/

Rückbau

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Rückbau

Schön, da hätte sich ein geschmeidigeres Wort finden lassen, doch es ist ehrlich, die Dinge sind, wie sie sind, vor allem im Straßenverkehr ist das Wort etabliert, etwa wenn es um Geschwindigkeitsbegrenzung in den Innenstädten geht, um die Einrichtung von Kreiseln zwecks Verkehrsberuhigung oder um den Rückbau von Bushaltenischen, das wird wie selbstverständlich gehandhabt, und auch die avisierte Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen fügt sich in diesen Begriff, oder denken wir an den Ausbau der Radwege und den Hype, der ums Radfahren gemacht wird.

Rückbau, sagte Susanne und spottete: Zweirad statt Vierrad.

Exakt. Das ist längst Praxis, und in den Köpfen hat sich etwas von Grund auf gewandelt, auch wenn es sich nicht überall herumgesprochen hat, Susanne. Denk an den Bach, der vor gut einem Jahrzehnt, aus welchen Gründen auch immer, begradigt wurde, das war damals angesagt, doch als in den nächstliegenden Wohnhäusern unversehens diverse Keller unter Wasser standen, wurde auch hier zurückgebaut, und der kanalisierte Bach bekam seine Kurven und Schleifen nebst einem toten Seitenarm als Stauraum zurück, doch Rückbau bezeichnet ebenso grundlegende Prozesse, der angestrebte Energiewandel gehört dazu, er setzt dem Raubbau an den Ressourcen der Erde ein Ende und nutzt die erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne.

Wasser?

Rückbau ist ein schillernder Begriff, da paßt nicht alles, und das zugrundeliegende politische Konzept steht noch aus, manche Staudämme sind Mammutprojekte der Energiegewinnung, weiße Elefanten, und nicht immer hilfreich, das berühmteste Beispiel ist vermutlich der Assuan-Staudamm, der die Überschwemmungen im unteren Nil beeinträchtigt, und auch das gewaltige Projekt des Yangtsekiang-Staudamms zieht immense Probleme nach sich, vor allem aber Gezeitenkraftwerke scheinen sich zu bewähren. Doch es geht um einen generellen Rückbau einst gepriesener Technologien, um eine kompromißlose Wende.

Ins Verkehrswesen übersetzt, meint das die Abschaffung des Verbrennungsmotors.

Abgelöst aber nicht durch den Elektroantrieb, sondern durch Wasserstoff, man muß auch da behutsam vorangehen und darf sich nicht durch die Automobilindustrie hinters Licht führen lassen, die Alternative heißt zweifelsfrei Wasserstoff.

Also scheint oft gar nicht klar zu sein, was unter Rückbau zu verstehen ist.

Die Bewegung bildet sich heran, und grundlegende gesellschaftliche Strukturen müssen geändert werden, um die Kollateralschäden diverser Technologien zu beseitigen, es gibt erfolgreiche Aktivitäten im Artenschutz, gefährdete Spezies werden wiederangesiedelt, die Massentierhaltung wird reguliert, es gibt Initiativen gegen die Überfischung der Ozeane, gegen ihre Übersäuerung, gegen die Vermüllung mit Plastik – zahllose Themen, zahllose Aufgaben, und in wenigen Zeilen läßt gar nicht alles zusammenfassen, aber allem liegt zugrunde, daß es höchste Zeit ist, die Strukturen der Ökonomie neu zu gestalten.

Damit der Plünderung des Planeten ein Ende gesetzt wird.

Das Verhältnis des Menschen zur Natur muß von Grund auf gewandelt werden, wie oft ist das gesagt worden, ohne daß Konsequenzen gezogen wurden – der Mensch, der von Integration redet, muß selbst lernen, sich zu integrieren und das ihn umgebende Leben zu respektieren.

Du solltest eine Predigt halten, Tilman.

Es ist ein ernstes Thema.

Ich weiß das, und es geschieht bereits eine Menge.

Wenn nicht der Mensch den Rückbau in Angriff nimmt, werden es die Orkane, Feuersbrünste, Überflutungen tun, und zwar auf unerfreuliche Weise  – wenige Wochen ist es her, daß ein Großbrand ein Rechenzentrum in Straßburg in Schutt und Asche legte, das fünfgeschossige Gebäude für zehntausend Server brannte vollständig aus. Und niemand weiß, ob nicht sogar die gegenwärtige Pandemie ein Instrument natürlichen Rückbauens ist, ein Warnsignal.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

The Music Column That Wouldn’t Die: New Album Reviews.

Nächster Artikel

Am Ende alles gut

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Getroffen 

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Getroffen

In der Ojo de Liebre, sagte Sut, ist der Grauwal in Reichweite, die ›Boston‹ liegt geschützt vor Anker, uns bleibt Mühsal erspart. Daß er sich wehren kann, hat unser erster Einsatz bewiesen.

Der Abend war mild, das Meeresrauschen klang aus weiter Ferne, Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Die Männer genossen die Fangpause, der Ausguck schlug einen Salto, sie lachten und applaudierten.

Ob ein Pottwal reichere Erträge liefere, fragte der Rotschopf.

Sein Walrat sei einzig, sagte Sut, in seinen Gedärmen findet ihr Ambra. Doch du stellst ihm weit draußen auf den Ozeanen nach – zwei, drei Jahre in eins auf See, das sei weiß Gott nicht jedermanns Sache.

Ramses IX.

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ramses IX.

Ramses lächelte. Sich in fremden Gegenden und Kulturen umzutun und einen Eindruck von den Menschen zu gewinnen, wem gefiele das nicht, ich schau den weißen Wolken nach und fange an zu träumen, gewiß, die Kultur der Industriegesellschaft sei hochentwickelt, überlegte er, über alle Maßen leistungsbezogen und bestehe doch erst seit wenig mehr als zwei Jahrhunderten, man müsse das anerkennen, die Bevölkerung wachse immens, und es entstünden Ungleichgewichte.

Miami

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Miami

Miami, USA, wir waren in Miami, wann war das. Tilman erinnerte sich. Das dürfte drei, auch vier Jahrzehnte her sein, sagte er, Rucksacktouristen, sagte er, die Zeiten waren anders, wir waren zu viert, irrten ziellos vom Flughafen in Richtung Stadt, es wurde Nacht und wir rollten Schlafsäcke auf einem weitläufigen Rasen aus, Gelände noch des Flughafens, weit waren wir nicht gelangt zu Fuß, wir schliefen drei, vier Stunden, bis wir vom grellen Scheinwerfer einer Polizeipatrouille geweckt wurden, freundlich aber bestimmt, dies sei kein Platz zum Übernachten, außerdem lebten hier Schlangen, das sei nicht ungefährlich, und wir sollten zusehen, in die Stadt zu kommen.

Zwanglos, natürlich, losgelöst

Kurzprosa | Der Literatur Kalender 2025

»Momente der Freiheit« lautet das Motto des feinen, schön gestalteten Literaturkalenders 2025 der Edition Momente. Von BETTINA GUTIERREZ

Am Ende

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Am Ende

Zu guter Letzt wird alles einfach, sagte der Zwilling, wutsch!, und unsere Probleme sind vom Tisch.

Wie, unsere Probleme sind vom Tisch.

Vom Tisch. Weg. Nicht mehr da.

Sind gelöst?

Der Zwilling lachte.

Es gibt sie nicht mehr, verstehst du, sagte Crockeye.

Nein, sagte Bildoon, verstehe ich nicht.