Schnee, was war das doch gleich?

Sachbuch | Peter Mathis: Schnee

Schneeflöckchen, es tut sich schwer seit Jahren, macht sich rar, aber Sehnsucht, Erinnerung und Wunsch nach Schnee, weißer Weihnacht und märchenhafter Landschaft verblassen bei uns keineswegs. Das Feuer für diese Sehnsucht nach kaltem Weiß schürt jetzt Peter Mathis kräftig mit seinem atemberaubenden Bildband. Vielfach ausgezeichnet wurde der österreichische Fotograf, unter anderem mit dem Titel »Master of European Photography«. BARBARA WEGMANN hat sich in eiskalte Foto-Landschaften begeben.

Peter Mathis Schnee
Peter Mathis Schnee
Ich habe einmal nachgeschaut: »In diesem Jahr spielt ein sehr ausgeprägtes La-Niña-Ereignis im tropischen Pazifik eine Rolle. Das Phänomen führt oftmals zu einer Zunahme der Regen- und Schneefälle sowie von Stürmen in verschiedenen Regionen der Welt und tritt alle zwei bis sieben Jahre auf. La Niña spricht auch für einen kalten und schneereichen Winter in Europa.« Na ja, vielleicht haben wir ja doch mal wieder eine Chance. Und wenn auch Autofahrer schimpfen und fluchen, Schneelandschaften verzaubern und entführen in Stille und verwunschene Welten, Geräusche schwinden, die Zeit steht still. Eine gute Zeit für dieses Buch.

Mit dem Bildband des österreichischen Fotografen Peter Mathis können wir uns also hervorragend auf die Erfüllung dieses jährlich wiederkehrenden Traums schon einmal vorbereiten. Er wolle Lust auf Schnee machen, gesteht er. 80 wunderbare Fotografien in schwarz-weiß aus Bergwelten auf der ganzen Welt, von einem »Momente-Sammler«, der, wie er sagt, »eben oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort« ist, der professionell wie kein anderer mit Schatten und Licht jongliert.

Stille, abgelegene Orte sind es, dort sucht sich der mehrfach preisgekrönte Fotograf seine Motive, dort, wo es touristisch nicht überlaufen ist, die Berge nicht mit Seilbahnen verbaut sind. So wirken die Fotografien entrückt, wie aus einer anderen Welt, still, leblos scheint die Natur, allein gelassen, zeitlos, aber wie Kunstwerke arrangiert. Häuser, klein, geduckt, unter einer riesigen Schneedecke, die so fein in Schichten aufgetürmt ist, als habe man ein überdimensioniertes Buch mit dicken, weißen Seiten in der Mitte nach außen aufgeschlagen und über das Haus gelegt, das diese Lasten nun tragen muss. Ein schneebedeckter Seilbahnsitz in einer unscharf werdenden, nebligen Umgebung, der von sonnigeren Tagen träumt, dessen Stillstand aber innehalten lässt: Vielleicht, um einen Moment darüber nachzudenken, wie der touristische Ausbau alpiner Hänge Natur und Landschaft verändert.

Spuren im Schnee, von ganz weit oben fotografiert, oder einem gegenüberliegenden Hang. Muster, die aussehen, wie verschiedene Stiche einer Nähmaschine auf weißem Stoff, Zickzack, Kurvenlinien, der Strich einer Schussfahrt.

Mathis entfremdet die Landschaft, in der seine Motive sind, die »Duo-Ton-Aufnahmen« bestärken dies, manchmal schaut man zweimal hin, um zu erkennen, Bilder verführen und faszinieren und fesseln. »Oberflächlich betrachtet ist Schnee ja nichts anderes als eine weiße Fläche, bestehend aus einer schier unendlichen Anzahl mikroskopisch kleiner Kristalle- hexagonaler Platten, perforierter Prismen, Nadeln, sternförmiger Dendriten, Säulen und gänzlich unregelmäßiger Formen. »Na, das könnte Fräulein Smilla nicht fachkundiger darstellen. Bei aller sachlichen, analytischen Sicht auf Schnee überwiegt aber die außergewöhnliche Ästhetik der Hänge, der geschwungenen Hügel, der bizarren zerklüfteten Bergketten. Mathis Bilder werden zu »malerischen Leinwänden«, mit seinen Fotografien bereitet er seinen Motiven »die Bühne, die sie verdienen.«

Viel über das Leben und den Werdegang des vielseitigen Österreichers erfährt man im Vorwort, er selbst schildert in einigen Kapiteln, die sich einfühlsam zwischen die herrlichen Aufnahmen schmiegen seine Arbeit, beschreibt einzelne Bilder und seine Arbeitsweise. Ein Bild sei nicht einfach die Reproduktion eines Motivs, und: »Die Simulation künstlicher Lichtstimmungen oder Bewegungen am Computer, die physikalisch nicht nachvollziehbar sind, lehnt er entschieden ab. Sein Interesse gilt der »wahren« Natur, also der, die wir tatsächlich erleben können und keinem Artefakt.« Mathis pur sozusagen.

