/

Bescheiden, aber engagiert

Menschen | Zum 80. Geburtstag des Schriftstellers Uwe Timm

Er ist einer der vielseitigsten zeitgenössischen deutschsprachigen Schriftsteller, studierte in den wilden Jahren der Studentenbewegung in Paris, war DKP-Mitglied und mit Benno Ohnesorg gut befreundet. Die Rede ist von Uwe Timm, einem engagierten »Einmischer« mit deutlich vernehmbarer Stimme und klaren Positionen. Von PETER MOHR

»Man kann nur hoffen, dass dieser Trump, der ja so was von irrational und kenntnislos ist, der das Land ja wirklich wie sein Immobilienimperium führt, man kann nur hoffen, dass die US-Institutionen, die es gibt, ihn so zügeln, dass er nicht plötzlich zur Atombombe greift«, hatte Timm im Oktober 2017 sorgenvoll in einem Interview mit der ›Deutschen Welle‹ erklärt.

Der leidenschaftliche Werder Bremen-Fan ist seit mehr als 50 Jahren mit der versierten Übersetzerin Dagmar Ploetz verheiratet und lebt abwechselnd in Berlin und München.

»Ich bin überzeugt, dass wir in unserer Seele einen besonderen Teil haben, der einem anderen vorbehalten ist. Dort sehen wir die Idee unserer anderen Hälfte, wir suchen nach dem Vollkommenen im anderen«, erklärte der männliche Protagonist Eschenbach in Uwe Timms Roman ›Vogelweide‹ (2013). Mit diesem äußerst anspielungsreichen Buch hatte Timm nicht nur einmal mehr seine immense Vielseitigkeit unter Beweis gestellt, sondern den Gipfel seines künstlerischen Schaffens erklommen.

»Ich bin nicht nur ein Erzähler, ich höre auch sehr gern zu«, hatte Timm vor einigen Jahren in einem Interview erklärt. Tatsächlich wirken die meisten seiner Bücher so, als seien sie direkt dem Leben abgelauscht. Seine größten Erfolge feierte der am 30. März 1940 in Hamburg als Sohn eines Kürschners geborene Autor Anfang der 1990er-Jahre mit der Verfilmung seines Kinderbuchbestsellers ›Rennschwein Rudi Rüssel‹ und dem Roman ›Die Entdeckung der Currywurst‹, der in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurde und zu dessen Erscheinen in Fernost Uwe Timm im Herbst 2003 eine große Lesereise durch Japan und China machte.

Zunächst deutete in Timms Leben nichts darauf hin, dass er Schriftsteller werden würde, denn einer Kürschnerlehre folgte das Abitur erst auf dem zweiten Bildungsweg, dann in den unruhigen späten 1960er-Jahren ein Studium der Germanistik und Philosophie in München und Paris, das Uwe Timm 1971 mit der Promotion über Albert Camus abschloss. Erst mit 31 Jahren veröffentlichte er sein erstes Buch – den Lyrikband ›Widersprüche‹ mit politischen Gedichten, die unter dem deutlichen Einfluss der Studentenbewegung standen.

Ein wiederkehrendes Thema, dem sich Timm nicht nur in seinem ersten Roman ›Heißer Sommer‹ (1974), sondern auch in ›Kerbels Flucht‹ (1980) und noch einmal in seinem Roman »Rot“ (2001) widmete. Uwe Timm, der sich einst aktiv im SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) engagierte, hat im Laufe der Jahre ein immer distanzierteres Verhältnis zur Studentenbewegung und den »linken Romantikern“ entwickelt. Auch das Verhältnis zu seinen oft scheiternden Protagonisten wurde im Laufe der Jahre von immer stärker werdender Ironie geprägt. Schon sein Protagonist Christian Kerbel verspürte im Blick zurück »das Gefühl, Zeit vertan zu haben.«

Neben den vielen gescheiterten Existenzen aus der 68er-Generation tauchen als weitere literarische Sujets auch wiederholt die »Dritte Welt« (in den Romanen ›Morenga‹, 1978, und ›Der Schlangenbaum‹, 1986) sowie die Metropole Berlin (›Johannisnacht‹, 1996, und ›Rot‹, 2001) auf. Auch Timms etwas aus der Art geschlagene Roman ›Halbschatten‹ (2008) spielt zumindest teilweise in Berlin – auf dem Invalidenfriedhof. Verstorbene Figuren und der Lebensweg der Flugpionierin Marga von Etzdorf werden in diesem polyphonen Erzählwerk nebeneinandergestellt, und es entsteht eine sonderbare Mixtur aus tragischer Liebesgeschichte, historischem Puzzle und assoziativem Essay.

