Das Gesicht eines Rächers

Kurzprosa | Peter Handke: Das zweite Schwert

»Das ist also das Gesicht eines Rächers.« Welch ein Einstieg in diese, als Maigeschichte etikettierte Erzählung Das zweite Schwert. Man kann inzwischen sicher sein: Wo Handke draufsteht, ist auch Handke drin. Von PETER MOHR

Handke - Das zweite SchwertDer 77-jährige österreichische Dichterfürst liebt das Extreme, scheut keine Provokationen und duldet »keine anderen Götter« neben sich. »Für ein einflussreiches Werk, das mit linguistischem Einfallsreichtum die Randbereiche und die Besonderheit der menschlichen Erfahrung erforscht« habe wurde ihm im letzten Herbst von der Stockholmer Akademie der Nobelpreis verliehen. Im Nachgang tobte eine heftige Diskussion, in der es weniger um Handkes literarisches Werk als um seine (kaum nachvollziehbaren) Sympathien für den serbischen Diktator Slobodan Milošević ging.

Nun schickt er seine Hauptfigur, die etliche Ähnlichkeiten mit ihrem geistigen Schöpfer aufweist, also auf einen Rachefeldzug. Dennoch ist bei der Lektüre Behutsamkeit angeraten. Trotz vieler Details, die mit Handkes eigener Vita übereinstimmen, haben wir es keineswegs mit einem autobiografischen Text zu tun, der überdies schon im Frühjahr 2019 abgeschlossen wurde, ein halbes Jahr vor der Nobelpreisverleihung. Also auch nicht die Generalabrechnung des gekrönten Dichters!

Handkes Ich-Erzähler lebt in einem Vorort südwestlich von Paris und pflegt eine Art Hassliebe zur Einsamkeit. Mal schätzt er die Ruhe, mal fehlen ihm die Menschen. Er führt nicht selten Selbstgespräche mit sehr kontroversen Gedanken und ihm fehlt (nach eigenem Bekenntnis) jeder »wissenschaftliche Blick« und jeder »entsprechende Ehrgeiz«. Handkes Protagonist kommt als charakterlich hybrider Zeitgenosse daher, der über das Fremdsein in der eigenen Familie sinniert und der ein eineiiger Zwilling der Hauptfigur aus dem Vorgängerwerk Die Obstdiebin (2017) sein könnte. Beide flanieren durch das südliche Pariser Umland, durch die vielbeschworene Niemandsbucht, philosophieren und monologisieren »nach erfolgreich verbrachtem Weiterhin-nichts-Tun« dem Sonnenuntergang entgegen.

Aber das neue schmale Büchlein bewegt sich doch auch abseits der ausgetretenen, mit großer Selbstverliebtheit gepflasterten Handke-Pfade. Die zunächst nebulösen Rachefantasien werden peu à peu konkreter, und die Frage, was geschehen muss, um einen anderen Menschen zu töten, gewinnt beinahe obsessiven Charakter. »Die meiner Mutter angetane Kränkung zu rächen ist kein Hirngespinst.« Einer Passage aus dem Lukas-Evangelium ist der Buchtitel entlehnt, als nämlich Jesus seine Jünger aufforderte, sich Schwerter zu beschaffen.

Auserkorenes Racheobjekt des Erzählers ist eine Journalistin, die einst geschrieben hatte, »meine Mutter sei eine der Millionen aus der einstigen großen ›Donaumonarchie‹ gewesen, für welche die Einverleibung des kleingewordenen Lands ins ›Deutsche Reich‹ Anlass zu Freudenfesten gewesen war; meine Mutter habe gejubelt, will sagen, sei eine Anhängerin, eine Parteigenossin gewesen«. Untermalt wurde die Anschuldigung noch mit einer Fotomontage.

Peter Handke betreibt eine schonungslose Abrechnung mit der oft oberflächlichen, unbedachten Sprache des Journalismus und setzt die Poesie dagegen, die bei ihm – in ihren exponierten Auswüchsen – das Selbstfeiern der Sprache als hohe Kunst zelebriert.

