/

Termoth Sinn

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Termoth Sinn

Was lebt, sagte Termoth, was wächst, was blüht, was welkt – alles sei verwurzelt im Sinn, sagte er, wenngleich, sagte er, der Sinn ein leerer Begriff sei, und zwar aufgrund seiner Beliebigkeit. Es gebe, sagte er, zahlreiche Versionen der Sinnhaftigkeit, sei’s drum, sagte er, jedoch es zähle allein, daß ein Geschöpf die Sinnhaftigkeit spüre, sie empfinden könne, das sei der Kern, versteht ihr.

Wovon rede er, fragte sich Thimbleman, und der Ausguck blickte ratlos um sich.

Der Rotschopf verkniff sich ein Lachen.

Der Zwilling blickte hinaus zum Meer.

Was das sei, Sinn, fragte sich McGovern.

Eldin legte die Stirn in Falten. Gut möglich, überlegte er, daß der Mannschaft die Fangpause zu schaffen mache. Untätigkeit sei kein Zustand, der irgendwie förderlich wäre, und mit diesem Navajo habe es eh eine besondere Bewandtnis.

Der Mensch, sagte Termoth, suche Sinn angestrengt in Siegen und im Erfolg – umsonst, er beschreite Irrwege und laufe falschen Zielen nach. Sinn, sagte er, habe keine Ausdehnung und sei dennoch überall gegenwärtig.

Wer das glauben solle, fragte Crockeye.

Pirelli widersprach ihm und mahnte zur Ruhe. Sie sollten Termoth zuhören, sagte er.

Im Wettkampf zu siegen, fragte Rostock, weshalb das eine irreführende Form der Sinnhaftigkeit sei.

London überlegte.

Ehrgeiz und Streben seien keine Mittel, sich den Sinn zu erschließen, konstatierte Termoth, und außerdem erschließe man sich den Sinn nicht, sondern man erkenne ihn. Jedes Individuum sei Teil des Ganzen, erfülle seinen eigenen Sinn, und dafür müßten sich ihm die Augen öffnen, versteht ihr, sagte Termoth.

Ach was, brach es aus Crockeye, niemand sei Teil eines Ganzen, und jedem stehe frei zu tun, was er wolle, wo kämen wir sonst hin, wie würde das enden. Weshalb, fügte er entrüstet hinzu, solle es falsch sein, im Erfolg einen Sinn zu sehen, schließlich hätten sie vor wenigen Tagen auf ihrer ersten Fangfahrt zwei Exemplare Teufelsfisch erlegt, der Jubel sei groß gewesen, zurecht, bekräftigte er, und keineswegs sinnlos.

Termoth zu widersprechen, das sei allerhand, flüsterte Thimbleman.

Crockeye verstehe ihn nicht, sagte Pirelli, er sei vorwitzig, man solle dem Erzähler nicht ins Wort fallen.

Rostock schwieg.

London überlegte noch.

Harmat und Bildoon waren verärgert, sie waren wegen Termoth gekommen und neugierig auf das, was er zu sagen hatte.
Der Zwilling hingegen warf einen anerkennenden Blick auf Crockeye.

London blickte auf. Schwierig, sagte er. Darin, daß der Mensch mit dem Menschen konkurriere, sehe er keinen Sinn. Gut, sagte er, ein Sieg werde gefeiert, doch heiße das noch lange nicht, daß darin ein Sinn liege.

Konkurrenz, sagte Gramner, gehöre zum Wesen der neuen Zeit. Allein der Konkurrent, heiße es, sporne zu höherer Leistung an.
Wofür höhere Leistung erforderlich sei, fragte Rostock.

Homo homini lupus, sagte Crockeye und lachte grölend, er bot keinen einnehmenden Anblick.

Woher habe der das, fragte sich Bildoon, er konnte diesen Kerl nicht ausstehen, der zwar seine verträglichen Züge hatte, gewiß, aber eben auch Situationen, in denen er aus der Haut fuhr, als ob er jegliche Kontrolle verloren hätte, ungefragt reißt er sein Maul auf, und die Mannschaft konnte von Glück reden, jedenfalls bis zu diesem Tag, daß niemand sich provozieren ließ, auf anderen Walfängern war das anders, und nicht einmal die erzwungene Fangpause hatte bislang dazu geführt, daß sich eine aggressive Stimmung ausbreitete, und Nichtstun mochte mir nichts, dir nichts in Händel ausarten.

Crockeye hatte sich durch Sprüche und Sticheleien vor allem bei den Jüngeren unbeliebt gemacht, er faßte sie grob an und drohte, ihnen gehöriges Benehmen beizubringen, sie hatten sich daraufhin angewöhnt, ihm aus dem Weg zu gehen, so blieb der Umgang friedlich, doch man wußte, was man von einander zu halten hatte, der Bogen war gespannt.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Gelassener und zufrieden

Nächster Artikel

Wenn man Unordnung vermisst

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Rausch

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Rausch

Sie wollen das Leben auskosten, spottete Wette, genießen, sagte er, bis zur bitteren Neige auskosten, wie solle das gehen.

Annika blätterte in ihrem Reisemagazin.

Tilman warf einen Blick auf das Gohliser Schlößchen.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Allein der Mensch könne solche Vorsätze fassen, spottete Wette, er suche sein Leben selbst zu gestalten, die anderen Lebewesen wüßten sich in die Vorgaben der Natur zu ordnen.

Popeye und Zuchtperlen

Kalender | Niklaus Gelpke (Hrsg.): mare Kulturkalender 2021
So viel hat mit dem Meer zu tun, Herman Melville meinte sogar einmal, dass es noch nie einen großen Mann gegeben hätte, der sein Leben lang auf dem Festland gelebt hätte. So weit muss man nicht unbedingt folgen, aber das Meer hat seine Faszination nie verloren. Vom Meer und der Kultur, die zum Meer gehört, erzählt auch der Kulturkalender aus dem mare Verlag. Von GEORG PATZER

Melancholischer Pessimist mit Humor

Menschen | 100. Geburtstag von Wolfgang Hildesheimer Vor 100 Jahren (am 9. Dezember) wurde der Georg-Büchner-Preisträger Wolfgang Hildesheimer geboren. Von PETER MOHR

Abgesang

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Abgesang

Wir möchten verstehen, sagte Gramner, wer seien wir denn, daß wir über sie urteilen würden, materiell wie mental herrschen Not und Elend, der Alltag der Moderne erweise sich, sähe man nur aufmerksam hin, stets als das Gegenteil dessen, was in bunten Lettern gepriesen werde oder mit marktschreierischen Tönen verkündet.
Große Worte, dachte London und erschrak.

Ein Irrtum

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Nicht wahr

Wie er sich das vorstellen müsse, fragte Farb.

Die Industriegesellschaft sei am Ende, sagte Tilman, aus, vorbei, unübersehbar am Ende, das Klima kollabiere, wohin man sehe, die vertrauten Abläufe brächen ein, Wassermassen überfluteten Wohngebiete, Feuersbrünste legten Wälder und Siedlungen in Schutt und Asche, und daß der Mensch die Natur beherrsche, sei durch die realen Abläufe widerlegt, für jedermann einsehbar widerlegt, und habe sich als fataler Irrglaube erwiesen.