/

Von Drachenblut bis Verwirrnis

Menschen | Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers Christoph Hein

»Relativ locker kann ich alles erzählen, weil es mir besser ergangen ist als vielen meiner Kollegen. Viele Autoren verloren mit der Wende ihre Verlage, die standen auf der Straße – so wie die Arbeiter, deren Betriebe zumachten«, erklärte Christoph Hein kürzlich in einem Interview über seinen jüngst erschienen, schmalen (historischen) Anekdotenband ›Gegenlauschangriff‹, in dem der äußerst kontrovers diskutierte Text ›Mein Leben, leicht überarbeitet‹ enthalten ist, in dem Hein den oscar-gekrönten Film ›Das Leben der Anderen‹ von Florian von Donnersmarck als »Gruselmärchen« bezeichnet. Von PETER MOHR

GegenlauschangriffDie deutsch-deutsche Geschichte mit all den höchst gegensätzlichen Befindlichkeiten, die sie entfachte, wird Christoph Hein (vermutlich) nicht mehr loslassen. »Nach 1989 gab es eine ungeheure Dämonisierung der DDR, jetzt eine rosarote Verklärung. Das würde ich mit Humor und Gelassenheit nehmen. Wer wirklich etwas über die DDR erfahren will, der muss Bücher lesen, die in dieser Zeit geschrieben wurden«, erklärte Hein vor einigen Jahren und empfahl in diesem Zusammenhang die Lektüre seines eigenen Romans ›Horns Ende‹ (1985).

Christoph Hein, der seit einigen Jahren in Havelberg (110 km nordwestlich von Berlin gelegen) lebt, hatte es schon in den frühen 1980er-Jahren auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze zu respektablem Ruhm gebracht. Die Figur der eigenwilligen, gefühlskalten Ost-Berliner Ärztin Claudia in der Novelle ›Der fremde Freund‹, die im Westen unter dem Titel ›Drachenblut‹ erschienen war, machte ihn in der Bundesrepublik schlagartig bekannt. Fortan wurde Hein, obwohl noch keine vierzig Jahre alt, in den alten Bundesländern zu den führenden, systemkritischen Ost-Intellektuellen gezählt.

Schon als Kind musste Christoph Hein, der am 8. April vor 75 Jahren im schlesischen Heinzendorf als Sohn eines Pfarrers geboren wurde und in einer Kleinstadt nahe Leipzig aufwuchs, manchen Umweg gehen. Die Oberschule blieb ihm als Nicht-Arbeiterkind verwehrt, sodass er bis zum Mauerbau ein Gymnasium in West-Berlin besuchte. Benno Besson und Heiner Müller wurden später seine Bühnen-Lehrmeister, 1974 debütierte er an der Berliner Schaubühne mit seinem Stück ›Schlötel oder was solls‹.

Heins Theaterarbeit war eine ständige Auseinandersetzung mit der staatlichen Zensur. In den späten 1970er Jahren wurden innerhalb von zwei Jahren 15 Verbote gegen Hein ausgesprochen. Elfmal hat er in seinen künstlerischen Arbeiten (mal mehr, mal weniger kaschiert) das Ende der DDR vorausgesagt, zuletzt im 1989 in Dresden uraufgeführten Theaterstück ›Die Ritter der Tafelrunde‹.

Geradlinigkeit und eine gehörige Portion Mut offenbarte Christoph Hein im November 1987, als er auf dem DDR-Schriftstellertreffen verkündete: »Die Zensur ist überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar.«

Um Paradoxien und menschenfeindliche Willkür geht es auch im 1989 erschienenen Roman ›Der Tangospieler‹ – bis heute eines seiner besten Erzählwerke. Wegen »Verächtlichmachung führender Persönlichkeiten des Staates« musste der Protagonist, der promovierte Historiker Peter Dallow, eine 21-monatige Haftstrafe absitzen. Mit unerbittlicher Schärfe hat Hein, der auch als Übersetzer von Racine und Molière reüssierte, die rigiden Drangsalierungen im sozialistischen Handlungsalltag des Jahres 1968 demaskiert und die staatstragende Ideologie (vor dem Hintergrund der blutigen Niederschlagung des »Prager Frühlings«) als ein opportunistisches »Bäumchen-wechsel-dich-Spiel« der Lächerlichkeit preisgegeben.

