Heißer Sommer

Roman | Johannes Groschupf: Berlin Heat

Johannes Groschupf hat die Handlung seines neuen Berlin-Thrillers ein wenig in die Zukunft verschoben. Man findet sich, wenn das Buch, das im Frühjahr erschien, beginnt, bereits im Sommer 2021 wieder. Die Corona-Pandemie scheint vorbei und Hunderttausende versuchen schnell nachzuholen, was ihnen in anderthalb Jahren der staatlichen Reglementierung ihres Lebens verboten war. Mittendrin: Groschupfs Held Tom Lohoff, Anfang 30, spielsüchtig, pleite und gleich in zwei Frauen verschossen. Er könnte sich in der hitzigen Atmosphäre vor der Bundestagswahl einfach mittreiben lassen, feiern, das letzte Jahr einfach vergessen und leben mit allem, was dazugehört. Doch er braucht Geld. Und so lässt er sich auf einen Deal ein, der ihm mehr als nur unruhige Nächte beschert. Von DIETMAR JACOBSEN

Tom Lohoff vermietet für das internationale Partyvolk, das Berlin nach dem Ende der Corona-Pandemie wieder unsicher macht, Wohnungen, die sein Vater einst aus alten Stasibeständen abgezweigt hat, und besorgt, wenn es seine Gäste denn wünschen und bezahlen können, Drogen, schnellen Sex und Zugang zu den angesagten Locations der Stadt. Ansonsten ist das Wettbüro »Arena« in der Potsdamer Ecke Pohlstraße sein zweites Zuhause. Hier hat er die 12.000 Euro verspielt, mit denen er bei einem albanischen Gangster in der Kreide steht, der nun seine Männer fürs Grobe schickt und mit etwas droht, das Eingeweihte als »Tirana Inkasso« bezeichnen.

Alarmstufe Rot: Geld muss her so schnell wie nur möglich. Und Lohoff scheint tatsächlich noch einmal mit dem Schrecken davonzukommen. Denn plötzlich interessieren sich zwei nicht ganz koscher wirkende Typen für eine seiner Unterkünfte. Kurzfristig will man da, wo vor der Wende Stasi-Offiziere sich mit Spitzeln trafen, einen älteren Herrn unterbringen. Der wird zu nächtlicher Stunde im Rollstuhl angeliefert und ist am darauffolgenden Tag Thema in allen Medien deutschlandweit.

Tirana Inkasso

Johannes Groschupf, 1963 in Braunschweig geboren, war lange Zeit freier Reisejournalist, bevor ein Hubschrauberabsturz in der Sahara einen Einschnitt in seiner Biographie markierte. Seit 1999 besteht sein zweites Leben nun aus dem Schreiben von Romanen für Jugendliche und Erwachsene. Sein erster Berlin-Thriller, Berlin Prepper, erschien 2019, wurde von der Kritik als gelungener Zeit- und Hauptstadtroman wahrgenommen und gewann im selben Jahr den 36. Deutschen Krimipreis. Auch Berlin Heat zeichnet aus, was an dem Vorgängerroman so bemerkenswert war: die Verbindung einer spannenden Geschichte mit viel Zeitgefühl und einer expressiven, zupackenden Sprache.

Dass es sich bei dem schweigsamen Gast, der in Lohoffs karg möblierte Wohnung eingezogen ist, um den Berliner AfD-Politiker Max Kallatsky handelt, wird Groschupfs Held sofort klar, als er am nächsten Morgen einen Blick in den Fernseher wirft. Dort erfährt er, dass der als einer der Rechtsaußen seiner Partei geltende Mann von einer linksterroristischen Splittergruppe entführt  worden sein soll. Dass es sich bei der Geschichte um einen Wahlkampftrick handelt, mit dem die in der Wählergunst gesunkene Partei kurz vor der Bundestagswahl dringend nötige Stimmen holen will, wissen zu diesem Zeitpunkt freilich weder Lohoff noch die Öffentlichkeit.

Ein Wahlkampftrick

Allein einer springt voll auf den Fall an, als er von ihm erfährt: Lohoffs Vater, Ex-DDR-Polizist und legendärer Zeichner von Phantombildern, dem man gekündigt hat, als herauskam, dass er seine Talente einst auch in den Dienst der Stasi stellte. Nun scheint die Stunde gekommen, um es all denen, die ihn vor Jahren ins Abseits beförderten, einmal richtig zu zeigen, indem er gemeinsam mit Tom in einer Nacht- und Nebelaktion den entführten Kallatsky aus den Klauen seiner Entführer befreit. Dass dabei allerhand zu Bruch geht und einer der rechtsradikalen Bewacher des Politikers die Vater-Sohn-Aktion nicht überlebt, ruft schließlich die Polizei auf den Plan. Und statt seine Schulden termingemäß an die Albaner zurückzuzahlen, landet Tom Lohoff für eine Nacht im Untersuchungsgefängnis Moabit, wo er im Auftrag der ausgekochten Polizistin Romina den zweiten Bewacher Max Kallatzkys, einen Neonazi, aushorchen soll.

Berlin Heat ist ein Großstadtthriller und Berlin-Roman am Puls der Zeit. Johannes Groschupf jagt seinen  etwas täppischen, aber nicht unsympathischen Protagonisten aus einer katastrophalen Situation in die nächste. Zwischen Marla – Kellnerin und nächtens Cam-Girl, um über die immer teurer werdenden Berliner Runden zu kommen – und der so taffen wie gutaussehenden Polizistin Romina, die gern ihr »großes Zigeunerehrenwort« gibt und Tom zum Spionieren in den Knast schickt, pendelt sein Liebes-Leben hin und her.

