Roman | Véronique Olmi: Das Glück, wie es hätte sein können
Den richtigen Ton finden, auch wenn das Leben aus dem Takt geraten ist. Die Möglichkeit des persönlichen Glücks entdecken. Zurückgehaltenen Zorn, vereitelten Schmerz in Liebe verwandeln. Das versuchen die Protagonisten in Veronique Olmis neuestem Roman. ›Das Glück, wie es hätte sein können‹ entpuppt sich letztendlich als Beziehungsdrama, doch mit der Option der Befreiung. Von INGEBORG JAISER
Wenig gemeinsame Berührungspunkte gibt es in den Welten von Suzanne und Serge. Hier die bescheidene, einfache Klavierstimmerin, die mit ihrem Partner Antoine (einem genügsamen Automechaniker mit Hang zum Puzzlespiel) in der fünften Etage eines düsteren Pariser Mietshauses wohnt.
Dort der arrivierte, aber migränegeplagte Immobilienmakler Serge, der scheinbar alles bekommen hat: eine großzügige Villa am Montmartre, die überaus hübsche und sehr viel jüngere Ehefrau Lucie, nebst zwei wohlgeratenen Kindern.
Folgenreiche Begegnung
Doch als Suzanne diese gepflegte Villa betritt, um den neuen Bösendorfer Flügel zu stimmen, stößt sie kurz mit dem Hausherrn Serge zusammen, einem leicht gereizten 60jährigen Geschäftsmann mit formvollendetem Dreiteiler und etwas zu dominantem Rasierwasser. Er nimmt nur kurz die fremde Frau war, doch es bleibt »eine ungreifbare Erinnerung, das Gefühl eines seltsamen, flüchtigen Traums.«
Wenig später folgt ein ungeahntes Aufeinandertreffen. Während eines Stadtfestes nimmt Serge mit seiner Frau Lucie einen Drink in einer etwas düsteren Bar und bewundert dort eine allein tanzende Frau. Sie ist über vierzig, nicht schön, eher klein, hat keinen Busen. Doch sie geht in der Gegenwart und in der Musik auf. »Wie sehr sie lebt, ohne Angst zu haben.« Es ist Suzanne.
Leidenschaft und Lebenslügen
Von nun an ist es um Serge geschehen. Er verfolgt die Klavierstimmerin, ermittelt ihre Telefonnummer, ihre Adresse. Dabei kann er sich nicht erklären, was er an dieser nicht sehr attraktiven, ziemlich gewöhnlichen Frau findet. Eine amour fou beginnt. Man trifft sich in leer stehenden Maisonette-Wohnungen und schläft miteinander, ohne Koketterie, ohne Komplexe. Serge bestellt Suzanne ein und er weiß, dass sie kommen wird. »Sie ist schließlich die Stimmerin. Sie kann in den Tönen und Halbtönen lesen, und sie hat verstanden.“
Doch irgendwann tauchen sorgsam gehütete Kindheitserinnerungen auf. Als achtjähriges Kind wurde der kleine Serge Zeuge, wie sein Vater telefonisch den Auftrag gab, seinen Nebenbuhler mit einem falschen Herzmedikament zu ermorden. Doch die Wahrheit war noch viel komplexer. Mit aller Brutalität und Unfassbarkeit nimmt das vergangene Geheimnis erneut Gestalt an. Wie eng liegen doch Leidenschaft und Lebenslügen beisammen…
Entzündliche Explosion
Das Glück, wie es hätte sein können verströmt zu Beginn noch die Aura eines pointillistischen Gemäldes: mit wenigen, pastellfarbenen Strichen sanft dahin gehaucht, verschwommen und verwischt, leicht und luftig, von nebligen Lichtflecken durchzogen. Keine klaren Konturen, keine Abgegrenztheit. Aber ein flirrendes Gefühl und die vage Ahnung einer bevorstehenden Wandlung. Es sind die Zwischentöne und Dissonanzen, die sich in den Alltag einschleichen.
Das »gebrochene Weiß« als unglückliche Farbgebung eines neu gestrichenen Badezimmers. Oder eine unpassende kleine Bewegung »und ihre Nägel auf dem Strumpf machen ein unangenehmes Geräusch, als dürften sich diese beiden Materialien, Nagel und Nylon, nie berühren, es ist eine kleine Explosion, zwei entzündliche Stoffe, die miteinander in Kontakt kommen.«
Mit ihrem zwölften Roman ist der Französin Véronique Olmi – bekannt als ausgebildete Schauspielerin und erfolgreiche Dramatikerin – ein leises Kammerspiel und kleines Meisterwerk gelungen. Wieder einmal entlarvt sie ein zerbrechliches Beziehungsgeflecht als bittere Lüge und missglückten Rettungsversuch. Das mögliche Glück besteht nur im Konjunktiv. Zurück bleibt ein flirrendes Gefühl, eine verheißungsvolle Vision, die vielleicht ins Freie führt.
Titelangaben:
Véronique Olmi: Das Glück, wie es hätte sein können
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
München: Verlag Antje Kunstmann 2014
219 Seiten. 19,95 Euro
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