Ramses II.

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ramses II.

Ramses II. könne Abraham Lincoln nicht das Wasser reichen und werde maßlos überschätzt, habe Donald Trump gesagt.

Gramner atmete aus und lehnte sich erschöpft zurück. Abraham Lincoln, fügte er hinzu, sei, sofern man Trump unbedingt Glauben schenken wolle, keineswegs einer der fähigsten Präsidenten der USA gewesen und sei, sage Trump, bekanntlich einem Attentat zum Opfer gefallen, entsetzlich.

LaBelle räusperte sich.

Ramses II., fragte Bildoon.

Ruhe, zischte Thimbleman.

Gramner nahm einen Schluck Wasser zu sich.

Daß Ramses II. die Große Mauer besucht habe, sei ein Gerücht, habe Donald Trump gesagt, wenngleich sie ein unvergleichliches Reiseziel sei. Unmöglich. Die Chinesen, von weisen alten Männern regiert, seien eine über alle Maßen kluge Nation, Xi Jinping sei ein enger Freund. Trumps Worte, sagte Gramner, exakt. Sie hätten ihre gewaltige Mauer errichtet, um Eindringlinge abzuschrecken.

Habe nicht der vielgerühmte Franz Kafka aus Prag, fragte Bildoon, den chinesischen Baumeistern genauestens erklärt, auf welche Weise die Mauer zu errichten sei.

Korrekt, bestätigte Rostock, er habe davon in Kafkas Schriften gelesen, die eine präzise Anleitung gäben, und vermutlich finden sich weitere Hinweise in Kafkas bislang unveröffentlichtem Nachlaß.

Der Rotschopf hob die Augenbrauen. Das hatte er nicht gewußt.

Eine Mauer zu bauen, das habe, glaube man Donald Trump, großartige historische Vorbilder, und sein eigenes Vorhaben, habe er angekündigt, werde all diesen Vorläufern die Krone aufsetzen, einzigartig, er sei ein erfolgreicher Präsident, simply the best.

Gramner atmete schwer.

Pirelli legte die Stirn in Falten.

London grübelte.

LaBelle rümpfte die Nase.

Abraham Lincoln habe nicht vermocht, eine Mauer zu bauen, habe Trump erklärt, im Grunde sei Lincoln eine Niete, auch Ramses II. habe keine Mauer gebaut, sondern den Tempel von Abu Simbel, der fälschlicherweise so überschwänglich gelobt werde, habe Trump erklärt, und hätte Ramses ihn gleich auf höher gelegenem Gelände errichten lassen, wären dem ägyptischen Staat immense Kosten erspart geblieben, der Hathortempel der Nefertari sei im Grunde ein Armutszeugnis, wenngleich sie beide in Reiseführern empfohlen würden, Reiseführer seien ein irreführendes Bündel Lügen, und vor Kadesch habe Ramses II. in der Schlacht gegen die Hethiter eine bittere Niederlage erlitten, jeder wisse davon, habe Trump erklärt, nur in den Medien werde kein Wort darüber verloren, traurig, sehr traurig, Ramses habe sie den Ägyptern als triumphalen Sieg umgedeutet.

Nach seinem fünften Asienfeldzug habe er Memphis als Hauptstadt aufgegeben, Ramses II. sei einer der großen Verlierer der Geschichte, habe Trump erklärt, man hätte Ramses II. unverzüglich feuern müssen, doch die Machthaber würden willfährig nach Melodien der Wall Street tanzen, die die Pyramiden finanziere.

Franz Kafka, den er sehr schätze – er habe ›Das Schloß‹ und ›Der Prozeß‹ gesehen –, habe ursprünglich einen Ägypten-Roman schreiben wollen anstelle des Amerikaromans, habe Donald Trump erklärt, die Ägypter stünden Kafka charakterlich näher; vermutlich deshalb habe er den Amerikaroman nicht zu Ende geschrieben, er sei Fragment geblieben, und Trump versäume nie zu erwähnen, sagte Gramner, daß er nur allzu gern Nefertari kennenlernen würde, eine Gemahlin von Ramses II., eine hinreißende Frau, sehr sexy, auch Melania habe klassische ägyptische Züge, unwiderstehlich, er sei vernarrt in diesen Typ Frau und wolle unverzüglich veranlassen, daß Ramses II. zu einem Staatsbesuch eingeladen werde.

Gramner hatte seine Erzählung mit letzter Kraft zu Ende geführt und wandte sich an seine Zuhörer. Ein nicht entwirrbares Durcheinander, versteht ihr?

Rostock nickte. Der Abend brach an, das Feuer, das sie sich von einigem Gestrüpp angezündet hatten, erlosch.

Ob das skurrile Abenteurertum denn nie ein Ende finde, fragte London. Er genoß diese Tage der Fangpause, die aufgrund der Verletzungen unvermeidlich waren. Subtropisches Klima – in der Ojo der Liebre war gut auszuhalten.

Zukunftsmusik. Mahorner winkte herablassend ab und hatte eigentlich sagen wollen, wie beschämend er Trumps Auftreten fand. Aber er hielt sich zurück. Der Abend war mild und ließ keine Aufregung zu. Nein, Homo sapiens sei das nicht, keineswegs.

