Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world
Nach wie vor spielt sich ein Großteil des Lebens gerade zu Hause ab und ich stelle fest: Die guten alten eigenen vier Wände können Schloss oder Gefängnis sein. An den einen Tagen wirken sie weit und bieten Raum und an anderen werden sie eng und nehmen Platz zum Atmen. Wahrscheinlich ist das der beste Moment, um sich in Gedanken zu verlieren und wegzuträumen. Andere Welten, andere Geschichten oder andere Zeiten. So unterschiedlich sie auch sind, Velvet Desert Music Vol. 2 und Lys sind Alben, die genau das erreichen. Sobald die eigene Außenwelt ausgeblendet ist, wird die Musik zu Bildern hinter dem inneren Auge. Von LOUISE RINGEL
Im März hat Jörg Burger unter dem Kölner Label kompakt seine neue Compilation Velvet Desert Music Vol. 2. veröffentlicht. Der Musiker und Produzent sammelte Musik von alten Bekannten und hat diese sorgsam zu einem Album verbunden, das das Label selbst als angelehnt an »Acid-Western Filme« bezeichnet. Kino für die Ohren sozusagen und sich das Album als Kinovorstellung im Kopf abzuspielen ist eine gute Gebrauchsanweisung. Wenn der Saal dunkel wird, eröffnet Michael Mayer mit Not So Far Away. Das ist der Sonnenaufgang in der Prärie. Ein Panorama mit langgezogenen Schatten und rötlichen Erdtönen. Vertigo von The Velvet Circle zeichnet die klassische Duellszene in der Stadt. Der Spannungsbogen wird gezogen, während Hände an Halftern zucken. Synthesizer erzeugen die sengende Sonne, Hufe und Rasseln klingen wie Sand. Ride von Mount Obsidian ist erwartungsvoll, wie ein Ritt zu auf etwas Unbekanntes.
Die Stimme von Charlotte Jestaedt füllt die Weite und Bassgitarre und Tamborin geben den Rhythmus. Jeder Track überrascht mit einem hohen Wiedererkennungswert. Und obwohl sie sich thematisch zusammenfügen, erzählen sie unterschiedliche Geschichten. Monterrey Paris Texas von Superpitcher und Daniel Maloso ist geprägt von E-Gitarre, Mundharmoniker und Percussion und an Variation Sur 3 Bancs von Golden Bugs und The Liminanas sind die Vocals auf Französisch auffällig, die nüchtern und unaufgeregt in einer lässigen Coolness daherkommen. Und dann Cruising Nevada in der Extended Version von Rebolledo und Paulor mit seinen aus Synthesizern erzeugten bouncigen Beats und vibrierenden Western-Tönen. Darauf folgen dunkle und mystische Tracks wie der von Fantastic Twins, solche, die im ersten Moment ernst wirken und dann ein Augenzwinkern zeigen, siehe In Der Tat von Sascha Funke und many more. Jeder Teil des Albums ist absolut hörenswert und es definitiv wert, ihm Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, wenn man die Vielseitigkeit spüren möchte.
Velvet Desert Music Vol 2. hat einen organisch treibenden Beat und ist Musik, die Bilder malt. Eine Verbindung aus traditionellem Western und humoristischem und spacigem Anti-Western. Der klassische Western ist der Schauplatz für das absurde Geschehen des Anti-Westerns. Surreale Szenarien, in denen Anti-Helden und überspitzte und pointierte Elemente verwendet werden. Absolut überzogen und ohne den Anspruch historisch korrekt zu sein, dafür umso ikonischer.
Einen ganz anderen Charakter hat Christian Löffler mit Lys geschaffen. Lys bedeutet Licht auf Dänisch und das ist die Inspirationsquelle für dieses unglaublich melancholische, aufmerksame Album. Christian Löffler hat bereits zuvor Musik aus den Empfindungen über seine Umgebung kreiert, nun wurde es das Licht in Norddeutschland, wo seine Heimat ist.
Die Ursprünge der ersten Sounds sind schon 2016 entstanden, aber erst 2018 haben sie angefangen Form anzunehmen. Lys ist wahnsinnig bildlich und ich frage mich, weshalb ich eigentlich schreibe, denn die beste Beschreibung für das Album liefern Bilder. Das liegt vielleicht auch am Entstehungsprozess. Christian ging jeden Morgen laufen und beobachtete das Licht im Norden, um es später zu malen und erst daraufhin das Gemalte in Musik umzuwandeln. Daraus ist eine sensible Beobachtung von Licht in all seinen Facetten entstanden. Die ständige Veränderung, je nach Tageszeit, Jahreszeit oder Wetter. Mal klar, schneidend, hell, weich, fordernd oder zögerlich. Kräftig oder zart. Und mit der Erzählung von Licht erzählt er auch von Schatten. Von Kontrasten, dem, was wir sehen und dem, was wir nicht sehen. Bei Farr sehe ich Staub im Licht tanzen und Bergen ist Licht, das sich in Tautropfen fängt, während die Sonne im Zeitraffer wandert und die Schatten sich verändern lässt. Sun ist wie die Sonne, wenn sie hoch am Himmel steht. Flirrend und immer wieder kurz blendend. So hell, dass manchmal kurz schwarz vor Augen wird. Vocals spielen auf Lys eine zentrale Rolle. Christians eigene, die auf vorherigen Alben meist undeutlich und verzerrt waren, aber jetzt klar und deutlich sind oder gefeatured von Menke in Lys, Finn. in Ballet oder Mohna in Roth. Tolle atmosphärische Stimmen von Künstlerinnen, die sich in und um die Tracks weben.
Lys ist auch organisch und lebendig, aber im Gegensatz zu Velvet Desert Music Vol. 2, ruhig und zeitlos. Achtsam und empfindsam hat Christian Löffler Momente eingefangen und in Musik konserviert.
Mit Lys und Velvet Desert Music Vol. 2 sind knappe dreieinhalb Stunden aus der Wohnung fliehen garantiert und vielleicht fällt staying inside danach wieder leichter.
Titelangaben
Velvet Desert Music Vol. 2
(Kompakt / Rough Trade)
Christian Löffler: Lys
(Ki Records / Indigo)