Bevor das alles war im Leben

Roman | Hendrik Groen: Lieber Rotwein als tot sein

Für den einen ist es New York, wo er noch niemals war und gerne hinmöchte, für den Anderen ist es die Toskana, selbst dann, wenn er dafür sterben müsste. Sterben? Na, sie werden das gleich verstehen und einordnen können, denn der Niederländer Hendrik Groen entführt in eine ebenso bezaubernd simple wie schwungvolle und äußerst vergnügliche Geschichte. Arthur Ophof heißt der Held dieser Geschichte und Barbara Wegmann erzählt, was er sich Verrücktes ausgedacht hat. Von BARBARA WEGMANN

Rotwein - tot seinÜber zwanzig Jahre arbeitet der 50jährige Arthur in einem Großhandel für Sanitär- und Reinigungsartikel. Seit 24 Jahren wohnt er mit Afra in einem kleinen Reihenhaus im niederländischen Städtchen Purmerend, keine Kinder. Das Leben ist zum Alltag, der Alltag zur Spießigkeit verkommen. Und? Was wurde aus seinen einstigen Träumen? Lappland? Japan? China? »Ich bin die Schnarchnase«, gesteht er sich eines Tages ein, »die nicht so ist, wie sie sein will.«

Als ihm dann auch noch die Kündigung droht, läuft für ihn der »Eimer voll Fügsamkeit« über. Mit einer satten Abfindung beginnt für Arthur ein ganz ungeahnt neues Kapitel, das allerdings für ihn bitte nichts zu tun haben soll mit Reihenhaus, Afra und gemeinsamer Hausarbeit im provinziellen Städtchen. Nur: wie stellt man das an?

Lebendig und munter schreibt Groen, der eigentlich Peter de Smet heißt und trotz seiner riesigen Erfolge so gar nicht gerne in der Öffentlichkeit steht. Alltagsprobleme beschreibt er mit leichter Feder, dem Älterwerden trotzt er Heiteres ab, die Sinnfrage erhält einen Schuss Komik, Groen findet mit sicherer Hand die Waage zwischen Verzweiflung, Aufgeben und Resignieren und der lebensstarken großen Lust auf nochmaliges Durchstarten in der 2. Lebenshälfte, was für ein PS- starker Motor!

Vielleicht ja doch noch einmal raus aus dem Hamsterrad und einen Neuanfang wagen, die Uhr zurückstellen? Da kommt ein guter Freund gerade recht, der einen »Hüter« für sein italienisches Landgut sucht. Aus Arthur wird Luigi und damit das aber so ist, muss Arthur zunächst sterben. Nicht wirklich versteht sich. Und für das Drehbuch zu diesem Abenteuer gibt es natürlich noch weitere gute Freunde.

Munter, frisch und dialogreich schmiegt sich Kapitel an Kapitel, da sagt man sich, na, eins geht noch, und schnell ist das Buch ausgelesen. Manches überfliegt man, manches ahnt man voraus, und dennoch: es ist eine reizende, temporeiche Geschichte, flott zu lesen. Und so schraubt sich die Story auf 320 Seiten höher und höher, entwickelt sich ein skurril geplantes Ableben und parallel der Traum von Wiederauferstehung und Weiterleben. Je nachdem aus welcher Perspektive man es sieht, reicht das Spektakel von Trauer bis zu größtem Glück. Und wenn dann noch Freunde da sind, die bei der großen Inszenierung, dem Unfall, der Beisetzung, den unendlich vielen Kleinigkeiten, an die es zu denken gilt, mithelfen, na, das müsste ja eigentlich klappen.

»Wir Niederländer finden andere Länder schnell mal seltsam und unkultiviert und halten unser eigenes kleines Land für das beste der Welt, aber das stimmt so nicht. Deswegen werde ich die Niederlande nächsten Sommer ohne großes Zögern gegen Italien eintauschen. Auch ein seltsames Land, aber mit einem viel angenehmerem Klima.« Was wohl Afra zu all dem sagt, wovon sie natürlich keine Ahnung hat?

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Hendrik Groen: Lieber Rotwein als tot sein
München: Piper 2019
320 Seiten. 20.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Leidenschaften

Nächster Artikel

Wenn aus Samsa Sams wird

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Zwischen Apokalypse, Dystopie und Mummenschanz

Roman | Christopher Ecker: Der Bahnhof von Plön Christopher Ecker zieht in ›Der Bahnhof‹ von Plön mit schwerem Geschütz auf. Beängstigend konsequent bohrt sich der Kieler Autor in die Abgründe menschlicher Albträume. Der Protagonist, der sich im jüngsten Roman seinen Handlungsspielraum nur mit sich selbst teilen muss, mäandert als eine Mischung aus Superheld, Massenmörder und Oberstudienrat durch Raum und Zeit. VIOLA STOCKER stürzt sich ins Verderben.

Pilgern für Fortgeschrittene

Roman | Stephan Thome: Fliehkräfte Nur zwei Romane hat Stephan Thome bislang verfasst – und beide landeten umgehend auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis: 2009 sein fulminantes Debüt Grenzgang und wenige Jahre später seine weit verzweigten Fliehkräfte. Von INGEBORG JAISER

Keinen Deut esoterisch!

Roman | Milena Moser: Montagsmenschen Die Schweizer Schriftstellerin Milena Moser hat eine mittlere Odyssee hinter sich. Seit ihrem achten Roman Möchtegern (2010) scheint sie endlich eine verlegerische Heimat bei Nagel & Kimche in Zürich gefunden zu haben: Nach High Noon im Mittelland (2011), einer Sammlung ihrer Kolumnen, ist dort eben ihr neunter Roman erschienen, Montagsmenschen. Von PIEKE BIERMANN

Verloren im Dschungel des Lebens

Roman | Javier Salinas: E

»Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns?« Um diese einleitenden Fragen aus Ernst Blochs Hauptwerk »Das Prinzip Hoffnung« kreist der neue, spielerische Roman des Spaniers Javier Salinas, der hierzulande bereits mit seinem Roman ›Die Kinder der Massai‹ aufhorchen ließ. Von PETER MOHR

Schuld bleibt immer

Roman | Monika Maron: Zwischenspiel Ihre besten Werke gelingen Monika Maron, die zuletzt mit dem Deutschen Nationalpreis (2009) und dem Lessing-Preis (2011) ausgezeichnet worden ist, wenn sie sich der Fesseln der eigenen Vita und der deutsch-deutschen Politik entledigte und tief in das Innere ihrer Figuren blickte. So wie in ihrem neuen Roman Zwischenspiel, der uns die 72-jährige Autorin auf der Höhe ihrer Erzählkunst präsentiert: raffiniert und äußerst kunstvoll inszeniert, anspielungsreich und doppelbödig, mit philosophischen Sentenzen versehen und dennoch mit großem Elan erzählt. Von PETER MOHR