Integration

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Integration

Mein Einfluß ist begrenzt, sagt Krähe, lehnt sich zurück und übt sich in Geduld. Wie lange wird das dauern, und wer sagt mir denn, daß ihr euch integrieren könnt?

Ich werde warten, sagt Krähe. Ich sah die Fotos der Albatrosse, die Plastik fraßen und krepierten. Das Foto vom Wal, dessen Magen einen Fahrradrahmen enthielt. Da seht ihr’s. Ihr habt’s angerichtet.

Nein, wir Krähen kennen keine Hospitäler, in denen uns Krebs oder eine andere aktuelle Krankheit diagnostiziert würde, oder würden wegen der grassierenden Seuche eingeliefert oder würden vor Pestiziden in der Nahrung gewarnt, vor Glyphosat, vor antibiotikahaltigem Fraß, vor nitrathaltigem Wasser – ihr solltet ein Museum eröffnen, und zwar eines, das nicht protzt mit euren Errungenschaften, sondern das eure Fehlschläge sammelt, das eure systematische destruktive Tätigkeit dokumentiert, eure eigene Gesundheit und die des Planeten sind zugrunde gerichtet. Bislang prunkt ihr mit Exponaten, euren Ruhm zu verbreiten, Skulpturen, Plastiken, da ist massiv Rubel im Umlauf, der Renner sind Fotografien.

Ihr nehmt gar nicht wahr, daß ihr im Begriff seid, ein Paradies zu zerstören, unser gemeinsames Paradies. Nein, ihr kriegt’s nicht gebacken, sagt Krähe, keine Chance.

Wenn ich mir ansehe, sagt sie, was läuft – die Natur hat alle Hoffnung zu Grabe getragen und hat hinreichend damit zu tun, sich vor den Auswirkungen eures Tuns zu retten. Ihr seid ja mit Intelligenz ausgestattet bzw. mit dem, was ihr Intelligenz・ nennt und was euch dazu dient, Waffen zu entwerfen, Plutonium zu gewinnen, Drohnen zu konstruieren.

Plutonium kommt in der Natur in reiner Form nicht vor. Allein der Mensch kommt auf den Gedanken, es aus Uran abzuspalten, und wer hätte je vom Zika-Virus vernommen, das von einer Mücke übertragen wird, die tief und unzugänglich verborgen war, bevor ihr den brasilianischen Urwald zu roden begannt.

Nicht nur das, ihr verseucht die einst fruchtbaren Böden mit Pflanzenschutzmitteln, zahllose Bücher schildern die Schäden, die der Planet euch verdankt. Last not least Fukushima. Deepwater Horizon. Die Liste ist ohne Ende, wer redet noch vom Schlammvulkan Lusi.

Nicht daß es dem Planeten darauf ankäme, es euch heimzuzahlen, nein, das entspricht eurer Art zu denken. Allenfalls, daß er vorhätte, euch zu erziehen, euch beizubringen, daß nichts läuft, solange ihr euch nicht einfügt in die natürlichen Abläufe. Deswegen die drohende Erderwärmung, die euch nun Angst einflößt. Nicht mehr lange, und euer Jammern und Wehklagen wird unüberhörbar sein.

Ihr werdet voll hochgesteckter Erwartungen auf Geo-Engeneering setzen und seid überzeugt, eure Ingenieure könten es richten. Das tut in der Seele weh, versteht ihr, nein, ihr versteht nicht, was euch bevorsteht. Kein Stück. Dafür reicht euer Verstand nicht aus. Das wird keine Erwärmung, sondern ein Klimakollaps, der Planet schaltet zurück auf status quo ante.

Euch erziehen? Doch? Nein, ich glaub’s nicht, ehrlich. Unmöglich. Seht nur, mit welcher Inbrunst ihr euresgleichen ausrottet: Vietnam, Irak, Libyen, Syrien, das nimmt kein Ende, failed states, ihr zerstört mit dem Allerwertesten, was ihr zuvor mit den Händen mühsam errichtet. Nein, da ist nicht zu helfen, versteh‘ einer die Welt, ihr schaufelt euch lustvoll das eigene Grab, tanzt dazu und feiert das als ein Sommermärchen.

Doch ich will niemandem die letzte Hoffnung rauben, keineswegs, sagt Krähe, es ist ehrenwert, an den Menschen zu glauben. Für den, der nüchtern zusieht, weist jedoch alles darauf hin, daß der gequälte Planet euch ein Ende setzen wird, aus der Traum, Feierabend, er ist enttäuscht, er ist es leid, ein für alle Mal: Geht zum Teufel!, ruft er euch zu. Hört ihr das?

