Tierisches

Kinderbuch | Franz Hohler: Am liebsten aß der Hamster Hugo Spaghetti mit Tomatensugo

»Es war einmal ein Igel«, hieß es 2011 und Franz Hohler erzählte wunderbare gereimte Tiergeschichten voller verrückter Verdrehungen und mit sehr viel Tiefsinn. Kathrin Schärer lieferte die Illustrationen dazu. ANDREA WANNER freut sich über die Fortsetzung.

Hamster HugoManchmal passiert es, dass Bücher, die besprochen werden wollen und sollen, übersehen werden. Mir geht das jedenfalls so. Es gibt zwei Regalbretter mit den Titeln, die anstehen. Vorsortiert, übersichtlich. Von dort wandern sie mit auf den Schreibtisch, aufs Sofa, in den Garten, auf einen Stapel neben dem Lesesessel: je nach Art und Umfang – und vor allem meiner Lust und Laune. Der Hamster Hugo fand seinen Platz zwischen den Lyrikbänden neben dem Bett.

Dort liegen jene Bücher, die häppchenweise genossen werden und wo die kürzeren und längeren Gedichte wie kleine Betthupferl warten. Nein, dorthin gehören eigentlich keine Arbeitstitel. Was hier liegt, ist Vergnügen pur. Und genau aus diesem Grund liegt dort der kleine Nager, der sich mit Gabel und Löffel, der von den Italienern verpönten Art, an den langen, dünnen Nudeln mit Tomatensauce abmüht. Hohlers kleine Kunstwerke sind so schnell zu Lieblingen geworden, dass ich – man möge es mir ausnahmsweise verzeihen – das Besprechen schlicht vergessen habe.

Hohler sucht seine Helden im gesamten Tierreich. Elefanten, Wölfe, Gämsen, Störche, Nashörner, Quallen, Mücken: Kein Tier zu klein und keines zu groß, als dass es nicht für die Reimerei taugte. Fische, Vögel, Nager: Für jeden findet er eine kleine Episode, die die Kreatur zum Helden oder zu Heldin macht – für die Länge von drei oder vier Paarreimen.
Wie zum Bespiel Otto:

»Ein Vogel namens Otto
Gewann einmal im Lotto
11000 Euro 20
Und flog damit nach Danzig
Dort gab er alles aus
und flatterte nach Haus.«

Damit ist alles gesagt. Über Otto. Über seinen Trip in eine andere Stadt. Über das Geld. Und wir können uns überlegen, was für ein Vogel dieser Otto überhaupt ist und was er mit so viel Geld an der polnischen Ostseeküste übernommen hat.

Ähnlich wie bei einem Limerick arbeitet Hohler in den Gedichten mit einer geografischen Verortung oder einer besonderen Eigenschaft seines tierischen Protagonisten. Viele haben Namen, alle finden sich in Situationen, die für sie doch eher ungewöhnlich sind. Und klar erinnert man sich an Klassiker wie die Ringelnatz’schen Ameisen.

Damit aber nicht genug. Kathrin Schärer greift zu Stiften und erweckt Gorilla und Wombat zum Leben. Sie zeigt das ratlose Reh beim Twittern und den gefrusteten Mäuserich in der Bar. Tierfiguren sind ihre ganz große Stärke, denn – wie sie in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung verrät: »Tiere können die Zähne fletschen, die Ohren anlegen, Haare und Schwänze aufstellen. Bei menschlichen Gesichtern dagegen stößt man mit den Emotionen rasch an Grenzen: Ein wutverzerrtes Gesicht kann abstoßend wirken, Tiere dagegen bleiben eher sympathisch. Auch die Fläche ist beim Menschengesicht ein Problem. Was macht man mit so viel Haut? Ein Tier hat eine Fellzeichnung, es hat Runzeln oder Falten.«

So wird das Tierische zum Allzumenschlichen. Wir entdecken Regungen und Reaktionen, die wir nur zu gut kennen. Es ist ein Spiel mit Distanz und Nähe, märchenhafter Verfremdung und Wiedererkennen. Ein Vergnügen pur. Und jetzt, nach getaner Arbeit, wieder auf meinem Lieblingslyrikstapel zu finden. Da, wo auch Ringelnatz liegt.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Franz Hohler: Am liebsten aß der Hamster Hugo Spaghetti mit Tomatensugo
Tiergedichte mit Illustrationen von Kathrin Schärer
München: Hanser 2018
64 Seiten, 14 Euro
Bilderbuch für alle
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Homo sapiens

Nächster Artikel

Kettenspiele

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Der überwältigende Charme des Alltäglichen

Kinderbuch | Emma Adbåge: Mickan ist ganz zufrieden mit sich In Kinderbüchern muss etwas passieren, heißt es. Am besten Abenteuer und das am laufenden Band. Egal, ob Verbrecherjagd, Gespenster oder Familienprobleme, Hauptsache, es wird rasant. Dabei übersieht man leicht, dass nicht alle Kinder gleich sind. Manche ziehen ihr Vergnügen daraus, das ganz Alltägliche zu betrachten. Dass das einen eigenen, überwältigenden Charme entwickelt, beweist die junge schwedische Autorin Emma Adbåge mit Mickan ist ganz zufrieden mit sich. Von MAGALI HEISSLER

Wenn die Erinnerung sich nicht mehr erinnert

Kinderbuch | Mark Haayema: Oma, du darfst meine Puppe haben

Wie schön: Das Buch basiert auf persönlicher Erfahrung des Autors, es wurde 2018 von der niederländischen Alzheimer-Stiftung ausgezeichnet und: 2015 entstand aus dem Text sogar ein »anrührendes Bühnenstück«. Und tatsächlich: Es ist ein wunderbares Buch für einen so ganz besonderen Abschnitt im Leben. Von BARBARA WEGMANN

Monsieur Hulot und der Oktopus

Kinderbuch | David Merveille: Hallo Monsieur Hulot »Wie eine Perlenschnur sind die Gags aufgereiht, verbunden von einer überaus liebenswerten Intelligenz und einem romantischen Charme, der über Chaplins kalkuliertes Spiel weit hinausgeht. Eine zärtlich-erfreuliche Typen-Komödie, die sich gegen jede filmische Einordnung nicht nur im französischen Kino sperrt.« liest man im Lexikon des Internationalen Films, wenn man nach Monsieur Hulot sucht. ANDREA WANNER als alter Jacques-Tati-Fan freut sich über ein besonderes Bilderbuch.

Kinder, nehmt euch ein Vorbild an den Erwachsenen!

Kinderbuch | Davide Cali, Benjamin Chaud: So was tun Erwachsene nie

Das weiß man in der Pädagogik schon sehr lange: Dass Kinder am schnellsten und besten von Vorbildern lernen. Sich zu engagieren, sich einzusetzen, durchzusetzen. Aber auch gutes Benehmen. Denn eins ist ja klar: Erwachsenen benehmen sich nie daneben. Von GEORG PATZER

Willkommen im neuen Jahr

Kinderbuch | Daniela Kulot: Reim dich durch den Januar und den Rest vom ganzen Jahr Irgendwann haben wir es gelernt: die Monate, die Jahreszeiten, die einander folgen. Später haben wir sogar gelernt, warum das so ist. Und warum es auf der Südhalbkugel andersrum funktioniert. Aber jetzt fangen wir noch mal ganz von vorne an und freuen uns an dem stabilen Pappbilderbuch für die Kleinsten, wo in fröhlichen Versen alles erklärt wird. Von ANDREA WANNER