Christoph Heins Figuren – von der Ärztin Claudia aus ›Der fremde Freund‹ (1982) bis hin zum homosexuellen Literaturwissenschaftler Friedeward Ringeling in ›Verwirrnis‹ (2018) – verbindet der Hang zur Dickköpfigkeit: Sie sind eigenwillig, manchmal störrisch und introvertiert, sind sanfte Rebellen im vertrauten Mikrokosmos.

Es ist nicht zu leugnen, dass Christoph Hein, der von 1998 bis 2000 erster Präsident des gesamtdeutschen PEN-Clubs war, mit postmoderner Literaturtheorie nichts am Hut hat und ein leicht altmodischer, weil stark moralisierender Erzähler ist. Aber welch anderer zeitgenössische Romancier hat uns so präzise und authentische Gesellschaftsbilder wie ›Willenbrock‹ (2000) und ›Landnahme‹ (2004) geliefert? Man wird sich weit zurück erinnern müssen und stößt bei der Suche unweigerlich auf die besten Romane von Heinrich Böll und Siegfried Lenz. Und die gehören bekanntlich zu den Aushängeschildern der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur.

| PETER MOHR
| Titelbild: Thomas Holbach, ChristophHein 2012, CC BY-SA 3.0

Titelangaben
Christoph Hein: Gegenlauschangriff
Suhrkamp Verlag: Berlin 2019
123 Seiten, 14 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Zauberdings

Nächster Artikel

For ever …

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Ich denke an sie wie an ein Mädchen

Biografie | Heinz Bachmann: Ingeborg Bachmann, meine Schwester

Um das Leben der in Klagenfurt geborenen und unter tragischen Umständen in Rom gestorbenen österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1925 – 1973) ranken sich zahlreiche Mythen, noch geschürt durch lange unveröffentlichte Nachlassfragmente und gesperrte Briefwechsel. Am 17. Oktober jährt sich ihr Todestag zum 50. Mal. Der jüngere Bruder Heinz erinnert sich an ›Ingeborg Bachmann, meine Schwester‹ und gewährt Einblicke in das Familienalbum. Von INGEBORG JAISER

Eine Art Rage

Menschen | Zum 70. Geburtstag von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek am 20. Oktober »Das Schreiben ist bei mir ein leidenschaftlicher Akt, eine Art Rage. Ich bin nicht jemand, der wie Thomas Mann an jedem Satz feilt, sondern ich fetz halt herum. Das geht zwei, drei Stunden, dann falle ich zusammen wie ein Soufflé, in das man mit einer Nadel sticht«, hat Elfriede Jelinek in einem Interview mit der Schweizer Weltwoche erklärt. An Leidenschaft, Elan, Bissigkeit und künstlerischem Furor hat es in Jelineks Werken nie gemangelt. Als ihr 2004 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, war dies eine faustdicke Überraschung. Einen »Skandal«

Das Verhängnis einer Liebe

Menschen | Ingeborg Bachmann, Max Frisch: »Wir haben es nicht gut gemacht«

Von Juli 1958 bis zum Frühjahr des Jahres 1963 dauerte die Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch – zum Ende hin war sie vergiftet und zerbrach. Immer wieder ist über sie in der literarischen Öffentlichkeit gestritten worden mit Frisch in der Rolle des Böswichts und Bachmann in der des Opfers. Ein neues Editionswerk verlangt nach einer Korrektur der Sicht auf diese unheilvolle Beziehung der österreichischen preisgekrönten Lyrikerin und dem schweizerischen Erfolgsautor. Von DIETER KALTWASSER

Wir alle sind Fiktion

Kulturbuch | Doris Dörrie: Leben, schreiben, atmen Schreiben kann ein hochkonzentrierter und selbstvergessener Zustand sein, wenn man es schafft, die innere Zensur zu überlisten. Doris Dörrie scheint eine Meisterin darin zu sein. Ihr neuestes Buch ›Leben, schreiben, atmen‹ klingt wie ein Mantra und verheißt doch eine spannende Schule der Wahrnehmung. Von INGEBORG JAISER

Wiedersehen und Wiederhören in Erlangen

Lyrik | Ulla Hahn am 34. Erlanger Poetenfest Im Rahmen des 34. Erlanger Poetenfests wurde die Dichterin Ulla Hahn mit einem Autorenporträt Herz über Kopf im Spiel der Zeit am vergangenen Freitag Abend im Markgrafentheater der Stadt gefeiert. Der Journalist und Literaturkritiker Dirk Kruse moderierte das Gespräch mit der Autorin, die aus ihrem lyrischen Werk und ihren autobiografischen Romanen las. Anmerkungen von HUBERT HOLZMANN