Bühne | Carl Maria v. Weber: Der Freischütz
Die Kirche wird zum Dreh- und Angelpunkt von Gut und Böse, zum Austragungsort von Rivalitäten, erotischen Machtspielchen sowie der Gier nach Anerkennung – Carl Maria von Webers (1786-1826) romantische Oper ›Der Freischütz‹, unter der Regie von Verena Stoiber, begeistert in Karlsruhe. Von JENNIFER WARZECHA
So ist sie die einerseits keusche und ergebene Frau. Andererseits schreibt in einer der Szenen Ottokar (überzeugend und ausdrucksstark: Ks. Armin Kolarczyk und Ks. Edward Gauntt) in roter Farbe das Wort »Hure« an die Kirchenwand und gibt ihr so die Rolle als erotische Verführerin. Agathe überhängt das Geschriebene mit einer Platane, auf der »Viktoria« geschrieben steht und geht damit als Siegerin aus diesem temporären Machtkampf hervor.
Mittels einer Videoleinwand wird ihr Bild anschließend direkt auf die Kirchenwand übertragen. Agathe spricht über ihre bevorstehende Heirat. Sie zündet Kerzen an, singt über dem Herrn und klagt darüber, dass sie sich Sorgen um Max mache. Sie bittet Gott um seinen Schutz und Segen für Max (ebenfalls überzeugend und ausdrucksstark: Matthias Wohlbrecht und Cameron Becker).
Max ist Schütze und nicht nur auf der Jagd nach seiner Geliebten, sondern auch nach dem besten Schuss. Schon eine ganze Weile will ihm dieser aber nicht mehr gelingen. Der Probeschuss ist eine alte Tradition in seiner Gemeinde, die Agathes Vater in einer Video-Einspielung mit dem Hinweis, dass die letzte Kugel für den Teufel ist, vorstellt. Er singt »O, lass‘ Hoffnung dich beleben«, »Oh, vertraue mir dein Glück«, »Nimmer trüg ich den Verlust«, »Wer sich höherer Kraft bewusst« und »Agathe, wie könnte ich es ertragen.«
Der Preis ist hoch
Der Probeschuss stellt Max nicht nur die Hochzeit mit Agathe, sondern auch die Försterei seines Schwiegervaters Kuno in Aussicht. Für Max ist der Probeschuss die ideale Gelegenheit, seine Ziele der allgemeinen Anerkennung und derer Agathes zu erreichen. Sechs der Freikugeln aus der Wolfsschlucht versprechen im Sinne des Schützen zu treffen, die siebente lenkt der Teufel. Mit Kaspar (wie auch die anderen Protagonisten gesanglich und schauspielerisch topfit und ausdrucksstark: Ks. Konstantin Gorny und Nicholas Brownlee) zusammen an seiner Seite fühlt Max sich aber sicher.
So sicher fühlt sich Agathe nicht. In einer anderen Szene beispielsweise hängt sie das »Hure«-Schild (gut gewähltes Bühnenbild und Ausstattung: Sophia Schneider) ab und singt über Hoffnung und Sünde. »All meine Pulse schlagen und das Herz wallt ungestüm, süß entzückt entgegen ihm.« Sie zieht die Bluse aus, sitzt nur noch mit dem Büstenhalter bekleidet da und singt von Dämonen und Schreckensschluchten. Unterstützt wird Agathe immer wieder von Ännchen (adrett und überzeugend: Agnieszka Tomaszewska und Katharina Ruckgaber a.G.).
Auch mit ihrer Tonart, genauso wie mit ihren weiblichen Rollen, scheint es, als säße Agathe förmlich zwischen den Stühlen. Ihr As-Dur klingt, wie auch das Programmheft schildert, entrückt, unwirklich und abgehoben. Auch das beschreibt den in der Oper durch Gesang und Schauspiel dargestellten Gegensatz zwischen Gut und Böse, in der realen Welt wie auch der psychischen Welt, in der der Mensch an den Teufel glaubt und in der Moderne oftmals durch falsche Erziehung oder gesellschaftliche Verhaltensweisen zu einer gespaltenen Persönlichkeit wird.
Insgesamt – unterstützt durch Johannes Willig in der musikalischen Leitung, Daniele Squeo im Nachdirigat, Video von Thiemo Hehl sowie der Chorleitung von Ulrich Wagner – eine äußerst gelungene Vorstellung!
| JENNIFER WARZECHA
| Fotografien: FELIX GRÜNSCHLOẞ
Titelangaben
Der Freischütz
Romantische Oper von Carl Maria von Weber
Libretto von Johann Friedrich Kind
Badisches Staatstheater Karlsruhe
MUSIKALISCHE LEITUNG Johannes Willig
NACHDIRIGAT Daniele Squeo REGIE Verena Stoiber
BÜHNE & KOSTÜME Sophia Schneider
VIDEO Thiemo Hehl / LICHT Stefan Woinke
CHOR Ulrich Wagner / DRAMATURGIE Deborah Maier
BADISCHE STAATSKAPELLE, BADISCHER STAATSOPERNCHOR & EXTRACHOR