/

Getanzte Bilder einer Ausstellung

Bühne | Show:Flying Pictures

Wie würden musikalische Bilder aussehen, wenn sie von Tänzern zum Leben erweckt werden? Für die neue Inszenierung »Flying Pictures« der Breakdance-Gruppe Flying Steps holten sie sich das brasilianische Künstlerduo Osgemeos mit ins Boot. Einst Straßenmaler in Brasilien bereichern ihre übergroßen Figuren nun die ungewöhnliche Tanzdarbietung. Die deutsch-indischen Komponisten Vivian und Ketan Bhati sorgen erneut dafür, dass die klassische Musik erkennbar bleibt, aber trotzdem urban tanzbar wird.
ANNA NOAH will herausfinden, wie gut Osgemeos Kunst, Mussorgskis Musik und Breakdance zusammenpassen.

LED-Leisten-Würfel

Flying Steps: Flying Pictures BerlinEs folgt ein filmreifer Auftakt für eine eindrückliche Show. Drei Jahre hat man an »Flying Pictures« getüftelt – und nun kann sich der Zuschauer überzeugen, dass Kunst immer wieder aufs Neue Grenzen überschreiten wird und darf.
In der Mitte des Zuschauerraumes steht ein zuerst unscheinbarer, käfigartiger Schaukasten. Viereckige Bilderrahmen, die eigentlich schmale LED-Leisten sind, leuchten im Takt auf, bevor sie von der Decke hinabschweben. Es erklingen mystische Geräusche im Hintergrund, hervorgerufen von den Streich- und Zupfinstrumenten des Berlin Music Ensembles.

Plötzlich versinkt der Raum in grell-blauem Licht, während der Klang der Musik eingehender wird und der erste Tänzer im Salto auf die Bühne springt.

Flying Steps: Flying Pictures Berlin

Die Bühne selbst ist ein offener Würfel aus breiteren LED-Leisten und wirkt wie ein Käfig. Auf der hinteren Seite des Zuschauerraumes überwacht der elf Meter hohe »B-Boy Giant« das Bühnengeschehen. Seine Arme hat die immens wirkende Figur in Streetstyle-Kleidung weit von sich gesteckt. Er trägt eine futuristische Sonnenbrille und seine Beine ragen mehrere Meter in den Raum hinein.

Crossover-Kunst

Bei »Flying Pictures« werden nicht nur die Elemente von Kunst, Tanz und Musik vereint. Die Brasilianer Gustavo und Otavio Pandolfo kombinieren folkloristische sowie zeitgenössische Elemente der brasilianischen Kultur mit Graffiti, Hip-Hop-Musik und internationaler Jugendkultur. Ihr Markenzeichen sind übergroße, gelbhäutige Figuren mit Brille.

Musikalisch gibt sich die Produktion als eine Hommage an den Klassik-Komponisten Modest Mussorgski, der 1874 durch sein Klavierstück »Bilder einer Ausstellung« Berühmtheit erlangte. Er hatte die Musik zu Ehren seines verstorbenen Freundes, dem Maler Viktor Hartmann komponiert.

Im Mittelpunkt der aufwendigen Komposition stehen zehn Bilder, die jeweils von verschiedenen Stilen und Ländern beeinflusst sind. Doch die Musik wurde nicht nur gesampelt, man überschrieb sie, verfremdete sie mittels einer Beatbox und spielt sie dann live mit einem streicherdominierten Orchester. Somit wird es Kunst, Crossover-Kunst.

In einem kleinen Intermezzo der eigentlichen Darbietung zeigte der Beatboxer Mando, der mittels einer Loopstation Schlagzeug, Beats und Scratches mit Mund und Stimme imitierte, wie gut Klassik und Moderne verbunden werden können.

Flying StepsDanach ging es rasant weiter: In bunten Jogginganzügen, Marke 80er Jahre, wirbelten und hüpften die Tänzer federleicht über die Bühne. Mal einzeln, mal in Gruppe – oder gegeneinander antretend. Teilweise schwebten sie in der Luft wie ein Stillleben, bevor sie eine Sekunde später wieder auf ihren Händen oder Füßen landeten. Neben unterschiedlichen Breakdance-Varianten fließen Elemente des Contemporary oder Ballett mit ein. So werden die Geschichten der Bilder auf eine sehr eigenwillige Art und Weise erzählt.

Außergewöhnlich kreativ

Die Zuschauer sitzen um die Bühne herum, beobachten das bunte Treiben und können mühelos in die wundersame, lebendig gewordene Welt von Mussorgskys Musik eintauchen. Dabei überlisten die Tänzer wie von allein die Gesetze der Schwerkraft, um ihre Körper in der Luft zu drehen. Manchmal auf den Punkt synchron. Da sitzt in jeder Sekunde jeder Move. Allerdings sollte man hier nicht vergessen, dass das Ensemble aus absoluten Ausnahmetänzern besteht.

