Neues Leben entsteht

Kinderbuch | Sissel Horndal: Máttaráhkkás weite Reise

Dieses ausgesprochen schöne Bilderbuch entführt in den hohen Norden, ins Land der Samen, einer alten Volksgruppe, deren Lebensraum sich vom Norden Schwedens, Norwegens, Finnlands bis zur Barentssee in Russland erstreckt. Die Ureinwohner Lapplands sprechen eigene Sprachen und haben eine immer noch sehr lebendige Kultur, die aus dem Schamanismus herrührt, aus jener Zeit, als die Samen noch als Rentierjäger durch das Land zogen. Alles in der Natur hat eine Seele, und den Göttern und Geistern in der Welt nährt man sich mit Respekt. Diesen Zauber, so findet BARBARA WEGMANN, spiegeln Buch und Geschichte aus dem wunderbaren Baobab Verlag wider.

Sissel Horndal: Máttaráhkkás weite ReiseWenn die Blätter fallen, die Vögel gen Süden ziehen, die Tage kürzer werden und der Wind frostiger, dann naht der Winter.

Und von einem Tag auf den anderen ist irgendetwas in der Natur anders. »So ist es also«, sagen die Tiere. Der Nordwind in Tiergestalt fegt »von den Bergen herunter. ›Aus dem Weg!‹ poltert er. ›Ich bringe den Winter!‹« Die Flüsse frieren zu, der Wald wird weiß, es herrschen Frost und Kälte. Und dann ist da ein junges Paar, das sehnsüchtig auf die Sonne wartet.

Wenn neues Leben in die Welt kommen soll, dann, so heißt es in der samischen Mythologie »mussten die Götter zusammenarbeiten«. Der Sohn des Gottes Radien erschafft »den ersten Atemzug eines Wesens«. Máttaráddjá, der Urvater, bringt den neuen Atem zur Sonne, wo sich das Leben entzündet. Und schließlich ist es die Urmutter Máttaráhkká, die das keimende Leben behüten wird.

»Was wird das wohl? Ein Bärenkind? Ein Mensch? Oder vielleicht ein Rentierkalb?« Und während sie auf dem langen Weg von der Sonne zur Erde ist, warten dort ihre drei Töchter, die »den Menschen helfen und sie beschützen«. Und inzwischen ist es auf der Erde dann auch Frühsommer …

Es sind kräftige Farben, die Buch und Geschichte in eine zauberhafte Stimmung und Atmosphäre eintunken, die schweren Brauntöne des Herbstes, die dunklen des nordischen Winters, das Weiß des Schnees und die wie Polarlichter anmutenden Farbbänder, die die kommende Sonne erahnen lassen. Lebendigkeit und Stärke in jedem Pinselstrich, alle Farben eines Kaleidoskops verschwimmen großflächig und mutig ineinander, lassen Götterwelten, Naturgewalten und Überirdisches erahnen.

Sissil Horndal, erfolgreiche Autorin und Künstlerin und schon oft ausgezeichnet für ihre Arbeiten, sie lebt selbst im Land der Samen, nördlich des Polarkreises. Ihr Text, ihre Illustrationen, beides harmoniert nicht nur vortrefflich, sondern wird zu einer lebendigen und mystischen Geschichte, die ein Stückchen Kultur aus fernem Land näherbringt.

Übrigens spielt der Bär eine ganz besondere Rolle in der Welt der Samen: Er gilt als heilig. »Für die Samen war es ein Zeichen des Glücks, einen Bären in ihrem Gebiet zu haben, und es hieß, der Bär würde die samische Sprache verstehen und könne die Gedanken der Menschen hören.« So ist es gerade ein Bär zu Beginn der Geschichte, der starke und mächtige Bär, der einer kleinen zarten Mücke zuhört. Sie bemerkt es zuerst, dass der Wandel der Jahreszeiten unmittelbar bevorsteht. »So ist es also.«

Titelangaben
Sissel Horndal: Máttaráhkkás weite Reise
Eine Erzählung aus dem Samenland
Übersetzt von Elisabeth Berg
Basel: Baobab Books 2019
32 Seiten. 18,50 Euro
Kinderbuch ab 5 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Konflikt

Nächster Artikel

Das Vergehen der Zeit

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Die Welt mit richtigen Augen sehen

Kinderbuch | Kobi Yamada: Erkennen

Schnell hat man bei diesem wunderschönen Buch Saint-Exuperys ›Kleinen Prinzen‹ vor Augen, wie sagte der doch noch: »Nur mit dem Herzen sieht man gut«. Genau darum geht es in Yamadas hinreißend illustrierter Philosophie-Stunde für kleine und große Leser. Von BARBARA WEGMANN

Bonbons, Lutscher, Eis?

Kinderbuch | Thierry Lenain & Barroux: Was machen Eltern nachts? Die Welt ist voller Geheimnisse. Wie schlafen Fische? Warum sind die Ferien immer zu kurz? Oder was machen die Eltern nachts. Sofia erforscht es, GEORG PATZER ist sehr angetan.

Bloß keine Skrupel

Kinderbuch | Levi Henriksen: Astrids Plan vom großen Glück Dass man mit Gegebenem nicht zufrieden ist, kommt häufig vor. Dass man das Gegebene gezielt ändert, um wieder glücklich zu werden, ist weit seltener. Neben der Bequemlichkeit stehen auch Skrupel im Weg, und zwar desto mehr, je älter man ist. Mangelnde Lebenserfahrung dagegen macht manches leichter. Das zumindest meint Levi Henriksen in Astrids Plan vom großen Glück. Ob das gut gehen kann? Von MAGALI HEISSLER

Ungeahnte Möglichkeiten

Kinderbuch | Jens Rassmus: Rosa und Bleistift unterwegs im Land der Bilder

Wer hätte geahnt, dass angefangene Bilder, die im Kinderzimmer rumliegen, nachts zum Leben erwachen? Der dicke Farbstift Rosa und der spindelige Bleistift nutzen die Gelegenheit während Irma schläft, die Geschichte auf ihre Art weiterzuerzählen. Von ANDREA WANNER