzert und Performance, angereichert visuellen Effekten, kunterbunter Trommelei, einem Schuss Wissenschaft und ein paar Tropfen Kulturkritik betrachtet werden.
Somit unterscheidet sich die »Blue Man Group« deutlich von anderen Trommelshows.
Das könnte der zweite Grund sein, wieso die Blauen einen derartigen Erfolg haben.

Absurde Populärkultur

Die ›Blue Man Group‹ ist für alle geeignet: Kinder, Eltern, frisch Verliebte, gelangweilte Eheleute, Schwiegereltern, lustige Menschen, langweilige Menschen, Menschen mit Geschmack, Menschen ohne Geschmack. Absolut jeder kann reingehen und für zwei Stunden alle Probleme vergessen. Keiner wird enttäuscht werden. Und das Beste: Die Produktion ist für alle nachvollziehbar, da man dazu keine Sprache verstehen muss.

Am Ende der Show gibt es neben einigen anderen Effekten riesige, beleuchtete Kugeln, die von der Decke gelöst werden und mit denen das Publikum zu rockiger Musik spielen darf.

Blue Man Group - Lindsay Best

Es verwundert kaum, dass manche Zuschauer ein paar der bunten Seelentupfer in sich aufnehmen, mit vielen anderen darüber reden und somit weiteres Publikum neugierig machen. Auf die nächsten fünfzehn Jahre!

| ANNA NOAH
| Fotos: LINDSAY BEST

Showangaben
Blue Man Group (Stage Entertainment)
Cast: various Blue Men mit 14 eigens entworfenen PVC-Instrumenten + Publikum
Make-Up: Spezial Blau in Wetlook
Musik: 4-Köpfige Liveband
Musikalische Leitung: Jens Fischer

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Schlüssel zur Freundschaft

Nächster Artikel

Im Outback ist die Hölle los

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Gewalt? Gerechtigkeit!

Bühne | Heinrich Kleists ›Kohlhaas‹ – Schauspiel Frankfurt Ernst Bloch nannte den Protagonisten Michael Kohlhaas aus der gleichnamigen, 1810 erschienen Novelle von Heinrich von Kleist den »Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität«. De facto ist Kohlhaas bereit, für sein Recht ganze Städte niederzubrennen, ohne wirklich Recht zu bekommen. Aus der komplexen Novelle hat der Schauspieler und Regisseur Isaak Dentler, zusammen mit der Dramaturgin Henriette Beuthner, in den Kammerspielendes Schauspiels Frankfurt ein Ein-Mann-Stück kreiert, mit Dentler selbst als Erzähler und Protagonisten. Das Publikum quittiert die Adaption ›Kohlhaas‹ mit tosendem Applaus. PHILIP J. DINGELDEY hat sich die Premiere angesehen.

Oper als Arbeit

Film | Auf DVD: Die singende Stadt. Calixto Bieitos Parsifal entsteht Wer ein Theater oder eine Oper besucht, sieht auf der Bühne ein abgeschlossenes Kunstwerk. Nicht zu erahnen ist, wie viel Stunden Arbeit von unzähligen Menschen, von denen sich nur ein kleiner Teil nach der Vorstellung verneigt, zu diesem Ergebnis geführt haben. Unter diesem Gesichtspunkt ist es zu verstehen, wenn die Beteiligten verärgert auf jede negative Kritik reagieren. Sie ist ja auch eine Missachtung der Anstrengungen, die sie investiert haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

»Eine Woche voller Samstage«

Bühne | Kindertheater: Eine Woche voller Samstage Mit keckem Blick, gerichtet auf die Zuschauer einerseits sowie hin zu seinem »Papa«, Herrn Taschenbier (trotz des Wirbels locker, gefasst und überzeugend: Fredi Noël), und der Haushälterin Frau Rotkohl (einfach spitze und in großem Maße für Erheiterung sorgend: Anne-Kathrin Lipps) wirbelt das »Sams« (sympathisch und überzeugend: Sophie Lochmann) auf der Bühne des Großen Hauses im Stadttheater Pforzheim herum. JENNIFER WARZECHA freut sich auf einen Kinderbuchklassiker.

»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage«

Bühne | ›Sein oder Nichtsein‹ von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch Komödie und Satire gelten als die besten Mittel, um durch den Witz oder Aberwitz des Moments eigentlich ernste Tatsachen zu hinterfragen. Filmregisseur Ernst Lubitsch (1892 – 1947) war in den Jahren seines Schaffens angesichts zweier Kriege und dementsprechend widriger Umstände häufig dazu gezwungen, das zu nutzen, um filmisches Geschehen auf die Leinwand bringen und damit, wie im Falle der Komödie ›Sein oder Nichtsein‹, der Zensur entgehen zu können. Von JENNIFER WARZECHA

Die nackte Realität des Lebens

Bühne | Badisches Staatstheater: Wozzeck

Vielen wohlbekannt ist die Lektüre des ›Woyzeck‹, nicht ›Wozzeck‹, von Georg Büchner schon aus der Schulzeit. Dementsprechend waren auch viele Schülerinnen und Schüler sowie junge Menschen an diesem Samstagabend zu Gast im Badischen Staatstheater bei der Oper in drei Akten von Alban Berg mit dem Titel ›Wozzeck‹. Jedem und jeder von ihnen war nach diesem Abend anzusehen, dass ihm und ihr diese Aufführung sichtlich nahe ging – und hinsichtlich aller Facetten der Theaterkunst auf ganzer Linie überzeugte. Von JENNIFER WARZECHA