Ein gruseliges Vergnügen

Comic | Ralf König, Mary Shelley: Frankenstein

Der Comic-Zeichner Ralf König hat in der Reihe ›Die Unheimlichen‹ des Carlsen Verlags eine Graphic Novel vorgelegt, die sich frei an dem britischen Schauerroman ›Frankenstein‹ von Mary Shelley orientiert. Ihm ist ein eigenständiges Werk gelungen, welches gattungstypische gruselige und für König typische humoristische Elemente verbindet. Von FLORIAN BIRNMEYER

Frankenstein›Frankenstein‹ ist wohl einer der bekanntesten Horrorromane überhaupt. Das Buch wurde am 1. Januar 1818 anonym veröffentlicht. Seitdem wurde der Stoff in zahlreichen Adaptationen aufgegriffen. Doch worum geht es in der ursprünglichen ›Frankenstein‹-Geschichte? Der wissensdurstige und neugierige Viktor Frankenstein erschafft sich während seiner Zeit an der Universität Ingolstadt in unbesonnener Weise ein Monster. Er wird, wie der Untertitel des Buches suggeriert, zu einem »modernen Prometheus«. Frankensteins anfängliche Begeisterung schlägt allerdings schnell in Abscheu gegenüber dem Monster um.

Das Monster, das während des gesamten Romans keinen Namen erhält, verhält sich anfangs wie ein Kind. Doch Enttäuschungen und feindselige Begegnungen mit Menschen verursachen bei ihm Hass gegen seinen Schöpfer Frankenstein. Das Monster sieht sein größtes Problem in seiner eigenen Einsamkeit und wünscht sich daher ein zweites Geschöpf ähnlicher Art. Als dies nicht funktioniert, beginnt es, sich an Frankenstein zu rächen, indem es ihm nahestehende Personen und Familienmitglieder umbringt. Die Schuld Frankensteins führt so zu einer Bestrafung. Der Schöpfer soll so leiden, wie auch das Monster leidet.

Bereits vorweg sei gesagt: Ralf Königs ›Frankenstein‹ ist weit weniger grausam. Ein namenloser älterer Mann schreibt einen Brief an die Schriftstellerin Mary Shelley, deren Roman »Frankenstein« er soeben zu Ende gelesen hat, um ihr seine Geschichte zu berichten, welche in einigen Punkten Anknüpfungspunkte mit der Horrorgeschichte hat. Seine Geschichte handle, so der Protagonist, ebenfalls von Einsamkeit, aber »von meiner Einsamkeit, nicht der eines sogenannten Monsters«.

Von Menschen und Monstern

Der Tod hat den Briefschreiber bereits seit seiner Zeit als junger Mann fasziniert: Als Medizinstudent interessierte er sich für die mögliche Wiederbelebung der Toten durch die Ärzteschaft und war überzeugt, man müsse nur schnell genug vorgehen. Ein wesentlicher Antrieb für den einsamen Studenten bestand darin, sich einen Freund zu erschaffen: »Ich hatte niemand um mich, der, von denselben Neigungen wie ich … Aber was half das Klagen? Nennen Sie mich sentimental, ich konnte nichts dafür, ich brauchte einen Freund!«

Als angehender Arzt studierte er den Übergang vom Leben zum Tod, untersuchte Leichen, was den Verdacht und die Ablehnung der anderen Ärzte hervorrief. So gab er seinen gut bezahlten Beruf als Arzt auf und wurde Bestatter in einem abgelegenen Ort. Ein wenig seltsam und teilweise auch sexistisch ist, dass Königs Protagonist der Frankenstein-Schöpferin weibliche Hysterie vorwirft, weil sie ein Monster-Geschöpf in ihrem Werk aus verschiedenen Teilen erschaffen hat. Reicht es nicht, die Ursache dafür im Horrorgenre zu suchen?

In Königs Version geht es jedenfalls etwas weniger schaurig zu als im Original – und, wie bereits gesagt, kommen in wohldosierter Dosis auch humoristische Elemente vor. So verliebt sich etwa eine attraktive Dame namens Constanze Fledder unsterblich in den jungen Arzt und zieht ihm aus Liebe nach, als er seinen Beruf und den Wohnort wechselt. Kurz darauf stirbt die Frau, deren verliebtes Herz der Bestatter darauf kurzerhand entnimmt, nicht ohne Bedenken anzumelden: »Mir war die ethische Problematik klar, aber mehr noch als mein aberwitziger Plan, Leben wiederzuerwecken, verstörte mich der Einfall ausgerechnet Constanze Fledder zu fleddern!«

Als wenig später ein Wanderarbeiter verunglückt, den der schwule Protagonist als groß, stämmig und schön wahrnimmt, setzt er diesem das Herz von Constanze Fledder ein, um ihm deren Liebe einzuflößen. Damit der tote Mann zum Leben erwacht, führt er der Leiche des Wanderarbeiters mithilfe eines Apparats elektrische Energie zu. Tatsächlich scheint der Plan zunächst aufzugehen, doch der Tod lässt sich nicht so leicht betrügen …

Alter Schauer mit neuem Charme

Ralf König gilt als Meister des humoristischen Comics, auch in »Frankenstein« scheint diese Fähigkeit immer wieder durch, wenn etwa die Nüchternheit der Ärzte aufs Korn genommen oder die Liebe der Constanze Fledder ins Unermessliche gesteigert wird. Doch im Grunde nimmt König in ›Frankenstein‹ die Vorlage ernst, anstatt sie zu veralbern. Daher sind die Nasen der Figuren auch weniger knollig, als man es von seinen Comics gewohnt ist. Mit für König ungewöhnlichen Materialien wie Pinseln, Wasserfarben, flüssiger Tusche und verwischbaren Kohlestiften schafft er die düstere Stimmung der grünlich-gräulichen Zeichnungen, die einen tatsächlich das Schaudern lehren.

