Das gedruckte Buch lebt

Thema| Frankfurter Buchmesse 2015

Eigentlich war es wie immer. Frankfurter Buchmesse – das bedeutet wie jedes Jahr eine Unmenge von Menschen, Besuchern, Ausstellern, Autorinnen und Autoren, Presseleuten, die sich vor allem am Wochenende durch die verschiedenen Ausstellungshallen schoben. Und 2015 wurde wieder eine steigende Zahl von Besuchern verzeichnet. Eine Nachlese von HUBERT HOLZMANN

Clemens J. Setz in 3Sat »Kulturzeit«
Clemens J. Setz in 3Sat »Kulturzeit«
Die Verlage präsentierten ihre Neuerscheinungen, zahlreiche Autorinnen und Autoren lasen aus ihren Werken, erzählten von ihrem Schreiben und dem Entstehungsprozess ihrer Bücher und diskutierten nicht selten über die aktuelle Weltlage. Das Publikum war ein aufmerksamer und bewundernder Zuhörer und war nicht zuletzt entzückt von der kulturellen Vielfalt des Gastlands Indonesien, das im »Forum« ein buntes Sammelsurium aus Büchern, kulturellen Schätzen und kulinarischen Besonderheiten zeigte.

Eigentlich alles wie in jedem Jahr. Und doch setzte die Eröffnungsrede von Salman Rushdie gleich zu Anfang eine Zäsur. Was zur Folge hatte, dass der iranische Stand leer blieb. Insgesamt war die Messe 2015 also wieder etwas politischer als in den Vorjahren, was sicher am Thema Flüchtlinge und den brisanten aktuellen Weltkonflikten gelegen haben dürfte.

Gastland Indonesien

In diesem Jahr war Indonesien als besonderer Ehrengast eingeladen. In der Halle hingen bemalte, papierene Lampions von der Decke herab. In Schaukästen sah man besondere Bücher und in einer Ecke an schiffähnlichen Tischen eine Auswahl an duftenden, bunten, exotischen Gewürzen. Indonesische Kochbücher waren nicht weit davon ausgelegt. Dies beeindruckte den fernwehsüchtigen Besucher und Gourmet sehr, konnte er doch noch etwas anderes als die typischen Reisebilder aus Ostasien sehen.

Dass es dann auch recht ernst wurde, konnte man hautnah im Leseareal erleben. Hier wurden zwei indonesische Autoren, Okky Madasari und Triyanto Triwikomo, über die Situation in ihrem Land interviewt. Für die deutschen Zuhörer wurde per Kopfhörer simultan übersetzt. In diesem Gespräch ging es dabei nicht um harmlose Storys: Die Autorin Madasari machte sich in ihrem neuen Buch etwa auf die Suche nach der Identität eines jungen Menschen, der auf der Straße lebt, und Triwikomo legte in seine fantastische Erzählung treffende Sozialkritik an der Gesellschaft Indonesiens, in der Randgruppen kaum integriert werden.

A-, B- und C-Promis

In anderen Ausstellungshallen dominierten oft Großverlage, die ihre Stellung auf dem Buchmarkt mit ihren Aushängeschildern und Platzhirschen demonstrierten. So erblickte der Messetourist an den Ständen manche Berühmtheit wie Thommy Gottschalk, R.P. Precht oder auch Uli Wickert. Jeder dieser Promis durfte auch mal ans Lesepult oder aufs Sofa. – Man las und redete über mehr oder weniger tiefgründige biografische Notizen oder über den ersten Band einer Sammlung von Weisheiten von gestern und heute.

Und natürlich durfte es auch ein Krimi sein. Und wenn dieser dann sogar in Frankreich spielt, lag man voll im Trend. Vor allem im Verkaufstrend. Und das Ganze dann noch gewürzt mit etwas Landeskunde, Küche und flotten Sprüchen – dann kann ein Bestsellerplatz sicher sein. Wenn’s dem Leser Vergnügen bereitet, soll es recht sein.

Preisträger und andere Schriftsteller

Lesezelt, Autorenlounge, ›ARD-Bühne‹, ›blaues Sofa‹, ›3Sat-Kulturzeit‹, ›Weltempfang‹ und viele mehr – überall wurde gelesen, erläutert, getalkt, signiert. Ein junger Autor wie Clemens J. Setz überraschte mit viel Hintergründigem über sein neues Buch ›Die Stunde zwischen Frau und Gitarre‹, einem dicken Wälzer, der die Bezeichnung Roman mal wieder wirklich verdient hat. Die israelitische Autorin Zeruya Shalev beeindruckte mit ihrem neuen Roman Schmerz, in dem sie ihre eigenen Erfahrungen in einer sehr innigen Geschichte verarbeitet. Dann gab es Autoren im Format des Schweizer Adolf Muschg, der mit Paul Jandl über sein neues Werk ›Die japanische Tasche‹ sprach. Muschg erzählte dabei von seinem neuen Roman, eigentlich aber philosophierte der 80-jährige Autor über seine gesamte Lese- und Schreiberfahrung.