Doch nicht nur deshalb beweisen die »Flying Steps« mit ihrer außergewöhnlichen Vorstellung, dass Kunst in jeder Form bereichernd sein kann. Es entsteht eine Art Kommunikation, wenn sich Künstler gemeinsam über Genregrenzen hinweg inspirieren lassen und Kunst regelrecht ineinander verschmolzen wird. Die Klischees, schöne Künste gehören nur ins Museum, Breakdancer ausschließlich auf die Straße und ein klassisches Orchester nur in die Oper oder das Konzerthaus sind damit relativiert.

Standing Ovations sind allen beteiligten Darstellern sicher.
Innovationskraft und ein bisschen Mut zahlen sich eben doch aus.

| ANNA NOAH
| FOTOS: Nika Kramer

Showangaben
Flying Pictures

Darsteller: various
Creative Director: Vartan Bassil

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Frauenkampftag in Stuttgart

Nächster Artikel

Kalte Sophie

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Eva war zuerst da – wer denn sonst?

Bühne | Comedy: Cavewoman Tom flieht aus der gemeinsamen Wohnung. Heike wartet den gesamten Abend auf ihn, würde es jedoch nie zugeben. Ob er zu seiner Liebsten zurückkommt? Amüsant und kein bisschen hektisch macht sie aus der Not eine Tugend und gibt den »zu früh eingetroffenen Hochzeitsgästen« (Zuschauern) praktische Tipps zur Haltung und Pflege eines Mannes! Lachen erwünscht. ANNA NOAH wirft einen vergnüglichen Blick auf das Zusammenleben »moderner« Männer und Frauen.

Der ganz normale Alltagswahnsinn

Bühne | Badisches Staatstheater Karlsruhe: Der Gott des Gemetzels

Der entsetzte Blick geht schier ins Herz. Verzweiflung, Leere – alles ist in ihm drin. Und nein, dem liegt nicht der Verlust eines lieben Menschen oder ein ähnliches tragisches Ereignis zu Grunde. Die Ehefrau wirft das Smartphone ihres Gatten absichtlich ins Wasser der Blumenvase. In der Gegenwart, in der jeder ständig mit seinem Smartphone beschäftigt ist, sicherlich kein Einzelfall. Gerade in der Aufführung des „Der Gott des Gemetzels“, einer schwarzen Komödie von Yasmina Reza, im Badischen Staatstheater zeigt es, wie mangelnde oder falsche Kommunikation nicht nur das Familienleben beeinträchtigen können. Von JENNIFER WARZECHA

Kapitalismus, Theater und Kritik

Bühne | Kulturbuch | Joachim Fiebach: Welt – Theater – Geschichte. Eine Kulturgeschichte des Theatralen Er gilt als Gigant unter den zeitgenössischen Theaterwissenschaftlern, ein Gigant, der scheinbar spielerisch Theater, Medien, Herrschaft, Philosophie und Kultur als Ganzes prägnant, pointiert und manchmal auch provokativ kontextualisiert sowie en passant sich auch noch als der Experte für das Theater Afrikas gerierte: der Berliner Professor Joachim Fiebach. Schon in zahlreichen Monografien und Artikeln hat er sich mit den sozialen und politischen Faktoren des Theaters beschäftigt und dabei aphoristisch über die dramaturgische Inszenierung der Realität laboriert. Jetzt hat Fiebach sein wissenschaftliches Opus Magnum vorgelegt, mit dem

Abgesagt: Franco Berardi

Literatur | Festival »Poetische Quellen« Ohne dass es der Öffentlichkeit hinreichend präsent wäre, existiert hierzulande eine lebhafte Szene von Literaturfestivals, eines davon das jährlich in Ostwestfalen-Lippe in Bad Oeynhausen und Löhne veranstaltete internationale Literaturfest »Poetische Quellen«: vier Tage Literatur stets am letzten vollen Augustwochenende, diesmal: ›Der Platz des Menschen – Wirklichkeiten, Wahrheiten, Illusionen‹. Von WOLF SENFF

Ein entpolitisierter Zirkus

Bühne | Die Blechtrommel. Schauspiel nach dem Roman von Günter Grass Horace Engdahl titulierte in seiner Nobelpreisrede auf Günter Grass im Jahre 1999 dessen Roman ›Die Blechtrommel‹ als die »Wiedergeburt für den deutschen Roman des Zwanzigsten Jahrhunderts«. Die Schauspielbühnen Stuttgart haben sich mit der ›Die Blechtrommel‹ ergo einen großen Brocken vorgenommen, denn es ist zwar gerade en vogue, Romane als Theaterstücke zu adaptieren, aber selten nimmt man sich dazu einen dermaßen dicken und auch verdichteten Wälzer vor, zumal wenn es sich dabei um einen literarischen Erguss handelt, der so typisch im Genre des Romans gefangen zu sein scheint. Dennoch hat