Wie in der Vorlage von Mary Shelley spielt das Briefeschreiben eine große Rolle. Denn Shelleys Roman besteht aus einer Mischung aus Briefroman und Ich-Erzählung. Bei König wird daraus ein Mix aus Briefzitaten und Comicblasen. Wer sich ein wenig gruseln möchte und Freude an einer neu und in Teilen homoerotisch interpretierten Version der Frankenstein-Geschichte hat, liegt mit diesem Comic von Ralf König in der Reihe »Die Unheimlichen« richtig. Herausgeberin der Reihe bei Carlsen ist Isabel Kreitz.

| FLORIAN BIRNMEYER

Titelangaben
Ralf König, Mary Shelley: Frankenstein
Herausgeberin: Isabel Kreitz
Reihe: Die Unheimlichen (Band 8)
Hamburg: Carlsen Verlag 2020
64 Seiten, 12 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Verschwendete Leben

Nächster Artikel

Was weiß man

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Der lange Atem des Todes

Comic | Terry Moore (Text und Zeichnungen): Rachel Rising – Tochter des Todes »Bei Morgengrauen erwacht Rachel im Wald. Mühsam schleppt sie sich nach Haus. Erst allmählich merkt sie an den Reaktionen ihrer Umwelt, dass mir ihr etwas nicht stimmt. Sie ist tot.« Mit dieser Prämisse beginnt ›Rachel Rising‹, die neue Serie des ›Strangers in Paradise‹-Schöpfers Terry Moore. BORIS KUNZ wollte sich nicht entgehen lassen, von Anfang an dabei zu sein.

Ausschluss aus dem Leben

Comic | Yi Luo: Running Girl / Aisha Franz: Shit is real Unter den deutschen Comic-Zeichnerinnen mit Migrationshintergrund scheint es derzeit einen Trend zu gehen: Den, Geschichten zu kreieren, die die Probleme des Alltags von Frauen behandeln, die in irgendeiner Weise – sei es soziokulturell oder -ökonomisch – von der Gesellschaft exkludiert werden oder die es sogar präferieren, sich selbst von der Gesellschaft zu distanzieren. Dies kann auf mannigfaltige Weise geschehen, melancholisch, depressiv, verzweifelt, aggressiv oder sarkastisch. PHILIP J. DINGELDEY hat sich zwei dieser Graphic Novels angesehen, nämlich ›Running Girl‹ von Yi Luo und ›Shit is real‹ von Aisha Franz.

Von menschlichen Bären und affigen Menschen

Comic | Stefano Ricci: Die Geschichte des Bären Im Sommer 2006 beschäftigte ein Braunbär, den die Medien auf den Namen Bruno tauften, Mittelosteuropa. Denn der aus einem italienischen Nationalpark entflohene Bär zog durch die Länder, bis er über die österreichisch-deutsche Grenze nach Bayern kam, wo der vermeintliche Problembär, der einige Schafe gerissen hatte, schließlich vom damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) zum Abschuss freigegeben wurde. Die Empörung war damals groß, Tierschützer mokierten sich über die Tötung des Tieres. Über Bruno hat jetzt Stefano Ricci einen sehr alternativen, schwierigen und wunderschönen Comic verfasst: ›Die Geschichte des Bären‹. PHILIP J. DINGELDEY hat sich

Die Matrone der Schöpfung

Comic | Ulli Lust: Die Frau als Mensch

Mit dem autobiographischen Comic ›Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens‹ feierte Ulli Lust ihren internationalen Durchbruch. Nun erschien der erste Band ihrer zweibändigen Sachcomic-Reihe ›Die Frau als Mensch‹ bei Reprodukt. Er bricht mit dem verbreiteten Bild steinzeitlicher Gesellschaften, in denen keulenschwingende Männer den Erhalt der Gruppe sichern, während Frauen sammeln, gebären und den Nachwuchs hüten – und schafft dabei so manche Aha-Momente. Von CHRISTIAN NEUBERT

Mogelpackung

Comcic | Xavier Dorison (Text); Terry Dodson (Zeichnungen): Red Skin 1: Welcome to America Eine nackte, wohlgeformte Schönheit, die Worte »Red Skin« stehen auf ihrem Rücken, lächelt den Leser verführerisch über die Schulter hinweg an. Ein Schelm, wer bei einem solchen Titelbild Arges denkt. Doch mehr nackte Haut als auf dem Cover hat die eigenwillige Superhelden/Agenten-Persiflage nicht zu bieten. Das ist nicht der einzige Grund, warum BORIS KUNZ ein wenig enttäuscht war.