//

Zuversicht

TITEL-Textfeld | Wolf  Senff: Zuversicht

Das selbstschlagende Herz?

Nein, nicht, keine Erfindung des Homo sapiens, nein.

Eine Stimme, die spricht und singt?

Auch nicht, nein, hat er nicht erfunden.

Zwei Augen, mit denen man den Blick auf die zehntausend Dinge werfen kann?

Fehlanzeige.

Feuer?

Gibt es längst vor den Menschen, und wenn du ein ordentliches Feuer sehen willst, sieh nach Island, Island kann zuweilen gut selbst lichterloh brennen.

Das Rad?

Das stimmt, er erfand das Rad, das sich dreht und mit dessen Hilfe er sich schnell fortbewegt, ja, auf Autos, und für das er mehrspurige Straßen auslegt, er – wie es heißt – versiegelt die Landschaft.

Mit der Erfindung des Rades sind Kollateralschäden verbunden, die erst heute zutage treten?

Man mag das so sehen, ja, der Mensch kann nicht an sich halten, er ist strebsam, ehrgeizig, lernfähig, er arbeitet von Anfang an daran, die Grundlagen seiner Existenz zu zerstören, er geht da bewundernswert systematisch vor, nichts wird in der Lage sein, ihn aufzuhalten.

Er versteht es nicht?

Er versteht es nicht, er kann es nicht, er erfand die Waffen, er führt Kriege, er perfektioniert seine Waffen, er erfand die Atombombe, Neid, Mißgunst, Haß sind menschliche Eigenschaften, was fällt einem dazu noch ein, null, nichts, nada.

Das Hörgerät, er erfand das Hörgerät.

Nachdem er sich bei Heavy-Metal-Konzerten sein Gehör geschädigt hatte, besann er sich auf das Hörgerät, wer möchte schon in Wacken mit einem Hörrohr Heavy Metal hören.

Die Brille.

Auch die, ja, zugegeben, sofern man die als Erfindung bezeichnen möchte, die Dinge sind zweischneidig, er erfand Hilfen gegen Schäden, die ihm sein exzessiver Lebenswandel beschert hatte: Gehhilfen, den Rollstuhl, den Reha-Aufenthalt, Prothesen, Paralympics.

Den Regenschirm?

Den Schirm als Schutz vor Unbilden der Witterung.

Also doch eine Bereicherung allen Lebens? Die Waschmaschine? Den Kühlschrank?

Es handelt sich um einen qualitativen Unterschied, Farb, manches geschah unabsichtlich, ein Abfallprodukt der Weltraumindustrie, schön und gut, aber ohne Priorität.

Tilman schenkte sich Tee nach, Yin Zhen.

Annika blätterte in ihrem Reisemagazin. Wenn sie eine weitere Person einlüden, überlegte sie, wären sie zu viert und könnten Doppelkopf spielen.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf, er hatte das Blech erst vor einer halben Stunde aus dem Ofen genommen, der Kuchen war noch warm.

Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.

Das Hören, nein, sagte Tilman, das Hören selbst habe der Homo sapiens nicht erfunden, auch das Sehen nicht, oh er würde eine Menge drum hermachen, wenn es so wäre, der stolze Homo sapiens, er sonnt sich gern im Glanz seiner Erfolge, doch nein, er erfand bloß das Hörgerät, nachdem zuvor das Hörrohr in Gebrauch gewesen war, er erfindet laufend neue Produkte, von denen sich einige mit Gewinn auf dem Markt verkaufen lassen.

Er ersann das Trojanische Pferd, sagte Farb, und die digitale Kommunikation.

Mag sein, er erfand das Nicht-Zuhören, spottete Annika, er schlägt  Warnungen vor dem Klimakollaps in den Wind, sein Nichtstun ist durch minimale Schritte getarnt, er wird keine Lorbeeren ernten.

Er erfand auch nicht den Wind, er weiß gar nicht, was das ist, der Wind, der seinen Windjammern die Segel bläht, sagte Tilman, doch immerhin, er dachte sich die Seefahrt aus, vertrauensvoll gebettet in die Strömungen der Atmosphäre, bevor sich die Dampfschiffahrt lärmend und stinkend ihre Wege bahnte.

Er ahnt nicht, was er anrichtet, unser Homo sapiens, sagte Farb, doch was er erfand, sagte Farb, das war, abgesehen vom Regenschirm, zumeist inspiriert vom Maschinenwesen und hätte sein Mißtrauen wecken sollen.

Er erfand das selbstfahrende Auto, spottete Annika.

Lug und Trug, sagte Farb, Etikettenschwindel, er leidet unter mangelnder Aufmerksamkeit, er will geliebt werden, Ruhm und Ehre, nein, die schönen Dinge wachsen nicht auf seinem Mist.

