Mit seinen Romanen ›Buddenbrooks‹, ›Der Zauberberg‹ oder ›Dr. Faustus‹ und Erzählungen wie ›Der Tod in Venedig‹ schuf Thomas Mann Weltliteratur und zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. In diesem Jahr würde der »bürgerliche Dichterfürst«, wie ihn der Literaturkritiker Marcel Reich-anicki einmal nannte, 150 Jahre alt. Paul Thomas Mann kam am 6. Juni 1875 als Sohn des Lübecker Kaufmanns Thomas Johann Heinrich Mann und seiner Frau Julia, geborene da Silva Bruhns, in Lübeck zur Welt. Von DIETER KALTWASSER
Thomas Mann erhielt 1929 den Literaturnobelpreis für den Roman ›Buddenbrooks‹, der fast 30 Jahre zuvor erschienen war. Es gehört allerdings zu den Ironien der (Literatur-)Geschichte, dass er ihn auch deshalb erhielt, so Tilmann Lahme in seiner Mann-Biografie, weil das damalige Nobelpreiskomitee sehr kritisch auf demokratische oder gar sozialistische Positionen schaute. Hallström, Vorsitzender des Komitees, lobte in seinem Gutachten dagegen den politischen Thomas Mann des ›Friedrich‹-Essays und der ›Betrachtungen eines Unpolitischen‹ als Abrechnung mit dem »demokratischen Antipatriotismus«. 1929 ehrte sie offiziell den Autor von ›Buddenbrooks‹, inoffiziell zeichnete sie »den reaktionären, antidemokratischen Mann aus, den sie für den eigentlichen hält«. Und der er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr war.
Zwei neue Bücher thematisieren den politischen Aktivisten Thomas Mann. Der politische Thomas Mann wurde uns bislang nur von seinem Schreibtisch aus nahegebracht, doch es fehlt ein wesentlicher Aspekt, der des demokratischen Aktivisten in seinem konkreten Handeln, so der Münsteraner Germanistikprofessor Kai Sina in seinem neuen Buch ›Was gut ist und was Böse. Thomas Mann als politischer Aktivist‹ (Propyläen, 304. S. 24 Euro). Er war, so erfahren wir von Sina, vielmehr als ein reiner Theoretiker der Politik, nämlich ein Kämpfer und Aktivist. »In unsere Hände ist es gelegt«, mahnte Mann im Jahre 1922 mit Blick auf die Weimarer Republik, »in die jedes Einzelnen.« In seinem exzellenten Buch beschreibt Sina einen Menschen, der sich für das moralisch Richtige einsetzt, für seine Überzeugungen kämpft und auch die eigene Fehlbarkeit reflektiert. Wir erleben einen Schriftsteller, der sich von dem bloßen Zustand des Erleidens von Politik befreit und sie selbst im Großen wie im Kleinen zu beeinflussen und mitzugestalten versucht.
Es geht Sina in seinem Buch um einen neuen Akzent in der Beschäftigung mit Thomas Mann. Nicht darum, ob er ein politischer Autor gewesen ist, oder nicht doch bloß ein »unwissender Magier«, wie es einmal Joachim Fest formulierte; als wäre »sein Fach die politische Theorie oder Philosophie gewesen, als stünde er in dieser Hinsicht in einer Reihe mit Zeitgenossen wie Hannah Arendt, Theodor W. Adorno oder Max Horkheimer.«
Mann schloss sich in den 1920er Jahren einem prozionistischen Unterstützerverein an und nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte er sich mit Vehemenz für die Gründung eines israelischen Staates. Seit 1943, als er über die Ausmaße der Shoah im Bilde war, kämpfte Mann laut Sina für eine jüdische Heimstatt in Israel, ohne dabei die Rechte der arabischen Bewohner der Gegend auszublenden. Ein neuer Staat sollte den Überlebenden der Shoah – deren Ausmaß und Schrecken er als einer der ersten Intellektuellen vor aller Welt angeprangert hatte – eine sichere Heimstatt bieten.
