Der Brand als Fanal und Selbstreinigung. Wie eine Besessenheit bis zur Brandstiftung gehen kann, erzählt Yukio Mishima in seinem Roman Der goldene Pavillon, in dem es auch, wie meist bei ihm, um sexuelle Obsessionen geht, um die japanische Kultur, ihren vermeintlichen Untergang und die Bedrohung aus dem Westen. Der Roman ist jetzt in einer Neuübersetzung erschienen. Von GEORG PATZER
Als er ihn das erste Mal sieht, ist er enttäuscht: »Schon als ich ein kleiner Junge war, hatte mein Vater mir immer wieder vom Goldenen Pavillon erzählt.« Wenn er den Widerschein der untergehenden Sonne auf den Hügeln sah oder die im Sonnenschein leuchtenden Felder, wenn er die Schriftzeichen sah und den Namen Kinkaku hörte – immer malte er sich »etwas ganz Unerhörtes« aus. Schwärmt und träumt von ihm: »Geschaffen als ein Symbol des Lichts in dunklen Zeiten, glich der Goldene Pavillon dem Mond am nächtlichen Himmel.« Und dann nimmt ihn sein Vater 1944 mit nach Kyoto, um ihn dem Abt des Kinkakuji vorzustellen.
»Ich stand am Spiegelsee, und mir gegenüber lag im vollen Licht der untergehenden Sonne der Kinkaku. Der Sosei, der kleine hölzerne Seitenpavillon zu seiner Linken, war halb verborgen. Im Teich, auf dem Blätter und Wasserpflanzen trieben, spiegelte sich ein genaues Abbild des Kinkaku, das vollkommener schien als er selbst.«
Dennoch: Seine Erwartungen waren zu hochgespannt gewesen: »Er weckte keine Regung in mir. Ein kleines geschwärztes altes Gebäude war er, mehr nicht. Und der Phönix auf seiner Spitze mutete mich an wie eine Krähe, die sich zufällig dort niedergelassen hatte. Weit entfernt davon, schön zu sein, vermittelte er mir sogar einen Eindruck von Unausgewogenheit und Disharmonie. Ich fragte mich, wie etwas Schönes so unschön sein konnte.«
Aber das änderte sich schnell wieder, bald gewinnt auch für Mizoguchi der Goldene Pavillon Kinkakuji seine mythische Stellung zurück. Er ist tatsächlich noch heute eines der prächtigsten Bauwerke Japans. Die Reliquienhalle ist dreistöckig, die oberen beiden Etagen sind vollständig mit Blattgold überzogen.
Im Krieg wurde Kyoto verschont, und damit auch dieser Nationalschatz, von dem Mizoguchi dann doch schwärmt: »Mit dem alten Blattgold im Inneren, die äußeren Wände gleichsam von einer glänzenden Lackschicht aus den Strahlen der Sommersonne geschützt, ruhte der Kinkaku still in sich wie ein nutzloses edles Möbelstück, ein gewaltiges leeres Schmuckregal vor dem lodernden Grün des Waldes. Ziergegenstände für ein Regal von solchen Ausmaßen konnten höchstens ein überdimensionales Räuchergefäß oder eine gewaltige Leere sein.«
Mizoguchi, der diese Geschichte erzählt, leidet sehr darunter, dass er stottert, und zieht sich von seinen Freunden, die ihn hänseln, zurück, ein Mädchen, in das er verliebt ist, weist ihn ab und wird später vor seinen Augen von ihrem Liebhaber erschossen. Mizoguchis Vater stirbt bald nach dem Besuch in Kyoto, Mizoguchi wird Novize.
Kalt sezierend beschreibt er sich selbst: »Mir fehlte es an menschlicher Anteilnahme. Der Tod meines Vaters und die Armut meiner Mutter berührten mich innerlich so gut wie gar nicht. Stattdessen träumte ich von einer gewaltigen himmlischen Presse, die Menschen und Dinge, hässliche und schöne, unterschiedslos zermalmen würde. Die außergewöhnliche Klarheit des Frühlingshimmels erschien mir manchmal wie der Glanz der kühlen Klinge einer Axt, groß genug für die ganze Erde. Ich wartete nur, dass sie herniedersausen würde.«
Und so kommt er nicht zur Ruhe, seine Obsessionen von Schönheit und Gewalt treiben ihn immer stärker um. Die Gedanken an den Goldenen Pavillon beherrschen ihn, sie werden so übermächtig, dass er keine Beziehung zu Frauen eingehen kann, er fühlt sich minderwertig. Und so beschließt er, seinem Leben einen anderen Höhepunkt zu geben: Er wird den Tempel verbrennen, ein Fanal gegen die Konventionen und eine Art von Selbstreinigung durch das Feuer:
»Sterbliche Wesen wie Menschen ließen sich nicht ausrotten, doch Unzerstörbares wie der Goldene Pavillon konnte ausgelöscht werden. Warum hatte das bisher niemand erkannt?«, fragt er einmal: »Würde ich den Kinkaku aus reiner Lust an der Zerstörung anzünden, wäre dies ein unwiederbringlicher Verlust, der zudem die Gesamtmenge der von Menschen geschaffenen Schönheit definitiv reduzierte.« Der Roman endet damit, dass sich Mizoguchi wie ein Mann fühlt: »Ich steckte eine an und rauchte, wie ein Mann es nach getaner Arbeit tat. Ich wollte leben.«
Yukio Mishima erzählt in seinem preisgekrönten Roman einen tatsächlichen Fall: 1950 hat ein buddhistischer Priester den Tempel in Brand gesetzt. Mishima besuchte ihn im Gefängnis und redete mit ihm, sechs Jahre später erschien sein Roman. Er ist, wie viele von Mishimas Romanen, die Geschichte einer Obsession, von Gewalt und Sex, eine Diskussion über Gut und Böse. Selbstüberschätzung und Minderwertigkeitsgefühle halten sich im Ich-Erzähler die Waage. Er ist außerdem ein nihilistischer Entwicklungsroman voller manchmal pathetischer Diskurse über Schönheit, Wandel und Zerstörung – schon der Phönix deutet darauf hin.
Aber es ist eine Schönheit der Andeutung, nicht der Erfüllung: »Studierte man die einzelnen Elemente – die Flügeltüren, die verzierten Fenster, das pyramidenförmige Dach –, erkannte man, dass jedes für sich genommen lediglich eine Ahnung von der Schönheit des nächsten beinhaltete.« Und noch ein weiteres Motiv im Werk von Mishima wird diskutiert: die Frage nach dem Verhältnis von Tradition und Moderne, das Leiden an der westlichen Zivilisation und die Demütigung der Japaner durch die US-Amerikaner und wie sich daraus Kräfte der Zerstörung und Zerstörung lösen können.
In einem klugen Nachwort weist die ausgezeichnete Übersetzerin Ursula Gräfe, die das Buch in ein modernes, schlankes Deutsch überträgt, auch auf die autobiografischen Elemente des Romans hin: Schließlich ist Mishima, den Gräfe einen »Performance-Künstler« nennt, selbst vom Westen fasziniert und sehnt sich gleichzeitig so sehr nach den alten Werten und Traditionen zurück, dass er die japanische Armee zu einem Putsch aufruft und sich, als er ausgelacht wird, traditionell den Bauch aufschlitzt.
Titelangaben
Yukio Mishima: Der Goldene Pavillon
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe
Zürich: Kein & Aber 2019
336 Seiten, 22.- Euro
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