Die Naturkatastrophen, so nennt ihr es in eigenen Worten, nehmen zu, quantitativ wie qualitativ.

Naturkatastrophen? Falsch – es handelt sich um reinigende Abläufe, um eine Genesung, der Planet balanciert sich, und eine fehlerhafte Zivilisation, ein Irrtum, wird aussortiert. Die Naturkatastrophe, das seid ihr, das ist der Mensch, der sich Homo Sapiens ruft und vom Anthropozän fabuliert, und er ist nicht einmal in der Lage, seine Sprache, ein unvergleichliches Geschenk des Himmels, gebührend zu handhaben. Dann lieber krächzen, fügt sie lächelnd hinzu.

Wer Gastfreundschaft mißbraucht, hat sie verwirkt. Kathartisch, sagt sie, so nannten einst die Griechen diesen Effekt.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Rund um den Globus: immaterielles Weltkulturerbe

Nächster Artikel

Der Natur auf der Spur

Weitere Artikel der Kategorie »TITEL-Textfeld«

Spaghetti

TITEL-Textfeld | Slata Kozakova: Spaghetti Wir sitzen am gedeckten Tisch, Mutter stellt die Teller mit Spaghetti hin, darüber geriebener Parmesan, Tomatenpasta und Oliven. Die Pasta ist selbst gemacht und schmeckt, anders als die in Dosen, nach Zuhause. Ich ignoriere das Gebet, und wir beginnen zu essen. Ich schiebe die Oliven vorsichtig an den Tellerrand, ich hasste schon immer Oliven, egal ob schwarze oder grüne, aber immer liegen welche im Teller, weil das so sein muss, Spaghetti mit Oliven, heißt es doch. Verstohlen gucke ich: Sie essen langsam und kauen umständlich mit ernsten Gesichtern, wie bei der Erfüllung einer wichtigen Aufgabe,

Kartenhaus

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Kartenhaus

Wie ein Kartenhaus also, nein, nicht sicher, sagte Tilman, für einen Kollaps  ließen sich verschiedene Szenarien ausmalen, der Kollaps könne sich hinziehen.

Farb schmunzelte. Da lebe jemand, spottete er, seinen latenten Zynismus aus.

Interessant, sagte Annika und schenkte Tee ein, Yin Zhen, sie hatten das Ming-Service aufgedeckt, rostrot, seit einigen Tagen besaßen sie es auch für drei Personen mit einem lindgrünen Drachen, lieb und teuer, Farb hatte ein Blech Pflaumenkuchen gebacken, für alles war gesorgt, das Wetter meinte es gut, Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Laura

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Laura

Sie war aus der Therapie ausgestiegen, es reichte ihr, sie hatte genug von dieser Methode, die Dauer des Lebens zu verlängern, vermutlich war so etwas von Nutzen für die Statistik, und doch war es lediglich das Sterben, das in die Länge gedehnt wurde, nein, Jürgen hatte zu diesem Zeitpunkt nichts mehr mit ihr zu tun gehabt, sagte Tilman, er werde das später erklären, sie ruhte einige Schritte entfernt von Kapelle neun, Ohlsdorf, eingeäschert.

Leben

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Leben

Wo stammt das Leben her, von irgendwoher muß es ja kommen, oder ist es bloß einfach da, sonst nichts, unvorstellbar.

Das beschäftigt dich, Tilman?

Wo sein Ursprung liegt und wie das Leben sortiert ist, gewiß, das beschäftigt mich, ob einem Tier mehr davon zuteil wird als einer Pflanze, dem mächtigen Baum mehr als dem stillen Gänseblümchen, auf welche Weise ich daran teilhabe, und blüht das Gänseblümchen auch für mich.

Ohnmacht

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ohnmacht

Nein, da könne der Mensch nicht mithalten.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Annika reichte ihm die Schale mit Sahne.

Wir seien machtlos, sagte sie, der Mensch sei schwach, aber scheue nicht zurück vor großen Worten, er plustere sich auf, er tue sich wichtig, im Parlament verweise er stolz auf seinen milliardenschweren Etat, der jedoch nicht ausreichen werde, wenigstens die drängendsten Infrastrukturmaßnahmen einzuleiten.

Das sei die Lage der Dinge. Tilman lächelte, er halte Sonntagsreden, betreibe eine Schönwetterpolitik.