Spurensuche, Rätsel, Unterhaltung, etwas lernen: Es ist von allem etwas, was sich auf diesen 176 Seiten versammelt. Eine hübsche, kurzweilige Buchidee und nach der Lektüre, dem Raten, dem Schmunzeln, nimmt man auf jeden Fall etwas mit. So manches, das man im Alltag so selbstverständlich gebraucht und das im Sprachschatz fest verankert ist, bekommt plötzlich ein ganz neues Gesicht. Findet BARBARA WEGMANN
Der eine ist ein Schwerenöter, der andere ein Tollpatsch, es gibt den Querulanten, den Halunken oder den Scharlatan. Alle möchte man vielleicht am Schlafittchen nehmen und ihnen eine Standpauke halten. Das ist jetzt ganz hypothetisch, aber im Ernst: woher kommen nicht all diese Menschen, woher kommen all diese Wörter?
Das sei alles doch Mumpitz, sagen Sie? Von wegen: vier Möglichkeiten zeigt das kleine Büchlein auf, was es wohl mit »Mumpitz« zum Beispiel auf sich haben könnte. Hat es etwas mit der Krankheit Mumps zu tun, oder eher mit jener mysteriösen alten Dame aus Köln aus dem 18. Jahrhundert, die »Muhme Pütz« genannt wurde und jedem von ihren »angeblichen erotischen Abenteuern der letzten Nacht erzählte«?
Natürlich wäre es auch möglich, dass es eine Redensart aus Brüssel ist, wo sich damals um das Manneken Pis Verkleidete zur Karnevalszeit versammelten und Lügengeschichten erzählten. Der Sieger bekam »het Mumken Pis«, was so viel wie Fläschchen heißt. Tatsächlich ist es aber ganz anders: Mumpitz bezeichnete »seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein beunruhigendes, erschreckendes oder lügenhaftes Gerede, das als Auslöser von Aktienschwankungen in der Tat entscheidende und potenziell unheilvolle Auswirkung haben kann.« Hätten Sie’s gewusst?
35 Wörter werden auf diese Weise präsentiert: Jeweils vier Möglichkeiten ihrer Herkunft, davon alle derart überzeugend, dass man es bei manchen Begriffen wirklich schwer hat und sich nicht leicht für eine Lösung entscheiden kann. Aber: Nur eine Erklärung ist richtig, »der Rest ist völliger Humbug«. Aber gerade für diesen »Rest« sprühte Kabarettistin und Autorin Andrea Schomburg geradezu vor Kreativität und Fantasie. Wortgeschichten, das war schon immer ihr Ding, viele Lyrikbände und Kindergeschichten sind daraus entstanden. Und hier macht sie Sprache geradezu zu einem Spielfeld. Da muss man erst einmal draufkommen, sagt sich der Leser, begeistert von dem ganzen Tohuwabohu an Lösungen. Wo wir gerade dabei sind: Tohuwabohu – waren das Geschichten, die kenianische Frauen den Kindern erzählten? Geschichten von Tohu und Bohu? Oder stammt der Ausdruck aus dem finnisch-ugrischen Sprachkreis, »Tohveli vai vohveli? – wörtlich: Pantoffel oder Waffel? Vielleicht war es auch ein Tanz aus den 1920er Jahren, »eine Wortzusammensetzung aus two (zwei), der ersten Silbe von wabble (wackeln) und der ersten Silbe von bootie (Hintern)«. Vielleicht stammt das Wort aber auch aus der Bibel. Dort wird mit der Genesis von einem Chaos zwischen Himmel und Erde berichtet, dem Tohuwabohu.
Für ihre Wörter-Rätsel unternimmt Andrea Schomburg Ausflüge in die Sprachgeschichte, die Mythologie, die Geografie und die Geschichte, sodass auch die drei erfundenen Lösungen absolut Bestand haben neben der wahren Bedeutung. Das ist tatsächlich sehr gelungen!
Ein Buch, das für die alleinige Lektüre eigentlich viel zu schade ist, es empfiehlt sich für Abende, an denen man Gäste hat, Schwerenöter oder Gesindel, Rabauken oder den einen oder anderen Galan. Auch diese Begriffe übrigens stehen alle zum Erraten auf den bezaubernd illustrierten Seiten. Vorsicht: Dieses Erraten kann dann schnell zur Marotte werden, apropos, Marotte? Wo kommt das denn gleich noch her?
Tielangaben
Der geheime Ursprung der Wörter
Andrea Schomburg/Irmela Schautz
Köln: DUMONT Verlag 2020
176 Seiten, 18 Euro
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