Sachbuch | Ernst Paul Dörfler: Nestwärme
Nun erreicht ihre Not den Boulevard – die Not unserer Spatzen, unserer Stare, des Rebhuhns etc. Es begann vor Jahren mit dem massiven Auftrag von Unkrautvernichtern auf die Äcker, mit den Monokulturen der industrialisierten Landwirtschaft, die die Nahrungsgrundlagen der Vögel zunichte machten, und niemand trat auf die Bremse. Von WOLF SENFF
Viele Vogelarten siedelten in die Städte um, doch auch hier sind sie ihres Lebens nicht sicher. Ein Bericht der hamburgischen Umweltbehörde wies vor wenigen Tagen erst darauf hin, dass diverse Vogelarten gefährdet sind; im Jahr 2005 wurden neunundzwanzigtausend Paare brütender Spatzen gezählt, heute sind es nicht mehr als sechzehntausend, die Bestände von Rebhühnern sind seit 2007 sogar um neunzig Prozent verringert.
Schutz der Vögel?
Die Ursachen sind uns mehr und weniger geläufig, die Auseinandersetzung zwischen Umweltschutz und Agrarindustrie ist präsent durch die Ministerinnen Schulz (Umwelt, SPD) und Klöckner (Landwirtschaft, CDU), doch auch der rot-grüne Senat in Hamburg gibt, Beispiel verdichtete Bebauung, allzu bereitwillig Forderungen nach, die das Leben der Natur gefährden.
Zurecht genießt die Vogelwelt viel Zuneigung, die Freizeit-Ornithologen gehen in die Hunderttausende, scharenweise brechen im Herbst die Menschen auf, beispielsweise zum Tister Bauernmoor, um während der anbrechenden Dämmerung die einfliegenden Kraniche zu bewundern, und man fragt sich zurecht, weshalb dieses Geschehen so selten Eingang findet in unsere sich doch stets so übersprühend lebhaft aufstellende, bunte Medienwelt.
Soziales Miteinander
Sei’s drum. Wir freuen uns über Ernst Paul Dörflers ›Nestwärme‹, er schreibt aus einem reichhaltigen Wissens- und Erfahrungsschatz, stets auch in Anspielung auf menschliche Verhältnisse, etwa über das Balzverhalten der Nachtigall, deren männliche Bewerber sich mit Gesängen bewerben, die sich über sieben bis acht Oktaven erstrecken, und er zeigt, starke Weibchen, dass die Frauen im Vogelalltag eine Menge zu sagen haben.
Ausführlich beschreibt er Besonderheiten wie Schwierigkeiten des Nestbaus und lobt die Gelassenheit, eine unerlässliche Voraussetzung für das Brüten, die auch für den Menschen oft empfehlenswert sei. Er beschreibt die Vorzüge und Nachteile von Nistkolonien, und wie von selbst drängen sich auch hier Parallelen zum sozialen Miteinander unter den Menschen auf.
Wollten wir das wissen?
Wenn es eng wird, werden oft auch die Brutplätze knapp, die hohe Wohndichte verursacht Unruhe und Lärm, infernalischen Gestank, und hungrige Räuber werden angelockt – man merkt bald, dass Dörfler nicht ohne eine augenzwinkernde Grundhaltung arbeitet, durch die seine Beobachtungen zu einem angenehmen Lesestoff werden.
Wir lesen eine schier unerschöpfliche Fülle detaillierter Wahrnehmungen, zum Beispiel erfahren wir, und zwar aufgrund von DNA-Analysen an den winzigen Vogelküken, dass der Nachwuchs in den Nestern von Meisen, Schwalben und Spatzen von diversen Vätern stammt
Der Zustand ist unerfreulich
Durch Messungen wurde nachgewiesen, dass die Schlafphasen bei Vögeln denen des Menschen ähnlich sind; eine Besonderheit bietet der Fregattvogel, der im Gleitflug nur bis zu sechs Minuten am Stück schläft, den Schlaf aber an Land mit bis zu zwölf Stunden täglich nachholt. Vielleicht eignet sich das eine oder andere für ein Wörterbuch des unnützen Wissens?
Aber Dörfler plaudert nicht nur, sondern verweist eindringlich auf die Gefährdung durch die industrialisierte Landwirtschaft, die dadurch verursachte extreme Artenarmut sowie starke Schwankungen der Insektenpopulationen, er verweist unter anderem auf Reste der früher zahlreichen Trappen im südlichen Brandenburg, die wir jeweils im Frühjahr in Führungen kennenlernen dürfen – der durch den Menschen herbeigeführte Zustand der Natur ist unerfreulich.
Titelangaben
Ernst Paul Dörfler: Nestwärme
Was wir von Vögeln lernen können
München: Carl Hanser Verlag 2019
284 Seiten, 20 Euro
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