Gewalt in der Sprache, die katastrophalen Folgen, die von einem unbedachten Wort ausgehen – das alles dreht Handke durch den »Rachewolf« seiner Gedanken, die von großen Vorbildern wie Homer, Cervantes, Tolstoi, Simenon und Karl Philipp Moritz‘ Anton Reiser durcheinandergewirbelt werden. »Diesmal hungerte ich nach Port-Royal-de-Pascal«, heißt es über die Hauptfigur. Eine malerisch gelegene, gut erhaltene Abtei (15 km südwestlich von Versailles), in der Blaise Pascal und Jean Racine lebten und arbeiteten. Braucht ein solcher Text wirklich die ständigen Querverweise auf große Dichter und Denker und die von Handke immer wieder mit großem Furor betriebene Selbstreferentialität?

Das Rachemotiv, die Gewaltfantasien, die Auseinandersetzung mit dem in Worten impliziten Gewaltpotenzial: All das hätte für sich stehen und wirken können – auch ohne die für Handke typischen Abschweifungen.

Handkes Ich-Erzähler kommt wie ein zeitgenössischer Don Quichotte daher, wie ein einsamer, von ständigen Selbstzweifeln geplagter Kämpfer gegen die Windmühlen. »Die Tatsachen konnten der Illusion nichts anhaben. Die Einbildung war dauerhaft.« Peter Handke gibt es nur ganz (mit allen Ecken und Kanten) oder gar nicht.

| PETER MOHR

Titelangaben
Peter Handke: Das zweite Schwert
Eine Maigeschichte
Berlin: Suhrkamp 2020
158 Seiten, 20 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Mehr zu Peter Handke in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sommer, Sonne…

Nächster Artikel

Singulärer Sound

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Storys, die Narben hinterlassen

Kurzprosa | Laura Hird: Nägel-Stories

Das ist schon heftige Kost, die einem da präsentiert wird: eine ungewöhnliche Autorin mit ungewöhnlichen Erzählungen. Laura Hird, Jahrgang 1966, geboren in Edinburgh, ist nach eigenem Bekunden nur dreimal so richtig von Zuhause weg gewesen. Dafür, das belegen die Geschichten, hat sie eine überwältigende Phantasie. Von BARBARA WEGMANN

»Surrealism to me is reality«

Kurzprosa | John Lennon: In seiner eigenen Schreibe (Zum 30. Todestag) Skurrile Non-Sense-Texte, anspielungsreiche Gedichte, groteske Comedy – John Lennons In seiner eigener Schreibe ist eine Sammlung des Andersartigen, Herausstechenden, manchmal durchaus Provozierenden. Auch noch nach fast 50 Jahren. Von HUBERT HOLZMANN

Schlagzeilen mache ich nicht

Kurzprosa | Volker Braun: Werktage. Arbeitsbuch 1990-2008 »Ich kann sagen, was ich will, Schlagzeilen mache ich nicht«, notierte Volker Braun in seinem nun erschienenen opulenten poetischen Tagebuch aus den Jahren zwischen 1990 und 2008. In diesen Werktagen offenbart sich eine bisher kaum beachtete Facette in Brauns Arbeiten: der feinsinnige Humor und seine Neigung zur subtilen Selbstironie. Zum 75. Geburtstag von Georg-Büchner-Preisträger Volker Braun am 7. Mai* – Von PETER MOHR

Titanen

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Titanen

Leidenschaftlich, erklärte Annika, ja, sie fotografiere leidenschaftlich, und schenkte Tee in die zierlichen Tassen mit dem Drachenmotiv, Yin Zhen, eineinviertel Minute, maximal anderthalb.

Farb schwieg.

Tilman lehnte sich zurück und genoß die sommerlichen Temperaturen, er trug ein kurzärmeliges, groß geblümtes, farbenfrohes Hemd.

Für ihr Projekt sei sie mehrmals die Strecke Hamburg-Berlin gefahren.

Mit der Bahn?

Sicher, mit der Bahn, ergänzte sie, und sie fotografiere ihre Motive durch das Fenster. Sie faßte zu dem winzigen blauen Buch, das sie als Clip an ihrem Ohrläppchen trug.

Aus dem fahrenden Zug?

Krise

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Krise

Die Lage sei kompliziert, sagte Wette, die vertrauten Verhältnisse seien in Auflösung begriffen.

Annika warf einen zögerlichen Blick nach dem Gohliser Schlößchen.

Farb lachte. Man könne ja heute nicht mehr sicher sein, ob morgen die Sonne aufgehen werde, das habe vielleicht sogar ein Moment der Befreiung.

Er sei da skeptisch, sagte Tilman.