Schon seit Jahrtausenden fragen sich die Menschen – wenn es ihnen die Religion nicht gerade verbietet – warum alles so funktioniert, wie es funktioniert, was also hinter den Phänomenen der Natur steckt. Von MARTIN GEISER
Das Buch ›Experimente – Versuch und Irrtum in der Wissenschaft‹ ist eine Geschichte über die menschliche Neugier und das Bedürfnis, die Welt und das Leben zu verstehen. Experimente betreibt die Menschheit schon seit Ur-Zeiten. Noch zentraler sind sie geworden mit dem Aufkommen der Wissenschaft. Diese ist ohne Experimente nicht denkbar.
Das Buch beleuchtet 60 Experimente (und Experimentreihen) und fasst diese thematisch in sechs Kapitel. Vom technisch recht einfachen Versuchen mit Licht und Prismen von Isaac Newton reicht das Spektrum der Experimente bis zu den wissenschaftlichen Mega-Projekten, wie die des Teilchenbeschleunigers LHC am CERN. Auch thematisch spannt das Buch einen grossen Bogen: Physik und Chemie sind ebenso präsent wie Genetik und das menschliche Verhalten.
Innerhalb der Kapitel sind die Experimente chronologisch geordnet. Zudem beschreibt der Autor in fünf »Intermezzi« das Wesen des Experiments. Die Beiträge sind sehr kurzweilig geschrieben und voller spannender Fakten. Leider sind nicht alle Experimente so beschrieben, dass man sie als Laie nachvollziehen kann. Hier wären vielleicht zusätzliche erklärende Grafiken sinnvoll gewesen.
Offenbar ist es aber gar nicht die Absicht des Autors, naturwissenschaftliche Phänomene zu erklären wie in einem Lehrbuch. Vielmehr erzählt Philip Ball die Geschichte der Experimente, der Menschen dahinter und ordnet beides in den historischen Kontext ein. Dies gelingt dem Autor zweifellos sehr gut, auch dank zahlreichen historischen Abbildungen und Fotografien.
Neben dem eigentlichen Haupttext sind informative Kurzbiografien der beteiligten Forscher eingefügt. Meist sind es tatsächlich Männer, doch Ball vergisst die Frauen nicht. Er würdigt sie und ihre Beiträge an die Wissenschaft angemessen – dies im Gegensatz zu vielen, der mit diesen Forscherinnen arbeitenden Männern, die oft den ganzen Ruhm für sich beanspruchten.
Zwar liesse sich das Buch durchaus als Nachschlagewerk für einzelne Experimente nutzen, aber es lässt sich auch von der ersten bis zur letzten Seite durchlesen. Denn ›Experimente‹ ist mehr als die Summe seiner einzelnen Beiträge. Aus den zahlreichen beschriebenen Experimenten ergibt sich auch eine Art Gesamtbild.
Mit diesem gelingt es dem Autor, zu zeigen, was Wissenschaft ausmacht, wie sie funktioniert. Sie besteht, so zeigt Ball, nicht nur aus strahlenden Erfolgen und revolutionären Durchbrüchen. Nicht jedes Experiment gelingt im ersten Anlauf. Technisches Geschick, Neugier und Geduld sind oft mehr gefragt als sturer Ehrgeiz.
So ist es faszinierend zu sehen, wie die Menschheit Schritt für Schritt zum Wissensstand von heute gelangt ist. Beim Lesen wird bewusst, dass Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, unseren Vorfahren noch höchst rätselhaft erschienen. Und so macht Experimente, selbst wenn es in die Vergangenheit blickt, auch neugierig auf den wissenschaftlichen Fortschritt und damit auf all die Resultate von Experimenten der Zukunft.
Titelangaben
Philip Ball: Experimente
Versuch und Irrtum in der Wissenschaft
Englisches Original: Beautiful Experiments – An Illustrated History of Experimental Science
Bern: Haupt Verlag 2024
240 Seiten, 38 Euro
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