Sei’s drum, sagte Annika, und, fragte sie, was erfand er noch, er erfand das elektrische Licht, das uns bei Nacht heimleuchtet, Flutlichtanlagen heller als der Mond, und sicher hätte er auch die Mondphasen nicht nötig, spottete sie, könne denn der Mond nicht Nacht für Nacht gleichmäßig hell leuchten, der Vollmond sei eine Verschwendung, da ließe sich Energie einsparen.

Farb mußte lachen. Und unser Planet, sagte er, wäre zweifellos eine regelkonforme Kugel, korrekt rund, wie es sich gehört und wie sie in seiner Mathematik vorgesehen ist, und nicht an den Polen abgeplattet, so häßlich, wie sieht das auch aus, das hätten unsere Ingenieure garantiert richtig gemacht, nicht so halbe Sachen, sagte er, kannst du Gift darauf nehmen.

Tilman rückte näher an den Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Da eröffnen sich eine Menge Herausforderungen, sagte er, dem Homo sapiens stehe einiges ins Haus, es gebe zu tun, kreative Lösungen seien gefragt, packen wir’s an, zum Beispiel könne er locker auf Ebbe und Flut verzichten, weshalb müsse es Tiden geben, was soll das, die Schiffahrt habe damit schwer zu kämpfen, wusch, weg damit, und schallendes Gelächter, für Innovation und Fortschritt seien die Perspektiven keineswegs ausgeschöpft, der Homo sapiens blicke voller Zuversicht in die Zukunft.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Weltliterat und politischer Aktivist

Nächster Artikel

das zusammengestoppelte besteck aus kneipen und flugzeugen

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Natur

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Natur

Ob es allein die Industrienationen seien, fragte Farb, die sich aufführten, als ob die Natur ihnen gehören würde.

Schwierig, sagte Tilman, man könne darauf nicht besonders trennscharf antworten, die Industrienationen gelten nun einmal als erfolgreich, sie hätten Wohlstand geschaffen und seien für andere Nationen ein Vorbild, dem nachgeeifert werde.

Ein Irrweg, sagte Farb, damit beschreite der Mensch einen Irrweg, die Industrialisierung habe die Schätze des Planeten hemmungslos geplündert, der Planet sei heruntergewirtschaftet, die Ressourcen seien so gut wie erschöpft.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Annika blätterte in ihrem Reisemagazin.

Tilman rückte näher an den Couchtisch heran und suchte eine schmerzfreie Haltung einzunehmen.

Farb tat sich einen Löffel Schlagsahne auf, strich sie auf dem Kuchen sorgfältig glatt und aß ein Stück

Einen Geist sehen wollen

Kurzprosa | Marie Pohl: Geisterreise Marie Pohls Roman Geisterreise – eine Weltreise ins Ungewisse. Von PETER MOHR

Auflösung

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Auflösung

Ganz ähnlich seien seine Ländereien am Roten Meer beschaffen, sagte Ramses IX., im Grunde handle es sich um unfruchtbare Einöde, nein, Tourismus habe es zu seiner Zeit nicht gegeben, das Leben existiere nicht, damit der Mensch sich vergnügen könne.

Er verstummte und blickte hinaus auf das Wasser.

Brüche, Lücken, Zerfall

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Brüche, Lücken, Zerfall

Der Karttinger werde es recht sein, sagte Wollmann.

Nichts, sagte Nahstoll und winkte ab, kein Problem.

Farb hatte am Vormittag ein Blech Pflaumenkuchen gebacken und tat sich eine Schnitte auf.

Das Haus in der Vendée sei ihre Zuflucht, sagte Setzweyn, ihr Rückzugsort, und es sei absolut verständlich, daß sie peinlich genau achtgebe, wen sie als Besucher einlade.

Sie meide schon das geringste Licht von Öffentlichkeit, sagte Wollmann.

Schwierig, widersprach Nahstoll, ihr Verhalten sei aller Ehren wert.

Einwohnen

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Einwohnen

Kirchen, Kathedralen, Dome seien zu Hotspots des Tourismus geworden, sagte Tilman, kein Aufenthalt in Paris ohne Notre Dame, kein Rom-Aufenthalt ohne den Petersdom, absolviert in einer Reisegruppe nebst sachkundiger Führung.

Farb kam aus der Küche und schenkte Tee nach, Yin Zhen, die ersten Märztage brachen an, die Temperaturen waren leicht winterlich, doch die Sonne schien, in einem warmen Pullover hätten sie sich beinahe schon auf die Terrasse setzen können.

Anne nahm einen Keks.

Tilman rückte näher an den Couchtisch.