Die Schule ist ätzend, die Situation daheim alles andere als einfach. Da kann ein 17-jähriger schon mal wütend auf die Welt sein. Alles schon gelesen. Vielleicht. Aber sicher noch nicht als Coming-of-Age-Geschichte aus Korea. Von ANDREA WANNER
Die erste Begegnung mit dem Ich-Erzähler findet ausgerechnet in einer Kirche statt. Dort sitzt er und meckert den unzuverlässigen Gekreuzigten an, dass er ihn doch endlich von seinem unerträglichen Klassenlehrer erlösen möge.
Der ist ein Zyniker durch und durch und macht Wan-Duk außerdem als direkter Nachbar das Leben schwer. Das Leben, das ohnehin kompliziert genug ist. Wan-Duks Vater ist – bzw. war, wie auch sein Freund, der allgemein als Bruder des Vaters ausgegeben wird, Tänzer in einem Lokal. Die Zeiten sind schlecht, das Konzept des Restaurants soll geändert und beide verlieren ihren Job. Der eine, Wan-Duks Vater, kleinwüchsig, der andere stottert und ist nicht übermäßig helle.
Wan-Duks Mutter ist längst verschwunden, Freund hat er keine. So plätschert sein Leben ziellos und ohne Plan dahin, geprägt von mangelndem Ehrgeiz und gelegentlichen Wutausbrüchen, die ihm ein Schlägerimage verleihen.
Aber er ist keiner. Er ist ein verlorener junger Mann, der nicht weiß, was er mit sich anfangen soll. Das ändert sich, als sich seine ebenso attraktive wie kluge Mitschülerin Jun-Ha für ihn zu interessieren beginnt, er mit Kickboxen anfängt, plötzlich seine Mutter austaucht und er auch noch hinter das Geheimnis seines Nachbarn kommt.
KIM Ryeo-Ryeong wurde 1971 in Seoul geboren, ihr Debütroman ›Eins zwei. Eins zwei drei‹ erschien bereits 2007 in Korea. Er war ein großer Erfolg und wurde von LEE Han unter dem Titel ›Punch‹ verfilmt. Für europäische Leserinnen und Leser ist es ein neuer, unbekannter Ton, in dem erzählt wird. Dialogreich und pointiert werden Stimmungen und Befindlichkeiten eingefangen – aber eben nicht um sie interkulturell aufbereitet zu exportieren, sondern als authentische Skizze einer Jugend in Korea.
Das macht die Story zu einem überzeugenden Lesererlebnis, bei dem man nebenbei eben doch viel über Lebensgewohnheiten und Kultur erfährt. In dieses Leben in einem fremden Land einzutauchen ist eine besondere Erfahrung, die auch vieles an Fragen offenlässt. Manchmal fühlt man sich wie beim Anblick des Vorsatzpapiers, das den U-Bahn-Plan von Seoul zeigt: ein bisschen ratlos, ein wenig verloren, aber immens beeindruckt.
Titelangaben
Ryeo-Ryeong Kim: Eins – zwei, eins – zwei – drei
Roman aus Korea
Aus dem Koreanischen von Hyuk-Sook Kim und Manfred Selzer
Basel: Baobab 2020
206 Seiten, 18 Euro
Jugendbuch ab 15 Jahren
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