Fotografien, die zu einem sinnlichen Genuss werden. Fotografien, die den einen, den wahren Moment einfangen, ob in der Landschaft oder in der Bewegung. »Ein kurzer Funkspruch und Peter fuhr in den Steilhang ein. Er nahm Fahrt auf, wurde immer schneller und wirbelte den Pulverschnee bei jeder Kurve in die Luft. Als er in den Schatten eintauchte, war mein Film voll. Ich wusste, jetzt war unsere Geschichte komplett.«

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Peter Mathis: Schnee
Prestel Verlag
160 Seiten, 50,00 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Das Pentagramm der Macht

Nächster Artikel

Dispatches From A Forgotten Age: The DJ Mix CD

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Der Natur auf der Spur

Kinderbuch | T.Papaíoannou, P. Bouloubasís: Etwas Wunderbares ereignet sich

Das kraftvolle bunte Leben der Natur. Immer gibt es in der Natur etwas zu entdecken. Tiere, Pflanzen, Steine, Wasser – alles lebt auf seine eigene Weise, hinterlässt Spuren, ist mit anderen in Interaktion. Ein prachtvolles, farbstrotzendes Bilderbuch zeigt einen kleinen Ausschnitt und lädt dazu ein, mehr zu entdecken. Von GEORG PATZER

Die Forschung hebt ab

Kulturbuch | Volker Roelcke: Vom Menschen in der Medizin Nein, Schmerzen, das wäre nicht so sehr meins. Wenn ich versuche, einen Nagel in den Tisch zu schlagen, wird mich das nicht zum Fachmann in Sachen Schmerz befördern. Doch das Thema ist aufschlussreich, es wirft die Gewichtungen der medizinischen Forschung über den Haufen, und das ist offensichtlich gut so. Von WOLF SENFF

Wider die Tyrannei des einzigen Blickpunkts

Kulturbuch | Daniel Tammet: Die Poesie der Primzahlen Savants, autistische Menschen mit einer sogenannten Inselbegabung, waren lange Zeit nur Objekt der wissenschaftlichen Begierde. Erst in den 80er Jahren erregten sie die amüsiert-gerührte Neugier von Normalbegabten durch Oliver Sacks‘ »Mann der seine Frau mit einem Hut verwechselte« und Barry Levinsons »Rain Man«. Ihre Tauglichkeit als Popfiguren wurde ab 2005 getestet, als die TV-Serie »Numbers« ein mathematisches Superhirn mit den typischen weißen Flecken auf der sozial-emotionalen Landkarte als sexy (männlich) Rätsellöser für die heile Law-and-Order-Welt rekrutierte. Und seit Stieg Larssons Lisbeth Salander scheint Autismus regelrecht zum Glamourfaktor mutiert: genialisch-unheimlich plus sexy (weiblich)

Antisemitismus der Gegenwart und die Erinnerung an den Holocaust

Sachbuch | Schwerpunkt: Antisemitismus

Am 9. November jährte sich zum 84. Mal die Nacht, als in Deutschland die Synagogen in Flammen aufgingen. Zwei neue Bücher beschäftigen sich mit dem Antisemitismus und mit der Erinnerung an den Holocaust. Hannah Arendts Buch ›Eichmann in Jerusalem‹, das nun in einer Neuedition vorliegt, löste eine Kontroverse aus, die bis heute nachwirkt. Von DIETER KALTWASSER

Invasion der Anführungszeichen

Kulturbuch | Daniel Scholten: Denksport Deutsch Deutsche Sprache, schwere Sprache! Zahlreiche Stil- und Grammatikregeln zieren sie und bereiten nicht nur vielen Nicht-Muttersprachlern Kopfzerbrechen. Daher vergessen sie oft die Artikel, die ein wahrlich sonderbares Konstrukt sind. Von MONA KAMPE