Aufdringliches Getöse einer zerfallenden Zivilisation. Laut und lästig wie nachwachsende Blagen. Pirelli gähnte gelangweilt.

Der Ausguck nahm Anlauf und führte einen Flickflack vor, die Männer schreckten auf und staunten doch über die Anmut und die Eleganz. Sie kannten seinen Salto und seinen Handstand, der Flickflack verdiente ihren Applaus.

Gramner lasse kein gutes Haar an der Moderne, sagte Eldin.

Seht euch in der Stadt um, sagte der Rotschopf: Der Goldrausch vernichte Existenzen.

Ein leidiges Thema, sagte Thimbleman.

Deshalb sei es nicht falsch, erklärte Pirelli.

Ob das bereits die Moderne sei, fragte Rostock.

Neuzeit, sagte Harmat.

Sie beginne mit der Dampfschiffahrt und werde den Planeten zugrunde richten, sagte Bildoon.

Weshalb Neuzeit, fragte LaBelle.

| WOLF SENFF
| Abbildung: https://www.flickr.com/photos/robven/, Ramesses II in the Turin Museum24, CC BY 2.0

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Connected Beats And Lush House Grooves

Nächster Artikel

Am Ende ist alles anders

Weitere Artikel der Kategorie »TITEL-Textfeld«

In Fesseln

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: In Fesseln

Einmal gesetzt, begann Gramner, ihr seid in Moray zu Gast und ihr seht dort den Umzug anläßlich der Dufftown Highland Games, sie spielen beispielsweise Scotland the Brave, wohin marschieren sie, ich weiß es nicht, sagte er, vielleicht zur Kirche, in Canterbury gingen sie zur Kathedrale, aber Moray hat keine Kathedrale im Angebot, also werden sie zum Rathaus marschieren, doch das ist nicht wichtig, versteht ihr, die Musikzüge marschieren im Gleichschritt zum Takt der Musik, die sie spielen, ihr habt in der Ojo de Liebre keine Gelegenheit, Musik vom Dudelsack zu hören, das ist schottische Tradition, ihr werdet sie kaum kennen, die Musiker tragen Bärenfellmützen, sie sind in regionale Tracht gekleidet und bieten einen mitreißend bunten Anblick, an den Straßenrändern stehen die Menschen und applaudieren gelöst, das ist ein Ereignis, versteht ihr, außergewöhnlich.

Kontrovers

TITEL-TExtfeld | Wolf Senff: Kontrovers

Die Erschaffung der Welt sei beileibe kein einmaliges Ereignis, sie bedürfe der ständigen Wiederholung und Erneuerung. Tilman schmunzelte. Täglich, fügte er hinzu.

Ist das so?, fragte Anne: Wer sagt das? Deine Ägypter?

Immer auf der Höhe der Zeit, spottete Farb.

Wir befinden uns in der dreieinhalbtausendjährigen Kultur des Alten Ägypten, das sei gar kein abwegiges Gedankenspiel, sagte Tilman, keineswegs, sagte er, angesichts einer Gegenwart, die daran arbeite, die Abläufe des Lebens und ihre Grundlagen zu schädigen.

Agonie

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Agonie Der Planet leidet Todesqualen. Du übertreibst, Susanne. Sagt Gramner. Gramner lebt zwei Jahrhunderte vor unserer Zeit. Er kann das nicht wissen. Sein Gespür ist untrüglich.

Doppelbödig

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Doppelbödig

Nein, so verhielt es sich nicht, weiß Gott nicht, Ramses konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

Was bildeten sich diese Leute nur ein, diese Walfänger, und gab es nicht diese aufdringlichen fremden Gelehrten, die die Grabruhe störten, vor wenigen Jahren anläßlich einer preußischen Expedition nach Ägypten, wie nannten sie sich, Archäologen, sie begründeten hochtrabend eine Ägyptologie und waren keinen Deut besser als jene Grabräuber, gegen die er einen aufsehenerregenden Prozeß hatte führen lassen, also bitte.

Wer hatte überhaupt die Erzählung in die Welt gesetzt, daß er zerstückelt worden sei, davon kann keine Rede sein, er sei, so wird erzählt, von seinem Bruder Seth, dem gewalttätigen Gott und Rivalen um die Krone, nicht nur getötet worden, sondern grausam zerteilt, und Ramses war darüber über alle Maßen erbost, ein Jack the Ripper, sagte er, ja, gewiß, der habe im fernen London gewütet, man wolle bitte die Kirche im Dorf lassen, und daß herausgeschnittene Organe des Osiris und restliche Glieder in den Nil geworfen und durch die Strömung weithin verteilt worden seien – welch blühender Unsinn, eine Räuberpistole.

Vier Gedichte

TITEL-Textfeld | Martin Jürgens: Vier Gedichte Beauty-Case DEUTSCHLÄNDERIN I                                Ka-heienz, ich                                bin da drüben, ja? Und lacht. Es zieht Im airport Malaga Ein beautycase in Richtung duty–free, Zwei goldne Riemchen Um die Knöchel.