Musik | Gretchen Peters und Amanda Rheaume
Story Telling im Country Noir – Gretchen Peters
»…pretty things, pretty things gone to ruin…« (›Pretty Things‹)
›Dancing With The Beast‹ von Gretchen Peters wurde produziert in altbewährter Zusammenarbeit mit Doug Lancio und Barry Walsh in Nashville. Und ist nach ›Blackbirds‹ ihr neuntes Studioalbum. ›Blackbirds‹ featured viel Melancholie, ist aber dabei sehr energetisch. Über die Songs sagt Peters: »These songs are stories of lost souls, people trapped in the darkness, or fighting their way out of it.« Von TINA KAROLINA STAUNER
Peters, die zu den Mitgliedern der Songwriters Hall of Fame gehört, ist immer wieder auch an den Projekten anderer beteiligt, wie etwa mit ›Independence Day‹ bei Martina McBridge. ›Dancing With The Beast‹ bringt weiterhin nicht gerade Frohsinn und gibt dabei die Keywords »Dancing« und »Beast«. Schöne Lieder können auch traurig sein. Zu traurigen Liedern kann man auch tanzen. In klanglichen Oxymoronen.
Die aus Nashville stammende 60-jährige Gretchen Peters bietet gitarrenlastigen Folk, countryesken Americana und griffigen Rock. In der Instrumentierung ist die Gitarre immer wieder durch Orgel- und Pianoklänge einfühlsam ergänzt. Auch die Pedal Steel darf Raum einnehmen, um für das Storytelling Atmosphäre zu schaffen. Souverän zeigt sich Peters zudem stimmlich im Duett mit Jimmy LaFave. Zu ihren musikalischen Gästen zählen Musiker wie Jerry Douglas, Jason Isbell, Will Kimbrough, Kim Richey, Suzy Bogguss, nennbar auch »who’s who of modern American roots music«.
Die markante Gesangsstimme bildet das bestimmende Zentrum, was auch musikalisch von der Band und den Co-Produzenten Doug Lancio and Barry Walsh könnerhaft mit herausgearbeitet wird. In Geschichten, Momentaufnahmen und Realismusfragmenten.
Schwer lastende Themen und schwerlastig Musikalisches finden sich im Country noir. Aber Texte sind wie angstloser Sozialkommentar. Verstörender und schonungsloser Realismus gehören zum Setting. Gretchen Peters sieht im selben Zeitraum und im selben Umfeld die ganze Skala zwischen Leben und Tod. Freude und Trauer grenzen immer wieder aneinander. Auch im Songwriting. Ernsthaft und uneloquent weit entfernt von seichten Popsongs. Doch die spröden Songs können Energie freisetzen. Schwer Zugängliches kann kraftvoll sein. Bob Dylan beispielsweise wollte zu seinen erfolgreichsten Zeiten manchmal die Menschen nicht ansehen bei seinen Auftritten und spielte mürrisch mit dem Rücken zum Publikum. Und wurde Literaturnobelpreisträger.
Gretchen Peters ist gerade Trägerin des Americana Music Association UK Award for International Album of the Year 2016. Mit ›Dancing With The Beast‹ hat sie zwei Jahre später eine adäquate Nachfolgeproduktion. Und der Sound erinnert mich an etwas. Aber Sound erinnert immer an etwas. Bei ihren jüngsten Konzerten der ›The Strings Attached Tour‹ blicken manche auf die Benachbarung zu Stevie Nicks, Sheryl Crow and Rickie Lee Jones. Mit The Southern Fried String Quartet stand Gretchen Peters im April in der Cadogan Hall in London auf der Bühne. »Tell one little story,« sagt sie. »I just wrote it there, and I would stare at it for a while.«
Gretchen Peters – Love That Makes A Cup Of Tea
Political Correctness in Communities – Amanda Rheaume
»…you matter to me…so tell me anything…« (›Tell Me Anything‹)
»…zu lernen, sich selbst zu lieben bedingungslos, unabhängig von der körperlichen Beschaffenheit, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der sexuellen Ausrichtung, der Religion, der Spiritualität und was sonst noch…« Sonst noch was? Musik, die »… jeden Menschen ermutigt, der damit zu kämpfen hat, sich selbst zu akzeptieren und Selbstwertgefühl und Eigenliebe zu entwickeln. Jeder Mensch ist einzigartig und auf schöne Weise anders…« Klingt gut. Und damit informiert Amanda Rheaume über ihr Songwriting in Americana-, Roots-, Country- und Folk-Zirkeln. Ob in Kanada oder Tennessee und sonstwo.
Die Musikerin aus Ottawa erhielt 2014 den Canadian Folk Music Award for Aboriginal Songwriter. Das Album ›The Skin I’m In‹, produziert von Colin Cripps und mit handverlesenen Mitmusikern und Musikerinnen aufgenommen, ist nach vier Veröffentlichungen nun das aktuelle Statement der Gitarristin und Sängerin. Einige siedeln sie damit sogar in der Nähe von Joan Baez und Joni Mitchell an.
Rheaume ist native American und erinnert als engagierte Aktivistin mit Songs auch an eine Tragödie im Jahr 1180, bei der indigene Frauen in Kanada verschwanden und sie organisiert Festivals für die Native Women’s Association und für humanitäre Zwecke anderer kultureller und sozialer Gruppen. Benefit und präzises Songwriting sind vereinbar. Weltverbesserertum und Gesellschaftsanalyse, Sozialkritik und Geschichtsfakten schließen sich nicht aus. Und führen bei Amanda Rheaume zu nahezu perfekten Liedern. Aber alles so fast schon mal gehört.
Aber nur fast. Denn jeder hat seine eigene Lebensgeschichte, seine eigenen Geschichten und seine eigenen Songs, seine eigenen Texte und Bilder. Auch für die Welt der Shows. Dort sind Rheaumes Vorbilder Emmylou Harris, Lucinda Williams, Ani DiFranco. Rhaeume sagt von sich: »Manchen bin ich nicht lesbisch genug, anderen nicht feminin genug, manchen nicht indigen genug, aber auch nicht weiß genug.« Doch ihre Songs sind exzellent und stärken die Community der Songwriterinnen. Und das auch mit Métis-Identität und Anishinaabe-Spiritualität.
Titelangaben
Gretchen Peters
›Blackbirds‹, 2015
›Dancing With The Beast‹, 2018
(Proper Records)
Amanda Rheaume
›The Skin I’m In‹, 2018
(Big Lake / Rough Trade)