Ein Kinderbuch, das sogar einen wahren Hintergrund hat: Sechs kleine, frisch geschlüpfte Küken leben in einem Karton. Und eines dieser niedlichen Küken macht schon früh ganz energisch auf sich aufmerksam. Aber wie wird die Zukunft aussehen für die kleinen Federbälle? Sebastian Meschenmoser ist mit ›Chick‹ ein Bilderbuch mit sehr überraschendem Ausgang gelungen, meint BARBARA WEGMANN.
»Ich sehe Bücher nicht als Spielzeug an, sondern als etwas, das man gemeinsam erlebt«, sagt Autor und Illustrator Sebastian Meschenmoser. Sein neues Buch ›Chick‹ ist ganz sicher so ein Buch, das nach oder während der Lektüre zu Diskussion und Fragen anregen wird. Und wenn das einem Buch gelingt, dann ist das schon mal eine tolle Sache.
Irgendwo in einer Stadt gibt es einen Garten und auch einen Hühnerstall. Dort leben sechs kleine Küken, zunächst in einem Karton: Camilla, Calimera, Pola, Hennriette, Ayla und Chick. Die Mutter der Kinder, die die Küken bewachen und beobachten, füttert sie täglich. Dabei meckert einer immer: Chick. Immer kriege er zuletzt Futter, was für eine Ungerechtigkeit, er würde später mal der »Bosshahn« werden, hätte Diener, säße auf einem Thron, das Futter würde man ihm direkt in den Schnabel werfen. Sie würden alle schon noch sehen! Abenteuer würde er erleben, oft auf Reisen gehen und vielleicht würde er ja mit der Henne Hennriette viele Eier haben. Stark werde er sein, als Held alle beschützen und den Fuchs würde er das Fürchten lehren. Klaro! Ach, dieser kleine Knirps Chick, der sich hier zum Hahn der Hähne aufspielt, wie er sich reckt und streckt, an dicke Hahnenmuskeln glaubt, sich seine Welt als »Bosshahn« bunt und so fantasiereich vorstellt. Und während er träumt, sich die Zukunft heldenhaft, mutig und draufgängerisch ausmalt, geschieht es dann plötzlich eines Tages und reißt jäh aus allen Träumen: »Wer hatte da gekräht? Etwa Hennriette? Wie konnte Hennriette nicht gemerkt haben, dass er ein Hennri war?« Und überhaupt: was ist mit ihm? Seine Schwanzfedern sind so kurz, kein Hahnenkamm, wäre er oder sie »nur eine von vielen?«
Auf den 64 Seiten dreht sich alles um Chick und seine Alpha-Männchen-Fantasien, aber schnell kommt der Punkt, an dem er sich fragt, wer bin ich eigentlich, wo ist mein Platz, wie wird mein Leben aussehen? Eins ist sicher: es wird so ganz anders aussehen, als er es sich ausgemalt, als er es erträumt hat. Meschenmoser illustriert das Aufwachsen des kleinen Kükens und seine Selbstfindung mit teilweise energischen und schwungvollen Strichen, mit wenigen Farben kommt er aus, dennoch sind alle Stimmungen, alle Launen so gut erkennbar, an den Gesten und der Körperhaltung. Chicks Träume werden im Comic-Stil eingeblendet, hier dann Bilder voller Dramatik, dann auch sehr farbig und lebhaft und alles andere als nur rosarot.
»Was ist für mich vorgegeben?« für Meschenmoser eine wichtige Frage, »allein schon durch den Namen, den mir meine Eltern ausgesucht haben. Wie prägt mich das für mein Leben? Wenn ich das zu genau thematisiere, erreiche ich nur Eltern, die das ihren Kindern ohnehin schon vermitteln. Aber auf diesem Weg kann ich jemanden erreichen, der einfach nur ein Hühnerbuch lesen möchte – und vielleicht trotzdem eine Diskussion anregen.« Ziel erreicht kann man nur sagen, denn fernab von Hahn und Henne, von Chick und Hennriette und Hennri gibt es noch soviel mehr: das Miteinander und füreinander Dasein, das aufeinander Aufpassen. Und da ist es ganz egal, ob man Hahn oder Henne ist.
Und wie war das mit dem wahren Hintergrund, der dem Bilderbuch als Vorlage diente? Chick ist heute eine schöne schwarze Henne, erzählt Meschenmoser in einem Interview. Sie lebe mit Artgenossen auf einem Schulgelände, Kinder würden sich um sie und die Artgenossen kümmern, Eier sammeln, daraus Waffeln backen. Damit nähmen sie auch den Kreislauf der Lebensmittel wahr. Viele Kinder haben dort gar keinen Bezug mehr zur Natur. Dafür haben sie sehr krass klassische Rollenmuster. Die Mädchen wollen Stewardess werden, die Jungs Fußballspieler.« Aber wer weiß schon, was das Leben vorhat, vielleicht wird aus dem Mädchen eine Fußballerin und aus dem Jungen ein Steward. Klassische Rollen werden aufgebrochen, neue Welten tun sich auf, die das Leben ungemein bereichern können. Das Geschlecht tritt in den Hintergrund, Charaktereigenschaften werden wichtig. Viel Stoff also für Eltern und kleine Leser*innen, um nach der Geschichte über Chick etwas für die eigene kleine Persönlichkeit er lernen und zu erkennen.
Mindestens sechs Bücher lese er abends vor, gesteht Vater Meschenmoser. »Da suche ich mir aus, welche Geschichten ich vorlesen will. Die doofen sortiere ich heimlich aus.« Prinzessin Lillifee, so verrät er, gehöre übrigens eindeutig dazu.
Titelangaben
Sebastian Meschenmoser: Chick
Stuttgart: Thienemann 2021
64 Seiten, 16,00 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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