Am Ende, nach einem blutigen Showdown zwischen Brandenburger Tor, Potsdamer Platz und Holocaust-Mahnmal, bei dem Ronny, der Neonazi,  ums Leben kommt, findet er sich schwerverletzt im Unfallkrankenhaus wieder, wo ihm sein Erfinder etwas von den eigenen Erfahrungen als Schwerbrandverletzter zuteilwerden lässt.

Großstadtthriller und Berlin-Roman am Puls der Zeit

Wie es mit ihm weitergeht nach jenem Sommer, in dem die Pandemie zu Ende geht, ohne wirklich zu Ende zu gehen, deutet das letzte Kapitel an, in dem Tom als Lieferando-Fahrradbote mit der typischen Thermobox auf dem Rücken Essen ausfährt. Mit der Vergangenheit hat er abgeschlossen. Zurück in sein altes Dasein will er nicht, obwohl er tagtäglich an jenen Orten vorbeifährt, die ihn einst magisch anzogen. Doch alle anderen sind sich scheinbar gleich geblieben. Auch diejenigen, für die der tote Neonazi Ronny zum Märtyrer geworden ist: »Seit seinem Feuertod wird ein regelrechter Kult um ihn betrieben […] Seine Freunde draußen im Land sind schon einen Schritt weiter, sie rüsten sich für den Marsch auf Berlin, sie sammeln sich für den Tag X […] sie wappnen sich für ihren Rassenkrieg, verabreden sich für den Erstschlag, Elitesoldaten, Reservisten, rechte Burschenschaftler, kampfbereite Reichsbürger, ungeimpfte Querdenker […] Sie bereiten sich auf die Machtübernahme vor, auf die Ausschaltung der Volksfeinde, die Listen sind längst geschrieben, der Löschkalk, um die Leichen unkenntlich zu machen, ist bereits vorrätig.«

Das ist alles andere als ein beruhigender Schluss für einen großartigen Roman. Aber Beruhigen lag sicher auch nicht in der Absicht seines Autors.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Johannes Groschupf: Berlin Heat
Berlin: Suhrkamp Verlag 2021
256 Seiten. 14,95 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Freund für alle Lebenslagen

Nächster Artikel

Späte Vögel

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Sich selbst neu erfinden

Roman | Birgit Birnbacher: Ich an meiner Seite
Die Mehrdeutigkeit von schillernden Inszenierungen und unsteten Lebensentwürfen scheint schon im Titel durch. Doch mehr noch: mit Ich an meiner Seite stellt die österreichische Autorin Birgit Birnbacher das allgegenwärtige Streben nach Selbstoptimierung ironisch infrage. Denn nicht nur Facebook und Instagram verleiten zur künstlichen Überhöhung der eigenen Person. Birnbachers soziologisch angehauchte Milieustudie begibt sich in die Welt der Kleinkriminellen und ihrer Wiedereingliederung. Von INGEBORG JAISER

Beton, Biker und ein Psychopath

Roman | Scott Thornley: Der gute Cop
Detective Superintendent Iain MacNeice genießt den Ruf, der beste Cop der Mordkommission von Dundurn zu sein. Der Witwer und passionierte Grappa-Trinker ist einfühlsam, unkonventionell in der Wahl seiner Methoden und immer ein kleines Stückchen schneller als seine Mitarbeiter, wenn es gilt, Schlüsse zu ziehen. Als zwei rivalisierende Biker-Gangs einen blutigen Krieg anfangen, sechs Leichen aus dem Hafenbecken der fiktiven, am Ontariosee gelegenen kanadischen Stadt geborgen werden und obendrein ein perverser Frauenmörder damit beginnt, die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen, ist das aber auch für MacNeice fast zu viel. Doch zum Glück muss er ja nicht allein gegen das Verbrechen antreten. Von DIETMAR JACOBSEN

Morgen früh auf dem Heldenplatz

Roman | Elisabeth De Waal: Donnerstags bei Kanakis Der Roman Donnerstags bei Kanakis wurde zu Lebzeiten der Autorin Elisabeth De Waal nie publiziert, gelangte jedoch nach ihrem Tod als vergilbtes Typoskript in die Hände ihres Enkels. Nun wurde das ausdrucksvolle zeitgeschichtliche Porträt der Wiener Nachkriegszeit erstmals veröffentlicht. Von INGEBORG JAISER

Tangente als Mittelpunkt

Roman | Silvio Blatter: Die Unverbesserlichen Gastwirten und Frisören sagt man nach, dass sie gute Zuhörer sind und sich in fremden Lebensläufen gut auskennen. »Ich lösche das Licht, ich bin der Letzte, der die Bar verlässt und nach Hause fährt.« Jonas Alberding, der Protagonist in Silvio Blatters neuem Roman Die Unverbesserlichen, führt mit großer Leidenschaft die Sportbar »Tangente« im Dunstkreis des Flughafens Kloten. Von PETER MOHR

Nervöse Anspannung

Roman | Christoph Hein: Guldenberg

Es ist kaum zu leugnen, dass Christoph Hein mit postmoderner Literaturtheorie nichts am Hut hat und ein leicht altmodischer, weil stark moralisierender Erzähler ist. Mit Willenbrock (2000) und Landnahme (2004) hat er präzise und authentische Panoramen der Nachwendegesellschaft vorgelegt. Von PETER MOHR