In seinem bisher letzten Roman ›Ikarien‹ hat Uwe Timm drei höchst unterschiedliche Lebenswege miteinander verflochten, uns die gemeinsamen Berührungspunkte nahe gebracht und gezeigt, wie sich Biografien auseinanderentwickeln und wie gemeinsame Ideale pervertiert werden können. Die Grenzen zwischen rechts und links, zwischen Rassenwahn und idealistischem Weltverbesserungseifer, zwischen rigider Selektion und sozialromantischem Gleichheitsstreben werden hier fließend. Kein Buch für zartbesaitete Gemüter, sondern ein dicker Brocken, der viel Kraft und Ausdauer bei der Lektüre erforderte.

Längere Auslandsaufenthalte (unter anderem in Rom), Gastdozenturen und viele Literaturpreise (zuletzt 2018 den Schiller-Preis der Stadt Mannheim): Uwe Timm gehört längst zur Eliteliga der deutschen Schriftsteller und ist dabei angenehm bescheiden geblieben. Kartoffelbrei, Spinat und Bratei bezeichnet der Jubilar, der der Currywurst ein literarisches Denkmal setzte, als sein Lieblingsgericht.

| PETER MOHR
| Titelfoto: Hpschaefer [1], Timm,-Uwe-Koeln-literaturhaus-101209-web2a, CC BY-SA 3.0

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Im Lager

Nächster Artikel

Wirbelstürme im Kopf

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Aus Widersprüchen Energie geschöpft

Menschen | Zum 75. Todestag des Schriftstellers Franz Werfel (am 26. August)

Franz Werfel war Österreicher und Prager, Jude und Christ, Konservativer und Avantgardist, traditioneller Erzähler, pathetischer Lyriker und utopischer Romancier. Aus diesen teilweise selbst auferlegten Widersprüchen schöpfte Werfel seine literarische Energie, die ihm in 35 Jahren dichterischer Tätigkeit ein ebenso erfolgreiches wie umfängliches Oeuvre ermöglichte. »Erfolg ist für mich mit Glück identisch«, erklärte Werfel, der vor allem während des Exils in den USA von vielen Kollegen ob seiner Verkaufserfolge beneidet, aber auch polemisch geschmäht wurde. So sprach Brecht etwa vom »heiligen Frunz von Hollywood, dem Geschwerfel«. Von PETER MOHR

Der süße Dylan

Menschen | Nachruf auf den Schauspieler Luke Perry Der Schauspieler Luke Perry verstarb am 4. März unerwartet an einem Schlaganfall. Für viele Teenies war er in den 90ern das Idol schlechthin. MONA KAMPE blickt 19 Jahre zurück. Ein ungewöhnliches Briefporträt

Verführen, amüsieren, provozieren

Zwei neue Bücher zum 70. Geburtstag von Georg-Büchner-Preisträger Botho Strauß am 2. Dezember* Der exzentrische Nonkonformist Botho Strauß, der zur Melancholie neigende erzählerische Philosoph und vehemente Zeitgeistkritiker, ist deutlich ruhiger geworden und schlägt neuerdings bisher bei ihm noch nicht erlebte versöhnliche Töne an. Von PETER MOHR

David muss sterben

Roman | J. M. Coetzee: Der Tod Jesu Zum 80. Geburtstag des Literatur-Nobelpreisträgers J.M. Coetzee am 9. Februar erscheint der Roman ›Der Tod Jesu‹. PETER MOHR über den gefeierten Schriftsteller, der lange Zeit ein Geheimnis um seine Vornamen machte.

Schlagzeilenträchtiges Leben

Menschen | 100 Geburtstag von Norman Mailer

»So früh berühmt zu werden, war das Schlimmste, was einem jungen Autor passieren konnte«, resümierte Norman Mailer (durchaus zutreffend) im Rückblick. Gerade 25 Jahre alt war er, als die Veröffentlichung seines weltberühmt gewordenen Debütromans ›Die Nackten und die Toten‹ (1948) ein ungeheures öffentliches Interesse an seiner Person auslöste. Nach dem Harvard-Studium, einem kurzen Abstecher an die Sorbonne und zwei Jahren Militärdienst im Südpazifik (aus diesen Erfahrungen entstand sein überaus erfolgreicher und mehrfach verfilmter Erstling) stand Norman Mailer wie kaum ein anderer US-Autor dieser Zeit im Rampenlicht der Öffentlichkeit. »Ich wusste, dass es eine Sache gibt, die ich wirklich will - und das war zu schreiben«, hatte Mailer einmal sein Credo beschrieben. Von PETER MOHR