Eine Frankreichreise im Jahr 1926 unterstützte das Bestreben des Schriftstellers, seine Position als Fürsprecher der deutschen Republik und sein Renommee als weltoffener Autor zu stärken und die dunkleren Zeiten im Ersten Weltkrieg vergessen zu lassen. Der »Rechenschaftsbericht«, den er im Anschluss an seine Reise verfasste, gibt seine Pariser Eindrücke und seine Freude darüber wieder, wie sehr er die Begegnungen in Frankreich genossen hat. Internationale Medien werteten seinen Besuch und die Begegnungen als Zeichen deutsch-französischer Verständigung. Die deutsche Presse reagierte mit Wut und Hass.
Ab 1933 lebte fast die gesamte Familie Mann im Exil. Auf das Drängen ihrer Kinder kehrten Thomas und Katia Mann nicht mehr von einer im März 1933 begonnenen Vortragsreise nach Deutschland zurück und gehen ins Exil. Die nationalsozialistischen Machthaber raubten ihm am 2. Dezember 1936 die deutschen Staatsbürgerrechte und am 19. Dezember teilte ihm die Philosophische Fakultät in Bonn mit, dass sie ihm den früher verliehenen Ehrendoktor entzogen habe. Mit der Zeit wurde der Exilant Thomas Mann zur kraftvollsten Stimme, die sich gegen Hitler und die Nazis wandte.
»Es ist mit der Selbstverständlichkeit der Demokratie in aller Welt eine zweifelhafte Sache geworden.« Dieser Satz stammt aus Thomas Manns Vortrag ›Vom zukünftigen Sieg der Demokratie‹ aus dem Jahr 1938. Spätestens nach der Emigration in die USA im Jahr 1938 wurde Manns Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus schonungslos.
„BBC – Deutschsprachiger Dienst“, dieser Name stand für einen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs im NS-Staat streng verbotenen Feindsender, der alles dafür tat, die »Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit« durch unzensierte Meldungen über respektive aus Hitlerdeutschland zu beschleunigen. Einer der prominentesten Gegner der »verruchten Lumpen« des ›Dritten Reichs‹ war Thomas Mann. Im S. Fischer Verlag sind die Radioansprachen ›Deutsche Hörer! Radiosendungen nach Deutschland‹ von 1940 bis 1945 neu aufgelegt worden, mit einem sowohl engagierten wie empathischen Vor- und Nachwort der Schriftstellerin und Publizistin Mely Kiyak (S. Fischer, 272 S. 24 Euro).
Mit über 60 Jahren entwickelte sich der Schriftsteller zu einem vitalen Widerstandskämpfer, schreibt Kiyak: »Er wütete gegen Hitler, Göring, Himmler, gegen das ganze Regime und deren ›schäbige Grausamkeit‹, ›Rachsucht‹, ihr ›unaufhörliches Hassgebrüll‹, ›ihren minderwertigen Fanatismus‹, ›ihre feige Askese‹, ›ihre armselige Unnatur‹, ja, gegen nichts Geringeres als ihre ›ganze defekte Menschlichkeit‹. Wow!« Die zitierten Worte stammen aus der dritten der insgesamt 59 Rundfunkansprachen, die er noch halten würde.
Einmal reagierte Hitler sogar direkt in einer Münchener Bierkellereirede, so Kiyak, und bezichtigte ihn »mit Schaum vor dem Mund« der Aufwiegelei. Mann reagierte in seiner nächsten Rundfunkrede: »Aus diesem Munde ist so viel Unrat gekommen, dass es mir leichte Ekelgefühle erregt, meinen Namen daraus zu vernehmen.« Jede seiner Rundfunkreden ist so kraftvoll und intensiv, »es ist, als würde er eimerweise Wasser über den Köpfen der Täter und Mitläufer auskippen.«
Als Mann seine Radioansprachen hielt, lebte er bereits seit acht Jahren im Exil. Erst 1952 kehrten Thomas und Katia Mann nach Europa zurück und werden nie wieder dauerhaft nach Deutschland zurückkehren.
| DIETER KALTWASSER
Titelangaben
Kai Sina: Was gut ist und was böse
Thomas Mann als politischer Aktivist
Berlin: Propyläen Verlag 2024
304 Seiten, 24 Euro
| Leseprobe
Thomas Mann: Deutsche Hörer!
Radiosendungen nach Deutschland
Neuausgabe mit einem Vorwort und einem Nachwort von Mely Kiyak
Frankfurt a. M: S. Fischer Verlag 2025
272 Seiten, 24 Euro
| Leseprobe