Der Titel des Bandes ›Ein Fausthieb auf die Flipper-Schnute‹ von Urs Böke und Stefan Heuer ist genauso sinnfrei wie sein Inhalt. Was die Autoren als Prosaband ankündigen, erweist sich beim Lesen als fulminante Lyrikproduktion mit durchgängig gelungenen Sprachspielen. Von HARTWIG MAURITZ
Der Leser muss nicht begreifen, was die Senioren in der Fußgängerzone suchen. Sie müssen auch in den weiteren Texten nicht wieder auftauchen, das stört den Lesegenuss nicht. Warum die Fanta-Flaschen geriffelt sind, kann dem Leser auch egal sind, die Bilder sind gekonnt gesetzt »das Glück zum Greifen entfernt.« Der Leser muss sich auch nicht auch über die folgenden Zeilen in ZWEI2 wundern »mit einer kuhle im hinterkopf zu leben, in die es/ hineinschneit, Anfang Januar, in der sich bei/ regen wasser sammelt wie kein Grünschnitt/ im Fangkorb.« So reihen sich die erfrischenden poetischen Bilder aneinander, als spielten die beiden Autoren ein schnelles lyrisches Pingpong.
Der neue Gemeinschaftsband von Urs Böke und Stefan Heuer, der als Prosaband vorgestellt wird, sprengt die Grenzen des Genres. Beim Lesen stellt sich die Frage, was ist noch Prosa und was ist schon Gedicht? Die Texte der beiden Autoren sind voller lyrischer Bilder. Stefan Heuer gibt in schwarzer Schrift den Takt vor, Urs Böke ergänzt in Rot. Stefan Heuer bleibt in seinem Text bei konsequenter Kleinschreibung, Urs Böke schreibt die Satzanfänge und Substantive groß. Die Seiten tragen keine Nummerierung. Die Überschriften haben die Titel EINS1 bis VIERZEHN14. Der Band enthält sieben Collagen von Stefan Heuer. Anders als im Gemeinschaftsgedichtband von Stefan Heuer und Urs Böke »Asche in den Wunden« schließt Urs Böke keinen vollständigen Text an Stefan Heuers Vorlage an, sondern ergänzt freie Textstellen, die rot gekennzeichnet sind. Auf diese Weise sind die Sätze und Satzteile der beiden Autoren miteinander verwoben.
Es gibt Spatzennester, Forellen und einen Feldstecher, die sich durch die Texte ziehen. Urs Böke lässt einen Dr. Mansarde agieren. Die Zeilen von Urs Böke rutschen manchmal unter die Gürtellinie. Stefan Heuer bleibt bildstark. FÜNF5 »noch/ immer der stolz auf die krone, aber auch im/ verunreinigten königreich wird heißer tee kalt,/ fallen die möwen sterbend vom himmel,« Urs Böke pariert die Vorlagen von Stefan Heuer gekonnt: »Und wenn du viel Meinung hast, brauchst du heutzutage keine Ahnung mehr.«
Urs Böke und Stefan Heuer lassen ihren Assoziationen freien Lauf. Der Leser lässt sich von den Gedankensprüngen der beiden Autoren mitreißen und überraschen. In ACHT8 wird Hitchcocks Film Fenster zum Hof und Theodor Fontanes Schimmelreiter zitiert. »das fenster zum hof mit schwarzer folie verklebt, … Ein nasser Lappen im Ausguss. Auch ohne Reiter voller Schimmel, Hauke.«
Da ist kein roter Faden, der die vierzehn Texte durchzieht. Es gibt einen Feldstecher, mit dem in EINS1 die Tauben beobachtet werden. In ZWEI2 sind wir bei »heinz sielmann, der unter einem tarnnetz sitzt und eine kolonie blaufuß-tölpel beobachtet, ohne Fernglas«. »in der wohnung mit der kleinen stickigen kammer unter der treppe« taucht Dr. Mansarde auf, der uns durch DREI3 und FÜNF5 begleitet.
Der letzte Text VIERZEHN14 bezieht sich wieder auf EINS1 und thematisiert die Senioren in der Fußgängerzone und die Nordseefiliale.
Wie bei den Gemeinschaftsgedichtbänden von Stefan Heuer und Urs Böke sollte man sich vom Nonsense der aneinandergereihten Geistesblitze begeistern lassen. So möchte ich meine Anmerkungen mit dem folgenden Zitat aus SECHS6 beenden: »der teufel schläft nie, aber gott muss man/ wecken .. Der Teufel hat den Schnaps gemacht. Aber Gott ist schon lange abstinent«
ELF11
der förster patroulliert, sein hund in hab
acht. seine frau nutzt die zeit für
hausbesuche, das frische wild als
willkommener nebeneffekt. und auch im
bett immer öfter das gefühl, aufgebrochen
zu werden. nur der zweig im maul wäre ihm
zu viel. Schrot in den Kadavern, Schrot
schon bald in Kind und Kegel. Auf dem
Friedhof das who-is-who der
Familientragödie.
im briefkasten eine postkarte aus
funchal. darauf frauen mit blühenden hüten,
lachende kinder. Klappst die die Karte auf,
ertönt schon der Fado. der ganze mai im
zeichen der schönheit und des wohlgeruchs
und des Saudade. nach der großen parade
einen poncha, auf die alten zeiten. ein
letzter gruß vor dem rückflug, noch schnell
eine grüne Wandkachel in den Koffer
gestopft, ein letztes Souvenir, dann bläst er
selbst zum halali.
Titelangaben
Urs Böke, Stefan Heuer: Ein Fausthieb auf die Flipper-Schnute
Ratriot-Medien 2025
26 Seiten. 5 Euro
Bestellungen per Mail: ratriotessen@hotmail.com