Wenn man Unordnung vermisst

Kinderbuch | Jule Wellerdiek: Holgers Haus

Manchmal sind Freundschaften so eine Sache. Wer kann sich schon vorstellen, dass ein Stein und ein Fuchs Freunde sind? Nicht nur das, sie teilen auch noch ihr Zuhause. Aber wie das bei Wohngemeinschaften so ist, da kanns auch mal ordentlich rappeln im Karton. BARBARA WEGMANN hat die ungewöhnliche WG in diesem Buch besucht.

Holgers HausFuchs Holger möchte lesen, in einem seiner sieben Lieblingsbücher, denn es ist ein ‚ruhiger Nachmittag‘, »die Sonne scheint und sie haben nicht viel zu tun«. Doch plötzlich haut es ihn fast aus dem Sessel: Lärm, Gepolter, irgendetwas ist in der Küche passiert. Stein hat die Küche streichen wollen, alles umgeworfen, ein Chaos bereitet. Fuchs schimpft und ist so richtig verärgert, gern wäre er diesen Tollpatsch Stein los. »Wie schön wäre es, hier ganz allein zu wohnen,« platzt es aus ihm heraus. »Wenn das hier nur mein Haus wäre, meins ganz allein, dann hätte alles seine Ordnung und ich meine Ruhe. Alles wäre da, wo es sein soll, und es wäre so still, dass man den lieben langen Tag lesen und nachdenken könnte.« Der so ausgeschimpfte Stein verkrümelt sich ohne ein Wort. Und Holger packt sein Haus in den Fahrradanhänger und radelt davon, bis er einen schönen Platz findet. Aber ist das die Lösung?

Die Geschichte berührt einen schnell, hat sie doch etwas mit so elementaren Gefühlen wie Freundschaft, Liebe, mit Gemeinsamkeit und dem Gefühl zu tun, wie schön es ist, jemanden an seiner Seite zu haben, und wie es ist, wenn jemand auch mal arg nervt. Gleichzeitig sind da nämlich eigene Wünsche, Bedürfnisse, Pläne oder Vorlieben und es bleibt die Frage, wie man das alles in eine Balance bringt.

Jule Wellerdieks große Passion ist die Kinderbuchillustration und »Holgers Haus« ist nach dem Designstudium in Münster ihre Bachelorarbeit. Und die wurde gleich mit dem internationalen ›Picture This‹- Award für unveröffentlichte Bilderbücher ausgezeichnet. Und nun, nach der Veröffentlichung im Knesebeck-Verlag mit seinen wunderbaren Kinderbüchern, macht sie sich an ihr zweites Buch. Ein toller Karrierestart.

Herrlich bunt sind die Illustrationen, oft wie Collagen zusammengesetzt. Die Bilder der jungen Künstlerin leben, vermitteln viel, viel Munterkeit, Dynamik und Bewegung, stecken voller kleiner Details, die man sicher auch beim zweiten oder dritten Mal Lesen erst entdecken wird. Die Dinge, die stehen sollten, schweben auf den Seiten, die, die geradestehen sollten, stehen etwas schief, die Schwerkraft ist in ihren Bildern aufgehoben, Dimensionen verschwimmen, Größe und Maße von Dingen haben plötzlich keine Regeln und Gesetze mehr. Da passt ein ganzes Haus auf einen Fahrradanhänger. Und Räume, in denen man nachts ein Monster befürchtet, bekommen schon mal eine sehr seltsame Form.

Und angesichts seiner Angst, nachts, allein, zwar in seinem Haus, aber dennoch allein, so mutterseelenallein zu sein, schreit Holger laut in die Nacht: »Ich möchte doch nicht allein sein!« Na klar, es war zu erwarten, dass es natürlich keine Lösung ist, einfach sein Haus einzupacken und wegzufahren, nur weil der andere schnarcht, Chaos bereitet und so gar nichts von häuslicher Ordnung hält. Aber: Ein Freund ist nun mal ein Freund, das spürt man besonders dann, wenn man ihn zutiefst vermisst. Und einen guten Freund muss man dann auch schon mal so nehmen, wie er ist. Das nennt man dann Toleranz.

Schließlich lernen wir auch auf sehr unterhaltsame, bunte und lesenswerte Art, dass ein Zuhause mehr als nur ein Ort ist. Der, der dort wohnt, füllt ihn mit Leben, vielleicht mit Freunden, einem Partner, mit Kindern und Tieren. Holger und Stein werden jedenfalls in der turbulenten Geschichte etwas Wesentliches lernen.

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Jule Wellerdiek: Holgers Haus
München: Knesebeck 2022
32 Seiten, 14 Euro
Bilderbuch ab 3 Jahren
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