Lincoln Selkirk ist das typische Opfer, das in der Schule von allen gemobbt. Intelligent aber unsportlich, belesen, aber nicht in der Lage mit Gleichaltrigen zu kommunizieren, werden drei Jahre in Osney für den Sohn eines Professorenehepaars zur Hölle. Bis das Blatt sich wendet. Von ANDREA WANNER
Drei lange Jahre hat Link durchgehalten, hat sich erniedrigen und demütigen lassen, schikanieren und im Netz kleine Filmchen anschauen müssen von seinen Niederlagen und Blamagen. Jetzt ist die Zeit um und er hat seinen Eltern abgetrotzt, die Schule verlassen zu dürfen. Einzige Bedingung: Er muss noch an dem Sommercamp, das bereits für ihn und Teile der Klasse gebucht ist, teilnehmen. Auch diese Zeit wird er irgendwie überstehen, wenn der Alptraum danach ein Ende hat, ist er sich sicher. Das Ende kommt schneller als geahnt.
Link überlebt einen Flugzeugabsturz auf dem Weg in das Camp. Er findet sich auf einer paradiesischen Insel wieder – und ist überglücklich. Endlich allein, ohne Peiniger. Er will sich die Insel untertan machen und darauf warten, gefunden zu werden. Ohne Panik, vielmehr durchdacht mit vernünftigen Plänen erinnert er sich an alles, was man in so einer Situation zum Überleben braucht.
Er kennt den Graf von Monte Christo in- und auswendig, hat Robinson Crusoe gelesen und mit seinen Eltern das Theaterstück The Admirable Crichton gesehen. Was soll also schiefgehen? Es gibt Wasser, essbare Beeren: Es wird eine tolle Zeit werden.
Doch dann muss er feststellen, dass er nicht allein ist. Sechs seiner Mitschüler und Mitschülerinnen haben wie er überlebt: Loam, die hirnlose Sportskanone, die in der Schule alle Wettbewerbe gewonnen hat und Links Hauptpeiniger ist; Miranda Pencroft, die Schönheit und Loams Freundin; Turk, der Kriminelle, der Drogen vertickt; Li, das geigenspielende Wunderkind, die außerdem eine ungewöhnliche gute Schwimmerin ist; Gilbert, der vor Link Loams Wasserträger war; Flora, die Außenseiterin mit bunten Haaren und Piercings; und Link, der Nerd. Sieben junge Menschen, die sich plötzlich einer gewaltigen Herausforderung gegenübersehen. Und es gibt nur einen, der weiß, wie sie das alles überstehen sollen: Link.
Was geschieht? Link weiß, wie man jagt. Link weiß, wie man fischt. Link kann Feuer machen. Plötzlich ist alles auf den Kopf gestellt: er, der von allen herumgestoßen wurde, sieht sich in der Position des Anführers. Ohne ihn geht nichts. Zunächst genießt er seine neue macht, dann beginnt er, sie auszunutzen. Und dann? Ist mit einem Schlag wieder alles ganz anders.
M. A. Bennett spielt geschickt mit den Erwartungen des Lesers. Man erlebt die Geschichte konsequent aus der Sicht von Link, leidet mit ihm, freut sich mit ihm – und beginnt irgendwann sich über ihn zu wundern und ihn zu verachten. Verwoben mit literarischen Anspielungen und vielen Songzitaten – in Anlehnung an die BBC-Radio 4 Sendereihe Desert Island Discs, die auch Link immer mit seinen Eltern hörte – gelingt über weite Stellen eine psychologisch interessante Studie und eine packende Robinsonade.
Leider ist es ein bisschen wie bei Link: Bennett überspannt den Bogen. Weniger wäre mehr gewesen – und vor allem glaubwürdiger. So werden aufmerksame Leser und Leserinnen durchaus kleinere und größere Ungereimtheiten entdecken. Wer gewillt ist, sie zu ignorieren, kann sich auf knapp 400 spannende Seiten mit durchaus überraschenden Wendungen freuen.
| ANDREA WANNER
| ABBILDUNG: Arena-Verlag
Titelangaben
M. A. Bennett: Sieben. Spiel ohne Regeln
(The Island, 2018). Aus dem Englischen von Bea Reiter
Würzburg: Arena 2020
398 Seiten, 16 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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