Familiengeheimnisse

Roman | Tatiana De Rosnay: Fünf Tage in Paris

Kein schönes Wetter für eine Familienfeier in Paris: Es schüttet wie aus Eimern und hinter der festlich gestimmten Familien-Kulisse brodelt es auch. Tatiana De Rosnay erzählt in Fünf Tage in Paris von Familiengeheimnissen, von so viel Unausgesprochenem, von dem, was hinter festlicher Kulisse gärt. Von BARBARA WEGMANN

Fünf Tage in Paris - 9783570103654»Sieht nicht gut aus. Es regnet immer noch, die Fließgeschwindigkeit der Seine ist viel zu hoch. Der gesamte Schiffsverkehr wurde eingestellt.« Das war schon eine Jahrhundertflut, damals 2016 in Paris. Museen, Bibliotheken waren geschlossen, der Verkehr eingeschränkt, ein Ausnahmezustand. Dies ist der meteorologische Hintergrund, vor dem Tatiana de Rosnays Roman seinen Lauf nimmt. Es ist die Geschichte der Familie Malegarde, die sich in Paris trifft, angereist aus Los Angeles und London und Südfrankreich. »So geht das jetzt schon seit zwei Wochen«, sagt der Taxifahrer verdrossen. »Es regnet in Strömen, ein silbriger, rauschender Vorhang, der alles Tageslicht verschluckt.

Erzählt wird die großangelegte Familiengeschichte aus der Sicht von Linden, Bruder von Tilia, einem mittlerweile höchst erfolgreichen Fotografen, der schwul ist und mit seinem Freund zusammenwohnt – eines der vielen Familiengeheimnisse. Der Vater, Paul Malegarde, gesundheitlich arg angeschlagen, wird 70 Jahre alt. Gleichzeitig soll der 40. Hochzeitstag mit seiner Frau Lauren gefeiert werden. Das Programm steht, aber die »apokalyptischen Wetterverhältnisse« machen der Familienplanung einen Strich durch manches.

Je aufgewühlter und so ungewohnt bedrohlich das Wetter draußen wird, desto zerbrechlicher und spröder zeigt sich die Familienfassade der Malegardes. Jeder hat seine Geheimnisse, sein persönliches Schicksal, das er seit Jahren mit sich herumträgt und das unter dem Mäntelchen des Schweigens wohlbehütet verborgen bleibt. Nicht gerade förderlich für eine offene und ehrliche Familienkommunikation. Und dann ist da auch noch Pauls Zusammenbruch, ein Schlaganfall, er muss ins Krankenhaus.

Tatjana de Rosnay lebt in Paris und sie ist alles andere als eine Unbekannte: viele Romane, viele verfilmte Romane, beste Plätze auf Bestsellerlisten, so auch dieser Roman. Aber: Man muss es schon mögen, diese ruhigen Schilderungen, den fast völligen Verzicht auf Dialoge, die weit ausschweifenden Beschreibungen und Schilderungen der einzelnen Familien-Puzzleteile. Eine unspektakuläre Erzählweise, durch nichts zu beirren, langsam, unaufgeregt, dem Tempo des draußen stetig steigenden Wasserpegels ähnelnd. Eine Stadt im Ausnahmezustand und eine Familie, deren Fassade Stück für Stück zerbröckelt.

Das, was das Buch dann aber letztlich doch in gewisser Weise spannend macht, ist sicher die Tatsache, dass es in dem einen oder anderen von uns vielleicht ja auch so ein kleines Geheimnis gibt, aus der Vergangenheit, in den Gedanken, in der eigenen Vita, über das man nicht spricht, oder das man vielleicht gerne schon immer mal loswerden, beichten oder jemandem anvertrauen wollte. Die lieben Familienfeste, da hat bestimmt jeder eine Geschichte beizusteuern. Alles eine Frage der Kommunikation, … wenn das aber so einfach wäre.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Tatiana De Rosnay: Fünf Tage in Paris
(Sentinelle de la pluie, 2017) Aus dem Französischen von Nathalie Lemmens
München: C. Bertelsmann 2019
300 Seiten, 20 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eine Schlange mit bloßen Händen fangen

Nächster Artikel

Zikade in einer grauen Welt

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Retter, Götter, Romantiker

Roman | Annette Mingels: Dieses entsetzliche Glück

Sie heißen Amy und Aiko, Tessa und Tara, Robert und Basil. Dieses entsetzliche Glück ist das unerreichbare Ziel, dem sie unentwegt entgegenhecheln, egal ob sie Bücher schreiben, Häuser verkaufen oder Anthropologie studieren. Annette Mingels hat mit ihrem neuen Buch einen hellsichtigen Episodenroman verfasst, der sich tief in die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft gräbt. Für die Lektüre sollte man sich Zeit zu lassen. Von INGEBORG JAISER

Terror an der Côte d’Azur

Roman | Dominique Manotti: Marseille.73

Nach Schwarzes Gold (Argument Verlag 2016) ist Marseille.73 der zweite Roman, in dem Dominique Manotti in die Vergangenheit des in mehreren ihrer Bücher auftauchenden Kommissars Théodore Daquin eintaucht. Er führt den eben aus Paris Gekommenen und seine beiden Inspecteurs in die Szene der nach dem Ende des Algerienkriegs 1962 aus dem Maghreb heimgekehrten, so genannten Pieds-noirs. Deren militanter Teil hat sich in der UFRA, der »Vereinigung der französischen Algerienheimkehrer«, organisiert. Als mehrere Morde im algerischstämmigen Milieu die Öffentlichkeit aufwühlen, beginnt Daquin mit seinen Männern zu ermitteln. Und ahnt schon bald, dass ihn die Spuren auch in den Polizeiapparat und die Justizbehörden der südfranzösischen Hafenstadt führen werden. Von DIETMAR JACOBSEN

Bilanz des Scheiterns

Roman | Michael Stavarič: Das Phantom

»Ich habe tatsächlich auch immer so eine Art fiktiven Thomas Bernhard vor mir gehabt. Am ehesten noch den aus der ,Ursache', wo er über Salzburg und den Nationalsozialismus und so weiter schimpft«, hat der 51-jährige Schriftsteller Michael Stavarič über seinen neuen Roman Das Phantom und die Hauptfigur Thom erklärt. Von PETER MOHR

Barrikaden, Hindernisse

Gesellschaft | Frank Niessen: Entmachtet die Ökonomen! Warum die Politik neue Berater braucht Die universitäre ökonomische Lehre sieht sich nicht erst seit heute heftiger Kritik ausgesetzt. Denn die Öffentlichkeit wundert sich zurecht, dass eine aufwendig situierte Wissenschaft weder in der Lage ist, krisenhaften Tendenzen gegenzusteuern noch die Symptome zuverlässig zu kurieren. Mit dieser Problematik setzt sich Frank Niessen auseinander, ein Ökonom, der nicht in den universitären Betrieb integriert ist, die Verhältnisse von außen betrachtet und zu einem vernichtenden Urteil gelangt. Von WOLF SENFF

Kubakrise und Klavierlehrerin

Roman | Ian McEwan: Lektionen

Der persönlichste, der umfangreichste, der beste – der neue Roman von Ian McEwan wurde schon vor dem Erscheinen der deutschen Übersetzung mit reichlich Vorschusslorbeeren überschüttet. Um es vorwegzunehmen – an die Meisterwerke des inzwischen 74-jährigen britischen Autors reichen die Lektionen nicht heran. Von PETER MOHR