Roman | Antoine Laurain: Das Bild aus meinem Traum
Worin liegt der Reiz eines Silberbechers im Louis-quinze-Stil oder einer weinroten Gallé-Vase? Können Gegenstände eine eigene Seele haben? Oder tragen sie gar die Erinnerungen ihrer früheren Besitzer in sich? Und wie fühlt man sich, wenn ›Das Bild aus meinem Traum‹ plötzlich real wird? Antoine Laurain wagt ein betörendes Vexierspiel um wechselnde Identitäten und doppelbödige Illusionen. Von INGEBORG JAISER
»Eine Sammlung beginnt mit zweien, wenn man auf der Suche nach dem Dritten ist.« Diesen Satz notiert der gerade mal neunjährige Pierre-François Chaumont in seinem Tagebuch. Noch steht er ganz am Anfang einer eben entfachten Leidenschaft. Bald ist seine kleine Radiergummi-Sammlung auf über 100 Stück angewachsen, die er für eine horrende Summe an eine Mitschülerin verkauft.
Doch das Suchen und Aufspüren, das Horten und Zusammentragen wird ihn sein ganzes Leben lang begleiten. Angefixt vom verwunderlich feinsinnigen Onkel Edgar, einem homophilen Dandy, Lebenskünstler und Liebhaber schöner Dinge, entwickelt auch Pierre-François ein Gespür für edle Materialien und hochwertige Verarbeitung. Für ihn sind seine Schätze keine leblosen Gegenstände, sondern »bewahren die Erinnerung derjenigen, die sie besessen haben.« Die Dinge haben eine Seele, die es zu behüten gilt.
Schwindelerregender Rausch der Auktionen
Als erfolgreicher Patentanwalt hat Pierre-François schließlich eine veritable Sammlung zusammengetragen. Doch Ehefrau Charlotte teilt nicht immer sein Faible für Baccharat-Kristallglas oder Tabakdosen aus Schildpatt. So streift Pierre-François oft allein durch Flohmärkte oder Auktionshäuser, durch die Städte der verlorenen Dinge, immer auf der Suche nach dem ganz besonderen Kick. Er liebt den Rausch der Versteigerungen, das »Gefühl von Schnelligkeit, Schwindel, zugleich Erregung und Angst«.
In einer Mittagspause entdeckt er im Pariser Auktionshaus Drouot ein Pastellbild aus dem 18. Jahrhundert und stellt mit Verblüffung fest: das altertümliche Porträt eines Mannes mit gepuderter Perücke zeigt ihn selbst. Ohne zu zögern, ersteigert er das sündhaft teure Gemälde und beginnt zu recherchieren. Am Ende seiner traumumwobenen, wundersamen, fast märchenhaften Ermittlungen löscht er seine eigene Identität aus und verwandelt sich selbst peu à peu zum Grafen von Mandragore. Es ist nie zu spät, das zu werden, was man hätte sein können.
Spiel mit wechselnden Identitäten
Antoine Laurains schmales, kaum 200seitiges Büchlein ist eine bewundernde Hommage an den Zauber und die Schönheit alter Gegenstände, ein leichtfüßiges Spiel mit der Frage: Was wäre, wenn? Bereits mit seinen beiden in Deutsch erschienenen Vorgängerromanen ›Liebe mit zwei Unbekannten‹ (2015) und ›Der Hut des Präsidenten‹ (2016) hat der Pariser Schriftsteller die geheimnisvolle Essenz der Dinge aufgespürt und erkundet.
Man nimmt Laurain unumwunden seine Vergangenheit als Antiquitätenhändler und Drehbuchautor ab: so kenntnisreich und liebevoll geraten seine Schilderungen, so hintergründig spannend der Plot. Kann ein bestimmtes Accessoire, ein magischer Gegenstand mit Geschichte die eigene Identität verändern? Man lässt ›Das Bild aus meinem Traum‹ am besten langsam vorüberziehen, am stimmungsvollsten begleitet von einem glasklaren Whisky und einer guten Zigarette. Ein charmantes Buch für Genießer, Connaisseure und Schwärmer: luftig, duftig und leicht – wie ein blassvioletter Seidenschal im Frühlingswind.
Titelangaben
Antoine Laurain: Das Bild aus meinem Traum
Aus dem Französischen von Sina de Malafosse
Hamburg: Atlantik 2016
191 Seiten, 20 Euro
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