Und natürlich war da noch Navid Kermani, der diesjährige Friedenpreisträger des deutschen Buchhandels, den man allerorts auf dem Messegelände antreffen konnte: als Autor am Stand, im Gespräch auf dem blauen Sofa oder in einer Gesprächsrunde mit ein paar doch extra angereisten iranischen Autoren im ›Weltempfang‹. In diesen Terminen verstand er sich immer als Mittler zwischen den Kulturen und analysierte in Gesprächen und Diskussionen die Situation im Nahen Osten sehr klug. Und er bezog Stellung – zur Flüchtlingskatastrophe, zum Krieg in Syrien oder zur gesellschaftlichen Situation im Iran.

Open Books – Frankfurt liest

Zur Buchmessezeit wurde aber auch der Ausflug in die Stadt zum literarischen Ereignis. So konnte man die Bücherschlacht des Tages auch am ›Literaturbahnhof‹ im Hauptbahnhof fortsetzen. Hier wurde der Zuhörer allerdings nicht zum gefährlichen Treffen mit »Äppelwoi« in den nahegelegenen Taunus entführt, sondern kurioserweise weit weg ins Nachbarland Frankreich oder an die Küste im hohen Norden. Und im Rahmenprogramm ›Open Books‹ lernte man so bedeutende Kulturmenschen wie den ehemaligen Verlagschef von Hanser, Michael Krüger kennen, der aus seinem neuen Erzählband ›Der Gott hinter dem Fenster‹ las.

Als Besucher in Frankfurt fühlte man sich als Wanderer zwischen den Welten. Man eilte über die Laufbänder von Halle zu Halle, vorbei an Ü-Wagen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, jettete von Termin zu Termin, von Lesung zu Interview, um nur nichts zu verpassen. – Aber irgendwann sucht sich der Besucher dann doch einen Platz auf einer der Dachterrassen und genießt im Freien fernab des Gewimmels, fernab der Bücherschau, einen Kaffee, mit Blick auf eines der großen Hochhaushotels, auf dessen »Zinnen« sich gerade zufällig ein großer Vogel niederlässt.

| HUBERT HOLZMANN

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Im Rausch der Geschwindigkeit

Nächster Artikel

Seitwärts gestürmt

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Götter, Grabungen und Gelehrte

Roman | Kenah Cusanit: Babel Wer im Berliner Pergamonmuseum schon einmal staunend vor dem babylonischen Ischtar-Tor stand, mag sich gefragt haben, wie diese Unmengen an Tonziegeln eigentlich nach Deutschland kamen. So auch die Autorin Kenah Cusanit. Nach Jahren der Recherchen und Quellenstudien ist nun ihr Debüt Babel als ein faszinierender, zwischen Fakten und Fiktion mäandernder Roman erschienen. Von INGEBORG JAISER

Mein Vater, das Monster

Roman | Amélie Nothomb: Ambivalenz

Zorn und Hass, Missgunst und Neid, Lüge und Verrat sind die Triebfedern, die Amélie Nothombs Romanfiguren zur Tat schreiten lassen – jenseits von moralischen Bedenken oder psychologischen Hintergründen. Ungebremst entwickelt sich Ambivalenz zur rache- und mordlüsternen Familientragödie nach antikem Vorbild. Von INGEBORG JAISER

Schlaflos in Venedig

Roman | Leïla Slimani: Der Duft der Blumen bei Nacht

Die Sehnsucht nach Stille und Rückzug, nach klösterlicher Klausur, gehört wohl zu allen Schriftstellerfantasien und begleitet Leila Slimani bis zum Kreuzungspunkt zwischen Orient und Okzident. Der Duft der Blumen bei Nacht beschwört die Kraft der Poesie und der Literatur, entführt in entschwundene Gefilde und doppelte Identitäten. Von INGEBORG JAISER

Hornbrillenwürschtl am Kilimandscharo

Roman | Matthias Politycki: Das kann uns keiner nehmen

Der inzwischen 65-jährige Schriftsteller Matthias Politycki – bekannt geworden durch seinen Weiberroman (1997) und Ein Mann von vierzig Jahren (2000) – hat sich zuletzt vor allem als kosmopolitischer Welterkunder betätigt. 2005 war der auf Kuba angesiedelte Roman Der Herr der Hörner erschienen, acht Jahre später entführte er seine Leser in Samarkand, Samarkand nach Usbekistan. PETER MOHR hat Polytickis aktuelle Neuerscheinung gelesen.

Ein wenig Leben

Roman | Hanya Yanagihara: Ein wenig Leben Er hört ihnen allen geduldig zu, doch über sich selbst schweigt er. Judes Freunde kennen seine Vergangenheit nicht. Sie haben aufgehört, Fragen zu stellen, denn er würde ihnen ausweichen. Sie lieben ihn einfach, so wie er ist. Doch er selbst kann es nicht, denn die Wahrheit holt ihn immer wieder ein. Von MONA KAMPE